Sexarbeiter*innen in Hamburg: Die Vergessenen
In drei Bundesländern können Prostituierte bereits wieder ihrem Gewerbe nachgehen. In Hamburg gibt es noch keine Öffnungsperspektive.
Beim Corona-Briefing des Senats am Dienstag gab es von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) keine Angaben zur Sexarbeit. Andere körpernahe Dienstleistungen – über Friseure und Fußpflege hinaus – waren bereits im zweiten der aktuell vier geplanten Öffnungsschritte am 22. Mai eingeplant.
Auf die Frage, ob die Sexarbeit im nächsten geplanten Öffnungsschritt zum 10. Juni dabei sein wird, kann die Sozialbehörde auf taz-Anfrage keine konkrete Auskunft geben. „Die weiteren Schritte werden je nach Entwicklung der epidemiologischen Lage vorgenommen“, sagt Behördensprecher Martin Helfrich.
„Auflagen sind sinnvoll, die Pandemie muss eingedämmt werden. Aber es geht nicht, dass wir nicht mitbedacht werden“, sagt Undine de Rivière, die seit 2000 freiberuflich als Sexarbeiterin in Hamburg arbeitet und auch im deutschen Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. (BesD) und beim Runden Tisch Prostitution in Hamburg aktiv ist. Sie versteht nicht, dass Sexarbeit nicht mit anderen körpernahen Dienstleistungen gleichgestellt wird: „Covid ist ja keine sexuell übertragbare Krankheit, es geht darum, wie nah sich Menschen kommen und wie die Rahmenbedingungen sind.“
Die Sexarbeiter*innen vom „Sexy Aufstand Reeperbahn“ sehen zudem ein „wachsendes Risiko, dass die Frauen, die sich an das Arbeitsverbot halten, durch die entstehende finanzielle Notlage in prekäre Abhängigkeit geraten können“, wie es in der Pressemitteilung heißt. Seit Beginn der Pandemie laufe illegale Prostitution ohne Hygienekonzepte und Kontaktdatenerfassung „unkontrolliert weiter, wodurch sich Sexarbeiter*innen und Gäste in große Gefahr begeben“.
„Illegale Sexarbeit findet statt, das muss man klar sagen“, sagt auch Sexarbeiterin de Rivière. „Zum Beispiel auf St. Georg, wo Straßenprostitution eigentlich nicht gestattet ist. Zu einem möglichen Bußgeld für Verstöße gegen die Sperrbezirksverordnung kann nun eben noch eins für Verstöße gegen die Coronaverordnung kommen. Das trifft natürlich diejenigen am härtesten, die sowieso schon prekär arbeiten. Weil viele einfach keine Möglichkeit haben, etwas anderes zu machen.“ Das liege auch an der Stigmatisierung des Berufes, auf die auch der heute stattfindende „Internationale Hurentag“ aufmerksam machen soll.
Während Sexarbeiterin de Rivière schon länger online arbeitet, etwa mit erotischer Hypnose, sei dies für andere keine Option: „Kolleg*innen, die in der Pandemie von Sexarbeit eins zu eins auf Onlinesexarbeit wechseln, sind einem wesentlich größeren Outing-Risiko ausgesetzt. Gerade, wenn man für Cam-Portale arbeitet, muss man damit rechnen, dass Mitschnitte davon auf Pornoseiten landen und eine Weile verfügbar sind“, sagt sie.
Die Polizei führt keine Statistik zu illegaler Prostitution während des Lockdowns. Die zuständige Fachdienststelle habe aber keinen signifikanten Anstieg wahrgenommen, teilt ein Polizeisprecher auf taz-Anfrage mit.
Für von Obdachlosigkeit bedrohte Sexarbeiter*innen hat die Stadt eine eigene Unterkunft angemietet, in der momentan 66 von 68 verfügbaren Plätzen genutzt werden. Die Unterkunft soll zunächst bis Ende Juli betrieben werden, so Sozialbehördensprecher Helfrich.
Sexarbeiterin de Rivière appelliert an Hamburger*innen, sich weiter an die Corona-Auflagen zu halten: „Es gibt Menschen wie uns, die beruflich davon abhängig sind, dass die Inzidenzen noch weiter runtergehen und sich nicht nur auf dem aktuellen Level einpendeln“, sagt sie. „Ich hoffe, dass wir bei den nächsten Lockerungen nicht wieder vergessen werden.“
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