Sexualisierte Gewalt im Kunstbetrieb: Hierarchien im Schönen

MeToo zog recht leise am deutschen Kunstbetrieb vorbei. Die Vorwürfe gegen den Galeristen Johann König zeigen: Hier gibt es noch einiges zu klären.

Es regnet, Menschen stehen dircht gedrängt mit Regenschirmen unter einem Vordach

Gut besucht, vor der Galerie von Johann König in Berlin bei einer Vernissage Foto: Nikita Teryoshin

Ein Berliner Galerist wird beschuldigt vor einigen Jahren gegenüber mehreren Frauen übergriffig gewesen zu sein.

Und dies häufig öffentlich, an einschlägigen Partyorten, in diesen angespitzten Momenten des Kunstbetriebs nach Vernissagen, in denen jeder jeden auf seine Coolness detektiert, auf seinen Status in dieser Gesellschaft von Subkulturen, des Geldes und des Schönen abcheckt. Momente, in denen das Private mit dem Geschäftlichen verschwimmt und vielleicht auch die ganze soziale Härte der Kunstszene zutage kommt.

Nachdem diese Vorwürfe letzte Woche in einem großen Artikel in Die Zeit veröffentlicht wurden, weist dieser Berliner Galerist die Anschuldigungen von sich. Eine Anwaltskanzlei vertritt ihn, eine juristische Auseinandersetzung mit der Wochenzeitung besteht. Und er ist einer der bekanntesten Galeristen in Deutschland. Wenig weiß die Öffentlichkeit von so wichtigen Ga­le­ris­t:in­nen wie Esther Schipper oder Daniel Buchholz, aber Johann König kennen doch einige.

Spätestens nachdem er 2019 seine Biografie veröffentlicht hat und sein Porträt mit den unverkennbar starken Brillengläsern – nach einem Unfall im Kindesalter wäre Johann König fast erblindet – das Buchcover bedeckte, wissen viele, wer dieser Mann mit den geschundenen Augen und dem krausen Haar ist. Ihm werden nun, nachdem die MeToo-Debatte sehr leise am Kunstbetrieb vorbeizog, öffentlich diese Vorwürfe der sexuellen Übergriffigkeit gemacht. Es sind keine Straftaten, aber sie sind moralisch verwerflich. Johann König könnte in diesem Fall zumindest sein Gesicht verlieren.

Die König-Dynastie

Als Sohn des wichtigen Kurators Kasper König und Neffe des Kunstverlegers Walther König stammt Johann König aus einer regelrechten Kunstmarktdynastie in Deutschland. Mit Anfang zwanzig eröffnete er seine eigene Galerie in Berlin, die heute in der umgebauten Kreuzberger Betonkirche St. Agnes einem Kunsttempel gleicht. Allein die Produktion einer gut zehn Meter hohen Leinwand, auf der König im letzten Winter eine 3D-Projektion des NFT-Künstlers Refik Anadol abspielen ließ, muss Zigtausende Euro gekostet haben.

Leichtfüßig bewegt sich Johann König durch die Kunstwelt. Er hat etablierte Künst­le­r:in­nen unter Vertrag und scheut sich nicht, unbekannte über Instagram aufzuspüren. Er kann sie groß machen, sehr groß.

Es war womöglich nur ein Gag, aber zwischenzeitlich soll neben Anadols digitalem Formenspiel – viel mehr war es nicht – das Preisschild 500.000 Euro gehangen haben, als käme mal eben jemand in der Galerie vorbei, der für diese auf eine Datei reduzierbare Kryptokunst kurzerhand solch eine Summe aufrufen würde. Aber möglich erscheint alles.

Portrait von Johann König

Galerist Johann König zu Gast in der „NDR Talk Show“ im Juli 2022 Foto: APress/imago

Denn im Galerienwesen können unglaubliche Gelder fließen, eine „Maman“ von Louise Bourgeois verkaufte die Mega-Galerie Hauser & Wirth auf der Art Basel im Juni schon vor der Eröffnung für 40 Millionen US-Dollar.

Showroom in Monaco

Es sind zumeist private Gelder von reichen Samm­le­r:i­nnen und sie werden für die Exklusivität der Kunstwerke ausgegeben (wenn sie nicht als Unikat angefertigt sind, dann zumindest in einer nur geringen Auflage). Das zieht eine ganze Kultur der Exklusivität mit sich – wie die vielen Galerie-Dependancen in Steueroasen und an Luxus-Urlaubsorten, zu denen Samm­le­r:in­nen mal eben jetten. Johann König betrieb einen solchen Showroom in Monaco.

Und wie das so ist mit der Exklusivität, den Netzwerken, den hohen Geldsummen und dem Erfolg: All das ist nur den wenigen vorbehalten, die oben in einer Hierarchie stehen.

Denn im Kunstbetrieb trifft die hohe Kaste der Galerist:in­nen, Samm­le­r:in­nen und erfolgreichen Künst­le­r:in­nen auf einen großen Unterbau der Assistent:innen, Ausstellungsproduzent:innen, Prak­ti­kan­t:in­nen und der vielen noch nicht erfolgreichen Künstler:innen. Alle vereint der Wunsch, dem Schönen der Kunst nahe zu sein, aber nicht alle sind ihm gleich nahe.

Jemand hat den sauteuren Screen für Refik Anadol gebaut, jemand anderes hat Louise Bourgeois’ „Maman“ installiert, womöglich nachts im Lager der Art Basel neue Werke ausgepackt, um nach nur wenigen Stunden Schlaf mit müden Augen, aber korrekter Fassade den Handschlag zwischen Ga­le­ris­t:in und Samm­le­r:in zu beobachten.

Der feine Moment

Kunstgalerien sind ein Business, mit Kostenkalkulationen. Aber wo doch die Kunst sein Gegenstand ist, der feine Moment der ästhetischen Erscheinung für den Verkauf ausschlaggebend, die perfekte Ausführung, die richtig große Leinwand entscheidend, da muss vor allem an den Kosten fürs Personal gespart werden.

Wenn ein:e Ga­le­rie­as­sis­ten­t:in nach fünfzig Wochenstunden am Ende des Monats vielleicht 1.500 Euro auf dem Konto hat und wenn ein:e Sales Ma­na­ge­r:in nur ein karges Grundgehalt kriegt, das durch Verkaufsprovisionen aufgestockt wird, dann herrscht innerhalb der ohnehin schon bestehenden sozialen Asymmetrie im Galerienbetrieb rauer Wettbewerb und, beim Blick auf den Gehaltszettel, der ständige Verweis auf den unteren Platz.

Viele Galerien wertschätzen ihre Mitarbeiter:innen, aber viele andere schleudern sie fast wie als austauschbare Nummern heraus.

Als nun die Anschuldigungen gegen Johann König in Die Zeit publik wurden, gab es bei vielen in den sozialen Medien ein ziemliches Aufatmen. Die Vorwürfe kursieren schon seit ein paar Jahren und ebenso lang geht auch Königs Anwaltskanzlei gegen sie vor.

Junge Mitarbeiterinnen

Doch es fällt auf, dass gerade jene jungen Frauen von Königs Übergriffen berichten, die zu dieser Gruppe unterbezahlter Mit­ar­bei­te­r:in­nen und Künst­le­r:in­nen im Galerienwesen gehören.

Ein ano­nymer Boykottaufruf gegen Johann König hing 2019 nicht zufällig vor allem in den Pausenräumen und Kaffeeküchen genau dieser Mitarbeiter:innen. Es sind diejenigen, die die soziale Schizophrenie der Kunstwelt oft spüren.

Johann König ist ein Einzelfall. Und es wäre gut, wenn die Öffentlichkeit mehr erfahren könnte, was wirklich hinter den Vorwürfen steckt. Aber aus diesem Einzelfall schimmern auch die schwierigen sozialen Strukturen des Kunstbetriebs durch.

Vielleicht sollte also die Causa König auch dazu beitragen, diejenigen Hierarchien öffentlich zu hinterfragen, die solche Übertritte und Machtmissbrauch begünstigen. Und wie schön wäre es, wenn durch eine solche nötige Debatte vielleicht auch umgedacht werden könnte und ein solidarischer, kooperativer – ja weiblicher – Geist den der Exklusivität im Kunstbetrieb ersetzen würde.

Anmerkung der Redaktion: In einer vorherigen Version dieses Texts entstand fälschlicherweise der Eindruck, Johann König betreibt aktuell einen Showroom in Monaco. Korrekt ist, dass er ihn 2021 für fünf Monate betrieb.

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