Serie: Wie weiter, Germans? (5): Von Kretschmann lernen
Zu viel fordern ist nicht gut. Zu wenig auch nicht. Wie gewinnt man politische Mehrheiten für einen ernsthaften Kampf gegen den Klimawandel?
Hat Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann recht? Verlieren die Grünen wegen der Ansage eines Zulassungsendes für Verbrennungsmotoren ab 2030 einige Prozente und die Machtoption?
Das gilt nicht nur ihm als Lehre aus den Kommunikationsdesastern mit „fünf Mark für den Liter Benzin“ und dem Veggieday in Kantinen. Oder sind unbequeme, konkrete Forderungen auch jenseits des Mainstreams wichtig, weil ehrliche Opposition besser ist als strategisches Regieren und längerfristig zu wirklichem Wandel führt?
Im unausgesprochenen Kern dieser Debatte steht die Frage, mit welcher Methode man in Deutschland für eine ökologischere Politik Mehrheiten gewinnt. Und noch rätselhafter: Wie gewinnt man Mehrheiten für den Übergang ins Nirwana der sozial-ökologischen Transformation? Gibt es dafür überhaupt ein kompaktes politisches Lager und was sagen dazu die klugen Vordenker des Postwachstums?
Leider wenig. Wer ein paar Bücher zu den Themen Nachhaltigkeit, Postwachstum und Degrowth gelesen hat, ist zwar bestens versorgt mit klugen Ratschlägen, was gemacht werden sollte. Aber überhaupt nicht, wie man politische Mehrheiten dafür organisiert.
Qualitatives Wachstum
Alle Nachhaltigkeitsvertreter sind sich einig, dass das westliche Modell von Konsum und Produktion nicht weltweit übertragbar ist. Daher soll die Wirtschaft umgebaut werden und die Umweltzerstörung beendet. In der pragmatischsten Variante nennt man das „ökologische Modernisierung“, ein Begriff, den beispielsweise der Berliner Politikwissenschaftler Martin Jänicke prägte. Alternative Begriffe sind „Green Growth“ und „Green Economy“. Die verwenden UN, OECD und EU. Damit soll ein qualitatives Wachstum erzielt werden, also Entkopplung von Wachstum und Umweltzerstörung.
Wie weiter, Germans? Über die entscheidenden Zukunftsfragen wird weder vor noch nach der Wahl gesprochen: Wir stellen sie. In der neuen Ausgabe von taz.FUTURZWEI, Magazin für Zukunft und Politik.
Das Paradebeispiel dafür: Die Erneuerbaren ersetzen die fossilen Energien und die Wirtschaft wird dadurch bis 2050 dekarbonisiert. Das ist immerhin ein offizielles Ziel der Europäischen Union, CDU-Kanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker unterschreiben es und alle im Bundestag vertretenen Parteien. Auf dem Papier. Faktisch bremste die Regierungskoalition aus Union und SPD in der letzten Wahlperiode die Erneuerbaren aus. Grüner Verkehr und grüne Landwirtschaft finden derweil national und in der EU noch gar keine parlamentarischen Mehrheiten.
Der politische Streit in Deutschland und in der EU bezieht sich noch nicht wirklich auf echte Postwachstumsfragen, sondern auf den Kurs der ökologischen Modernisierung. Der Ersatz des Benzinautos durch das Elektroauto ist klassische ökologische Modernisierung, auch wenn es den Umbau eines ganzen Wirtschaftssektors betrifft.
Für regierende Parteien in Autoregionen – siehe Kretschmann – ist gerade das wegen der offensichtlichen Arbeitsplatzfrage schwierig. Doch sollen sich die Grünen hier weit aus dem Autofenster lehnen und für die anderen Parteien die unangenehmen Botschaften verkünden und geprügelt werden?
Eindeutige und ambitionierte Ziele sind wichtig
Hermann Ott (56) ist Nachhaltigkeitsforscher beim Wuppertal Institut und war zuvor als Bundestagsabgeordneter der Grünen Mitglied jener Enquete-Kommission, die sich mit Wohlstand, Wachstum und den richtigen Indikatoren dafür beschäftigte.
Er formuliert vorsichtig, war stets eher Wissenschaftler als Politiker, kein Mann einfacher Antworten. Gerade kommt er von einem Kongress in Berlin zur Frage der Kommunikation von Postwachstum in den Medien. Ja, sagt er, die Grünen sollten in jedem Fall auch deutliche Jahreszahlen und ambitionierte Ziele formulieren. Er sei froh, dass dies im aktuellen Wahlprogramm auch mit Blick auf Verbrennungsmotor und Kohleausstieg (2030) der Fall sei. Das sei auch psychologisch wichtig, sonst bleibe das viel zu unverbindlich. Man setze damit auch Diskussionen.
