Sexismus in arabischen Gesellschaften: Kuwaits #MeToo-Moment
„Ich werde nicht schweigen“: Wie ein Model vom Golf gegen sexuelle Belästigung in einer patriarchalen Gesellschaft aufbegehrt.
Für Furore sorgen nun Videos, in denen die 31-jährige Influencerin sexuelle Belästigung in Kuwait anprangert. „In diesem Land gibt es ein Problem mit sexueller Belästigung, ich habe genug davon!“, konstatierte sie vor einigen Tagen in einem ersten Video. „Jedes Mal, wenn ich rausgehe, kommt jemand, der mich oder eine andere Frau auf der Straße belästigt.“
Nachdem sich das Video über ihre mehr als zwei Millionen Follower*innen hinaus verbreitet hatte und nicht nur auf Zuspruch stieß, schob Al Faraj an ihre Kritiker gerichtet hinterher: „Wenn ihr nichts von Substanz zu dieser Diskussion beizutragen habt, haltet den Mund!“ Sie und ihre Mitstreiter*innen würden an etwas arbeiten, von dem letztlich alle in Kuwait profitieren würden, Frauen wie auch Männer.
Empfohlener externer Inhalt
Mit ihrem Aufschrei hat Al Faraj, Tochter eines Kuwaiters und einer US-Amerikanerin und selbst Mutter zweier Kinder, in Kuwait eine Diskussion losgetreten, die an die weltweite MeToo-Bewegung von 2017 erinnert. TV-Shows haben taharrusch, Arabisch für sexuelle Belästigung, zum Thema gemacht, und unter dem Hashtag “Lan Asket“ („Ich werde nicht schweigen“) haben hunderte Frauen von ihren eigenen Erfahrungen berichtet.
„Ein Typ folgte mir in den Fahrstuhl“, schreibt eine Frau, die ihre Geschichte auf Instagram veröffentlicht hat, „er starrte mich an und machte sexuelle Kommentare, während er ununterbrochen den Tür-zu-Knopf betätigte. Ich trug sogar Kopftuch und anständige Kleidung. Die Leute müssen aufwachen, die sagen ‚Das würde dir nicht passieren, wenn du dich anständiger kleiden würdest.‘“
Auf einem eigens eingerichteten Instagram-Account und einer Online-Plattform berichten Frauen anonym von ihren Erfahrungen. „Kaum hatte ich den Account eröffnet, wurde ich mit Zuschriften von Frauen und Mädchen überschwemmt, die Geschichten über verbale, körperliche und sexuelle Belästigung erzählten“, sagt Shayma Shamo, die die Plattform ins Leben gerufen hat, nachdem sie eines der Videos von Al Faraj sah.
Sie habe nicht nur Geschichten von Kuwaitis gehört, sondern auch von indischen, philippinischen, russischen und spanischen Frauen, berichtet Shamo. Viele ausländische Frauen arbeiten als Hilfskraft in dem Golfstaat. Diese Expat-Community in Kuwait, ergänzt Al Faraj in einem ihrer Videos, sei in einem Maße verletzlich, das sich kuwaitische Frauen kaum vorstellen könnten.
„Kultur der Schande“
Das kuwaitische Strafrecht stellt sexuelle Belästigung explizit unter Strafe; vergangenes Jahr wurde zudem ein Gesetz gegen häusliche Gewalt verabschiedet. Doch herrsche eine „Kultur der Schande“, beklagt Shamo gegenüber France24. Frauen werde die Schuld für Belästigung gegeben, sodass viele es nicht wagten, innerhalb der Familie über das Thema zu sprechen oder die Täter gar bei der Polizei anzuzeigen.
In Kuwait, das als einziger Golfstaat ein gewähltes und einflussreiches Parlament hat, verfügen Frauen seit 2005 über das aktive und passive Wahlrecht. Bei der letzten Wahl im Dezember schaffte allerdings keine der 29 Kandidatinnen den Einzug ins Parlament. Die bisher einzige Abgeordnete verlor ihr Mandat sogar.
Ascia Al Faraj, auch bekannt als Ascia AKF, ist als Influencerin über die Grenzen des Landes hinaus bekannt. Sie hat eine eigene Modemarke und wurde international als Hidschab-Model berühmt, da sie stets mit muslimischer Kopfbedeckung auftrat. Sie arbeitete für Marken wie Ralph Lauren, Dior und Chanel. 2018 postete sie Bilder ohne Kopftuch und gab bekannt, dass sie sich künftig mit offenem Haar zeigen werde, um ins Reine zu kommen mit ihrer Identität.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund