Serienkolumne Die Couchreporter: Depressiv, saufend, promiskuitiv
Diversität und selbstermächtigte, weibliche Figuren zeichnen die Netflix-Serie „Jessica Jones“ aus. Doch das allein macht noch keine gute Serie.
I won’t take no for an answer“, sagt der Mann, mit dem die Detektivin und heimliche Superheldin Jessica Jones sich gerade herumärgern muss, augenzwinkernd zu ihr. „How rapey of you“, antwortet Jones knapp. Und macht damit klar, wie der Hammer hängen könnte in dem feministischsten aller Erwachsenen-Marvel-Träume: Mit der Adaption der erstmals 2001 als Comic erschienenen, depressiven, saufenden, promiskuitiven Heldin Jessica für das „Marvel Cinematic Universe“, in diesem Fall Netflix, haben die SerienmacherInnen eine großartige Figur geschaffen.
Die von Melissa Rosenberg konzipierte Jones, die auch in der zweiten Staffel von Krysten Ritter konsequent in Jeans, Lederjacke und mit griesgrämigen Gesichtsausdruck gespielt wird, hat in den neuen Folgen nichts von ihrer Bitterkeit verloren: Sie ist die einsamste Wölfin, die je durch New York streunte, flankiert nur von der durch ihre Erlebnisse als überforderter Ex-Kinderstar leidgeprüften Freundin und Adoptivschwester Trish (Rachael Taylor) und dem treuen Ex-Junkie-Nachbarn Malcolm (Eka Darville).
Jones rührt weiter in ihrer Vergangenheit, lernt viel über die Herkunft der inflationär auftretenden Menschen mit Superkräften und einiges über ihr eigenes Schicksal. Sie zeigt auch in den aktuellen Folgen nur ab und an etwas von ihren eigenen Besonderheiten (die enorme Stärke benutzt sie fast ausschließlich für illegale Einbruchaktionen).
Doch obwohl alle Zutaten stimmen und Szenen wie die marode Sause der lesbischen Rechtsanwältin, die – als konsequent ambivalente Figur – eine private Drogenparty mit Prostituierten schmeißt, die Aufgeschlossenheit der Showrunner gegenüber Diversität und Selbstermächtigung der weiblichen Figuren demonstrieren, wirkt das potenzielle Role Model Jessica zuweilen schlichtweg fußlahm. Ihre Frustrationen wiederholen sich, und es mangelt an Spannung.
Mangelnde dramaturgische Finesse
Und das liegt keinesfalls an fehlenden Actionszenen, sondern an der fehlenden dramaturgischer Finesse. Vor allem aber an der jedem Superheldencomic innewohnenden Absurdität: Irgendwann kommt Jones dahinter, dass ihre seit Jahren totgeglaubte Mutter doch noch lebt und ebenfalls zu etwas anderem Gewaltigem mutiert ist – das Erste wäre ein großer emotionaler Moment, wenn das Zweite nicht so lächerlich wäre.
Zwar gehört es zur Comic-Affinität dazu, Cartoonrealitäten zu akzeptieren – wer mit dem Argument kommt, dass Menschen nun mal nicht fliegen können, der braucht gar nicht erst die erste Seite von Superman aufzuschlagen. Denn der ist garantiert nicht empfänglich für das Gegenargument: „Aber wenn sie vom Planeten Krypton kommen, dann doch!“
Bei Jessica Jones sind Atmosphäre, Set und Setting jedoch so glaubhaft und heutig, dass es fast schade ist, sie als Superheldin und damit als unglaubhaft zu präsentieren. Als fiktionale, aber realistische Figur würde sie mit ihrer konsequent nicht klischeehaften Haltung und ihrer sarkastischen Coolheit einschlagen wie Laurie Penny einst in der Genderdiskussion. Und mehr zitierfähige Sprüche wie der oben genannte könnte Jessica ebenfalls gut vertragen.
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