Allerdings bedarf es innerhalb der Partei einer besseren Kommunikation, als dies beim Verbrennungsmotor gelungen ist. Dahinter steht etwas Grundsätzliches: Ökologische Modernisierung ist immer noch schwer zu kommunizieren, selbst wenn sie als moderne Industriepolitik verkauft werden kann. Das gilt erst recht für Punkte, die das Wachstum direkt infrage stellen.
Ist das Grüne Programm für Ott bereits ein Postwachstumsprogramm?
„Sicher nicht umfassend“, meint er, „aber es enthält Elemente.“ Im Gegensatz noch zu 2009 der Fall werden Bereiche genannt, die nicht wachsen sollen (Kohle, Massentierhaltung, fossiler Autoverkehr) und konkrete Forderung erhoben nach neuen Indikatoren zur Wohlstandsmessung jenseits des Bruttoinlandsprodukts. Ott ist immer noch enttäuscht, dass die Arbeit seiner Enquete-Kommission nicht zu einem innovativen Indikatorensatz führte.
Alternative Wohlstandsberichte zeigen, dass Wachstum eben auch in Deutschland nicht eins zu eins mehr Wohlstand bedeutet. Doch Indikatoren wie der ökologische Fußabdruck werden im Wahlkampf keine Rolle spielen, sondern wie gehabt: Wachstumsraten, Arbeitslosenzahlen und Exporterfolge.
Vorbilder Brandt und Schröder
Merkels Ökobilanz
Historisch gesehen haben Parteien mit Ansagen und Elementen der ökologischen Modernisierung durchaus politische Mehrheiten gewonnen, in Deutschland waren das Brandt/Scheel (Anfänge moderner Umweltpolitik), Schröder/Fischer (Atomausstieg/ökologische Steuerreform) und Kretschmann in Baden-Württemberg (erneuerbare Energien). Auch Merkels Energiewende wurde vom Wähler bestätigt. Empirisch haben Martin Jänicke und andere in den letzten vierzig Jahren dokumentiert, wie damit Umweltprobleme (Boden, Wasser, Luft) trotz Industrialisierung verbessert und „grüne“ Arbeitsplätze geschaffen wurden.
Doch das sei eben keine Lösung für die großen globalen Probleme, rufen jetzt die Skeptiker des grünen Wirtschaftens. Sowieso alles viel zu technikgläubig! „Decoupling“, Entkopplung, funktioniere nicht. Deshalb müssten einige Wirtschaftsbereiche quantitativ schrumpfen, speziell der Auto- und Flugverkehr, die Fleischproduktion, die Neubauten, dafür Bildung und Altenpflege gestärkt werden. So sieht das Tim Jackson, Professor für Nachhaltigkeit an der Universität Surrey und der britische Vordenker des „Wohlstands ohne Wachstum“. Sein gleichnamiges Standardwerk ist gerade in einer neuen deutschen Ausgabe erschienen.
Jackson, 60, war auch Berater von Labour in Sachen Wachstum und Wohlstandsmessung und war es schon zu Regierungszeiten. Er schreibt und formuliert auch für Nichtakademiker verständlich, das erhöht seine Wirkungskraft deutlich.
Die Frage, ob Postwachstum bei der jüngsten britischen Wahl eine Rolle spielte und ob politische Mehrheiten in Sicht seien, erheitert Jackson. „Postwachstum ist im Moment sicher von ganz anderen Themen wie Brexit, Migration, Terrorismus überschattet“, sagt er. Interessanterweise habe aber Premierministerin Theresa May einen Slogan übernommen, der in einer Arbeitsgruppe unter seiner Beteiligung entwickelt wurde und den zuerst die britischen Grünen und dann auch Labour verwendeten.
Kein Wohlstand trotz Wachstum
Der Slogan lautet: „An economy that works for everyone“, eine Wirtschaft, die für alle funktioniert. Damit sei impliziert, was Wachstumskritiker festgestellt haben: Vielen Briten geht es trotz Wachstum nicht besser. Dass heiße natürlich nicht, dass Konservative oder Labour jetzt einen Postwachstumskurs fahren würden, sagt Jackson.
Und politische Mehrheiten? Jackson meint, wie Ott übrigens auch, wer heute nicht zuerst mit guten Vorschlägen zur Verbesserung der sozialen Situation der Leute komme, der könne auch nicht mit Forderungen nach grünen Steuern oder sonstiger grüner Regulierung Erfolg haben. Zu oft hätten gerade die benachteiligten Haushalte das Gefühl, sie würden dadurch nur belastet, hätten aber selbst keine Vorteile.
Jackson ist vom Typ pragmatischer Brite und hält nichts davon, die große Kapitalismusfrage zu stellen, obwohl er ein Grundeinkommen, eine Transaktionsteuer, eine Reform der Geldschöpfung und andere fundamentale Eingriffe in das Wirtschaftssystem fordert. Ob es noch Wachstum brauche und welche Kombination von privatem und öffentlichen Unternehmen es in der Postwachstumswirtschaft geben müsse, dies werde erst im Laufe des Prozesses deutlich. Wachstum dürfe allerdings kein Ziel an sich sein und es sei unklar, ob der nötige Ausbau einiger Bereiche (wie Dienstleistungen) und der Abbau anderer überhaupt noch Wachstum im heutigen Sinne zulasse.
Spätestens jetzt müssten radikalere Wachstumskritiker wie der Oldenburger Ökonom Niko Paech aufschreien: Selektives Wachstum allein reicht nicht. Die ganze Wirtschaft, unsere Produktion und unser Konsum müssen absolut schrumpfen, wenn wir es ernst meinten mit nachhaltiger Entwicklung!
Flughäfen zu Nachbarschaftsgärten?
Paech plädiert darum auch für den Rückbau von Infrastruktur. Auf stillgelegten Flughäfen oder Autobahnen könnten dann erneuerbare Energien aufgebaut werden. Denn auch grüne Technik wie Windenergie und Photovoltaik lösten eben keine Probleme, wenn sie – wie bei der deutschen Energiewende – dem Muster des alten Wachstumsdenkens folgten, inklusive Naturzerstörung. Es ist nicht überraschend, dass solche weiter gehenden Forderungen in Deutschland bisher keinen Eingang in aktuelle Wahlprogramme gefunden haben. Wer gewinnt Wahlen mit der Ansage, den Regionalflughafen zu schließen?
Das ist der heikelste Punkt: Verzicht. Die Vertreter der Suffizienz sagen, Postwachstum bedinge auch staatlich gesteuerte oder freiwillige Genügsamkeit. Wie überzeugt man aber Leute, dass Gerechtigkeit nur global definiert werden kann und weniger hier und mehr dort jetzt angesagt ist?
Indem man argumentiert: Weniger arbeiten und weniger Geld, bedeute mehr Genuss, also das gute Leben. Niko Paech antwortet auf die Frage nach politischen Mehrheiten, dass diese eben nicht wie „green growth“ aus dem „stahlharten Politikgehäuse kommen können, das von der Angst ummantelt ist, sensible Wähler durch unbequeme Wahrheiten zu ängstigen“. Erst wenn eine „de-globalisierte und partiell de-industrialisierte Lebenskunst sichtbar wird, gewinnen politische Akteure den Mut, sich auf eine Postwachstumsstrategie einzulassen“. Soll heißen: Je mehr Leute als Pioniere zeigten, dass es geht, mit selbst angebautem Gemüse und Urlaub ohne Flieger, desto eher wird sich die Politik bewegen.
„Ohne Suffizienz – also Verhaltensänderungen – wird es wohl nicht gehen“, sagt auch Felix Ekardt, „aber sicher helfen die Glücksversprechen zum Leben mit weniger Konsum nicht wirklich.“ Ekardt (45), Professor für Nachhaltigkeit, wohnt in Leipzig, ist ein erstaunlich gut gelaunter Öko und passionierter Nichtflieger.
Er hat gerade mit Wir können uns ändern ein sehr differenziertes Buch veröffentlicht über Bedingungen gesellschaftlichen Wandels. Längst nicht alles werde durch Technik, also einer Effizienzstrategie zu lösen sein, aber Mehrheiten für eine Politik, die auf Verhaltensänderungen abzielt hin zu einem bescheideneren Leben, seien noch nirgends in Sicht, sagt Ekardt. Das werde ein sehr schwieriger gesellschaftlicher Prozess. In erster Linie setzt er auf Verhaltensänderungen, die durch politische Instrumente wie den Emissionshandel gesteuert werden.
Kein Platz für eine Suffizienzdebatte
Ekardt machte 2013 als Oberbürgermeisterkandidat in Leipzig einen weitgehenden sozialökologischen Wahlkampf, mit einem für Sachsen sehr guten Ergebnis (9,8 Prozent), aber eben chancenlos. Den Traum von „suffizienten“, regionalen Postwachstumsinseln träumt er allerdings nicht, auch nicht vom Ende des Kapitalismus.
