Sexualisierte Gewalt in der Kirche: Es war nicht nur der Papst
Die Entschuldigungsforderung von Bischof Bätzing an Benedikt ist wohlfeil. Besser wäre es, wenn die katholische Kirche ihre Geheimakten öffnen würde.
J oseph Ratzinger solle sich bei Missbrauchsopfern entschuldigen. Das forderte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, in der Talkshow „Anne Will“. Angesichts der Verfehlungen des emeritierten Papstes, die ein kürzlich erschienenes Gutachten publik machte, ist das eine berechtigte Forderung: Viele wären von den Übergriffen durch Pater H. und andere Täter verschont geblieben, hätten Benedikt und andere Personalverantwortliche damals hingeschaut.
Und viele Betroffene haben bis heute von der Kirche weder eine offizielle Entschuldigung gehört, noch Unterstützung erfahren. Wenn ein Bischof nun öffentlich ein Umdenken einfordert, könnte das bedeuten, dass die katholische Kirche ihre vielen Missbrauchsskandale langsam als systemisches Problem begreift.
Leider spricht dafür wenig: Papst Benedikt ist alt und lang außer Dienst, sämtliche Fälle sind verjährt – da kostet eine medienwirksame Attacke wenig. Hätte Bätzing wirklich etwas gewagt, hätte er verkünden können, dass man künftig alle Personalakten aus den Geheimarchiven der Diözesen einer unabhängigen Überprüfung zugänglich macht – und die übliche Aktenvernichtung nach 10 Jahren einstellt. Stattdessen hat er nur auf Ratzingers fragwürdige Berater hingewiesen.
Da ist sie wieder, die gute alte katholische Scheindebatte: Ein paar Leute haben sich schuldig gemacht, weg mit ihnen! So aber funktioniert Aufarbeitung nicht. Es ist zwar nicht egal, ob Ratzinger sich entschuldigt. Doch bedarf es jetzt vor allem endlich einer Erkenntnis: Die römisch-katholische Kirche als Ganze hat sich schuldig gemacht.
Die übermäßige Machtfülle der Bischöfe, das Fehlen von Gewaltenteilung im Kirchenrecht und die erdrückende rigide Sexualmoral haben eine Atmosphäre geschaffen, in der sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch gedeihen – noch immer. Es wird Zeit, dass die Aufarbeitung der katholischen Missbrauchsskandale in staatlicher Verantwortung geschieht, etwa durch eine juristische Untersuchungskommission. Hierbei könnte die Kirche helfen – wenn sie es denn ernst meint mit der Aufklärung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei