Serie Tempelhofer Feld: Letzte Glatze vor dem Urstromtal
Für Umwelt-Aktivisten ist der ehemalige Flughafen eine schützenswerte ökologische Nische - bezahlberer Wohnraum ist ihnen egal.
Kurz hinter dem Eingang am S-Bahnhof Tempelhof treibt der Wind Plastikfetzen über den platten Rasen. Bombastisch liegt die Leere des Felds vor dem Besucher, an diesem dunstigen Tag ist die Häuserkante auf Neuköllner Seite nur ein dunkler Streifen am Horizont. Nebelkrähen staksen herum, oben fliegt ein Taubenpaar vorbei. Stadtvögel eben. Und über allem liegt wie eine schmutzige Decke der Lärm von der Stadtautobahn. Das soll ökologisch wertvoll sein?
Weiter in Richtung Westen. Das Rauschen der Motoren bleibt die akustische Dominante. Ein wenig in den Hintergrund gerät es erst, als plötzlich das Gezwitscher da ist, ein anhaltendes Piepsen und Trillern, das von da kommt, wo man es nicht erwarten würde: irgendwo aus der Luft. Am Himmel ein kleiner flatternder Punkt, der lange an einer Stelle bleibt, um dann unvermittelt nach unten zu fallen.
Wer nahe genug herankommt, erkennt einen braungrau gefleckten Vogel mit strubbeligem Köpfchen: Alauda arvensis, die Feldlerche. Wenn man so will, ist sie das Symbol für den Kampf, den Naturschutz-Aktivisten gegen die Umgestaltung des Tempelhofer Felds führen.
Der Feldlerche geht’s gut
Nicht, dass die Feldlerche vom Aussterben bedroht wäre. Die Rote Liste der Internationalen Naturschutz-Union IUCN führt sie in der Kategorie „Least Concern“, sie macht sich keine Sorgen um den Bestand der Spezies. Während das „V“ wie „Vorwarnung“ auf Berlins landeseigener Liste bedeutet: Die Art ist ungefährdet – wir schauen nur ein bisschen genauer hin, ob das so bleibt.
Aber für Stadtmenschen ist der charakteristische „Singflug“ der Feldlerche eben etwas Besonderes. Trotz jahrzehntelangen Flugbetriebs lebt auf dem Tempelhofer Feld fast ein Viertel der gesamten Berliner Population – an die hundert Brutpaare werden gezählt.
Warum haben Jets und Propellermaschinen die Vögel eigentlich nicht vertrieben? „Die Natur ist anpassungsfähig“, sagt Christiane Bongartz vom Verein 100 % Tempelhofer Feld. „Die Lerchen haben mitbekommen, dass die Flugbewegungen keine Bedrohung für sie darstellen. Das wird dann ins Verhaltensmuster eingepflegt“, weiß die Umweltaktivistin, die auch am Gesetzentwurf der Bürgerinitiative mitgeschrieben hat. „Umgekehrt sind die offene Landschaft und das große Angebot an Insekten auf den Langgraswiesen für die Vögel attraktiv.“
Bongartz erklärt detailreich die ökologischen Nischen des Tempelhofer Felds – und ihre Gefährdung durch die Bebauungspläne des Senats. Dabei geht es ihr nicht nur um Tiere – auch wenn neben der Feldlerche 24 weitere Vogelarten auf dem Gelände brüten und laut einem Gutachten von 2005 236 Bienen- und Wespenarten hier leben. „Man muss es sich vorstellen wie die letzte Glatze des Teltow“, sagt sie: 335 Hektar offene Fläche an der Kante zum Berliner Urstromtal, mit Sandtrockenrasen und Glatthaferwiesen, die in Sommernächten viel Wärme abstrahlen und Luftfeuchtigkeit als Tau binden. Die Funktion des Felds als Kaltluftreservoir für die umliegende Stadt sei bekannt, so Bongartz, aber der Senat nehme das nicht ernst genug.
Dem widerspricht Petra Rohland, Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung: Sämtliche Planungsschritte der vergangenen Jahre seien von Klimaexperten begleitet worden. Der Masterplan sehe denn auch vor, den klimatisch mildernden Effekt durch „Grünfugen“ zwischen Feldmitte und Außenquartieren zu erhalten. Aber ein „Kühlschrank“ für große Teile Berlins sei das Feld eben nicht. Das hätten klimaökologische Untersuchungen ergeben.
Die Senatsseite hat eben ihre eigene Öko-Logik: Gefahr für die Feldlerche? Seit Beginn der Freizeitaktivitäten auf dem Feld habe sich der Bestand eher noch erhöht. Und wenn sich das durch eine Bebauung ändern sollte, stelle Berlin landwirtschaftliche Flächen als Ausgleich zur Verfügung. Die Berliner Stadtgüter GmbH habe sich bereits verpflichtet, 25 Jahren lang die Aufwertung ihrer Flächen in Brandenburg als Brutreviere durchzuführen.
Etwa in der Mitte der südlichen Start-und-Lande-Bahn wird es langsam leiser. Die A 100 knickt in Richtung Süden ab, der Tempelhofer Damm liegt schon fast anderthalb Kilometer hinter uns. Hier, auf Höhe des ehemaligen Drehfunkfeuers, soll nach dem Masterplan des Senats ein Fahrradschnellweg das Feld in Nord-Süd-Richtung kreuzen. Ein Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung des städtischen Verkehrs, eine Direktverbindung zwischen Tempelhof und Kreuzberg, die Autos vorenthalten bleibt. Wenn am 25. Mai der Gesetzentwurf der Feld-Freunde durchkommt, wird es auch diesen Weg nicht geben. Jeder infrastrukturelle Eingriff innerhalb des ringförmigen „Taxiway“ wäre tabu.
Kann das ökologisch sinnvoll sein? Ja, meint Tilman Heuser, Geschäftsführer des BUND Berlin. Die wertvollen Wiesen dürften nicht durch neue Wege zerschnitten werden – und der Fahrradweg sei verkehrstechnisch gar nicht sinnvoll, solange der südliche Feldrand unbebaut bliebe. Wirklich Sinn mache die Strecke nur als Anbindung des Wohnquartiers, das die Bürgerinitiative ja verhindern will. „Unterhalb liegt ein großes Gewerbegebiet, das nicht dringend auf dem Fahrrad erreichbar sein muss“, so Heuser. Viel sinnvoller sei es, die Oderstraße im Osten als Fahrradroute auszubauen. Und „Weiter westlich reichen die vorhanden Wege weitestgehend aus.“
Das mit dem Fahrradweg, der nicht gebaut werden könnte, steht auch auf großen Bannern in der Nähe aller Feldzugänge. Aufgehängt hat sie das Dreigestirn, das hier den Ton angibt: die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die für den Park zuständige Grün Berlin GmbH und die Tempelhof Projekt GmbH, die das Flughafengebäude vermarktet. Warnend zählen sie auf, was ein erfolgreicher Volksentscheid außer neuen Wohnungen noch alles verhindern würde: auch jegliche Baumpflanzung im zentralen Bereich beispielsweise.
Schattenloses Wiesenmeer
Das steht tatsächlich so im Gesetzentwurf der 100%ler, und für Laien ist das auf den ersten Blick schwer nachzuvollziehen. Wo Bäume und Baumgruppen im nördlichen Bereich des Felds die Weite strukturieren, steigt die Aufenthaltsqualität. Hierher zieht es deutlich mehr Menschen, zu Fuß oder auf Rollen. Und bietet eine baumbestandene Fläche nicht mehr ökologische Nischen als ein schattenloses Wiesenmeer?
Für die Verteidiger des Status quo ist klar: Die sogenannte Offenlandschaft hat einen ökologischen Wert, der an sich schützenswert ist mit seiner spezifischen Flora und Fauna. Dass menschliche Nutzer im Gegensatz zur Feldlerche und anderem Getier gern ein bisschen Schatten hätten, ist verständlich, aber nicht oberstes Gebot. Jedenfalls nicht im zentralen Wiesenbereich. Und das bereits vorhandene „Wäldchen“, dort, wo sich in den 1920er Jahren der erste Flughafen befand, habe ausreichend Kraft, sich selbst zu regenieren, sagt Christiane Bongartz. Zudem seien schattenspendende Solitärbäume im äußeren Ring durchaus erwünscht. Nur muss dazu noch ein äußerer Ring vorhanden sein – wird der Feldrand nach dem Masterplan des Senats bebaut, gibt es diesen äußeren Ring nicht mehr.
Es ist die Kernaussage der Bebauungsgegner, wenn von Ökologie die Rede ist: Jede urbane Nutzung des Randbereichs drängt die vorhandenen Freizeitaktivitäten in die Feldmitte, ins Allerheiligste sozusagen, das Jogger, Kiter und Kicker, Grillende und Chillende mit bemerkenswerter Selbstverständlichkeit als Tabuzone akzeptieren – zumindest in der kritischen Zeit, wenn Schilder auf Brutaktivität hinweisen.
Am östlichen Ende des Flughafengebäudes schließlich, wo man das Feld nach Norden zum Columbiadamm verlassen kann, sollten eigentlich schon Bagger im Boden wühlen. Aber das Verwaltungsgericht hat Ende Februar den Bau des großen, sichelförmigen Wasserbeckens gestoppt, nachdem der BUND gegen die Baugenehmigung der Senatsverwaltung geklagt hatte. Noch ein Zankapfel, diesmal sogar unabhängig von den Bebauungsplänen.
Der Senat wähnt sich hier im Einklang mit Nutzern und Anwohnern. Immerhin ergab eine Umfrage nach Öffnung des Feldes im Mai 2010, dass eine große Mehrheit ein Wasserelement vermisst. Und das Becken, das den Regenwasserablauf vom Flughafendach und dem asphaltierten Vorfeld auffangen und durch einen Schilfgürtel filtern soll, würde Amphibien und Insekten neue Lebensräume eröffnen. „Ökologisch und wirtschaftlich vorbildliche Lösung in der Bewirtschaftung von Niederschlägen“ heißt das im Jargon der Planer. Auch das lokale Kleinklima profitiere durch die Verdunstungseffekte im Sommer, erklärt Rohland.
Das Wasserproblem
Für BUND-Geschäftsführer Tilman Heuser liegt das Problem weniger im Becken selbst als vielmehr darin, was mit dem Aushub geschehen soll: über 100.000 Tonnen Erdreich, mit denen mitten auf dem Feld eine Art Damm modelliert werden soll. Aus Planersicht entstehen dadurch nicht nur interessante Aussichtspunkte für Zweibeiner, sondern auch neue Lebensräume für andere Arten. Mag ja sein, sagt Heuser. „Aber wenn ich schon wertvolle Biotope habe, muss ich die nicht zerstören, um dann wieder neue anzulegen.“
Auch Christiane Bongartz findet den Bürgerwunsch nach mehr Nass verständlich. „Aber warum muss es zwangsläufig ein Becken sein? Warum nicht ein Springbrunnen?“ Sie hat den Verdacht, dass die Eventindustrie, die das Flughafengebäude mitsamt dem Vorfeld bespielt, Interesse an einer großen Wasserfläche haben könnte. Rohland weist solche Spekulationen zurück: „Eine Ausweitung von Event-Nutzungen, die im Flughafengebäude oder auf dem Vorfeld stattfinden, auf das Wasserbecken ist nicht vorgesehen.“
Ökologie ist die Lehre von komplexen lebendigen Systemen, und komplex ist auch die Problematik, was auf dem Tempelhofer Feld leben darf – und vor allem, wie. Eins immerhin ist klar: Wer den Masterplan des Senats aus ökologischen Gründen ablehnt, wird sich von Sozialwohnungen zum Nulltarif nicht umstimmen lassen.
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