Dessen Kritiker halten die Verzichtsdebatte sowieso für eine verwöhnte Luxusperspektive der Reichen des globalen Nordens. Herrschaft und Ungleichheit im Kapitalismus sind für sie das eigentliche Problem der ökologischen Zerstörung. Es kann kein echtes Elektroauto auf der falschen kapitalistischen Straße geben. Ulrich Brand (50) gehört dieser Strömung an, Professor in Wien, der als Berater wie Ott an der Wachstums-Enquete im Bundestag beteiligt war.
Warum Kanzlerin Merkel bei den Wählern gut dastehe? Das hänge, meint Brand, sicher damit zusammen, dass die heutige „imperiale Lebensweise“ eben breit akzeptiert sei. Um den Export von Umweltschäden und Unterdrückung in den Kontext von Wahlen zu bringen, müssten Herrschaftsfragen im Postwachstumsdiskurs deutlicher gemacht werden, insbesondere wenn es um die Macht von großen Konzernen gehe. Er selbst setzt auf konkrete Projekte, beispielsweise mit Gewerkschaften.
Aber wie kann man die für die Konversion der Autoindustrie gewinnen? Brand gibt zu, dass sich hier auch linke Partien schwertun. Einige in der Linkspartei besetzen Postwachstum nicht nur mit Entmachtung von Konzernen und Banken, sondern mit weniger Globalisierung und EU. Das gehört beispielsweise zum Sound der Linkspartei-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht.
Brand ist kein Freund von linken Renationalisierungsträumen. Dafür stellt er fest, dass auch bei linken Parteien Verteilungsfragen noch recht klassisch, Brand nennt es „neo-fordistisch“, gesehen werden. Logik: Auch zum gerechteren Verteilen der Gewinne braucht es erst einmal Wachstum. Wenn Postwachstum, dann bitte ohne Wegfall von Arbeitsplätzen, Lohnerhöhung, Kündigungsschutz und Grundeinkommen. Das heißt, auch ein Mitte-links-Bündnis, das national oder in der EU Mehrheiten erkämpft, wäre nicht automatisch offener für die unangenehme Frage nach dem ausbleibenden Wachstum. Gerade SPD und Linkspartei tun sich mit selektivem Wachstum schwer, siehe Kohlearbeitsplätze in NRW und in der Lausitz.
Kein gemeinsames politisches Lager
Das Links-rechts-Denken funktioniert hier überhaupt nicht. Das ist die entscheidende Erkenntnis: Es gibt kein gemeinsames politisches Lager der Grün- oder Postwachstumsgesellschaft. Politisch liegen Welten zwischen einem Programm der technikfreundlichen, ökologischen Modernisierung im Rahmen der EU (mit vorsichtigem selektivem Wachstum) und einem antikapitalistischen sozialökologischen Programm, das gegen EU und Globalisierung antritt.
Auch die radikalen Degrowth-Programme mit Schrumpfung, Einkommensverzicht, Tausch- und Regionalwirtschaft sind nicht breit anschlussfähig. Dass sich die Lager gerne gegenseitig diskreditieren, hilft auch nicht weiter. Faktisch sind die ökologischen Modernisierer noch am ehesten in der Lage, politische Mehrheiten zu organisieren.
Winfried Kretschmann wurde als solcher von dreißig Prozent auch gewählt, um Wohlstand und ökologische Industriepolitik zusammenzubringen. Die Baden-Württemberger haben dabei aber sicher nicht Degrowth im Sinn. Aber „green economy“ schon. Darum müsste der Umbau der Autoindustrie Kretschmanns politische Kernaufgabe sein, mitsamt innovativen Steuerungsinstrumenten. Er könnte durchaus kommunizieren, dass der Verlust von Wettbewerbsfähigkeit ohne gesetzliche Vorgaben wie Zulassungsende und Elektroquoten wesentlich wahrscheinlicher sei als mit. Das ist noch kein Postwachstum, sondern eben klassische ökologische Modernisierung.
Wenn Daimler und Porsche 2030 nicht unter den Marktführern der Elektromobilität sind, hat Baden-Württemberg sehr wahrscheinlich ein Problem. Und dann hat Winfried Kretschmann seine Aufgabe eben nicht erfüllt und sollte dafür kritisiert werden. Doch für den Rückbau der Autobahnen müssen andere erst Mehrheiten gewinnen.
Dieser Text ist aus der neuen Ausgabe der FUTURZWEI. Seit dem 12. September am Kiosk oder auch direkt hier zu bestellen.
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