Serie „Hostage“ auf Netflix: Die Geisel der Politik
Entführungen, Sex-Skandale und rechte Parolen: Die Miniserie „Hostage“ verwebt aktuelle Krisen zu einem Thriller über die Bedrohung der Demokratie.

Beim Gipfeltreffen der britischen Premierministerin Abigail Dalton (Suranne Jones) und der französischen Präsidentin Vivienne Toussaint (Julie Delpy) in London geht es hart zur Sache. In Großbritannien bricht die Versorgung mit Medikamenten zusammen, Frankreich könnte helfen. Präsidentin Toussaint fordert im Gegenzug ein strengeres Grenzregime mit französischen Soldaten auf britischem Territorium. Die heikle Verhandlungssituation eskaliert, als der Ehemann der englischen Premierministerin in Französisch-Guyana von Terroristen entführt wird und die französische Präsidentin gleichzeitig wegen eines Sex-Skandals erpresst wird.
Die Netflix-Serie „Hostage“ wirkt im ersten Moment arg konstruiert und wie ein Potpourri aktueller politischer Themen. Das reicht von der Krise der Gesundheitsversorgung und gekürzten Sozialkassen über nörgelnde Militärs und Debatten um Migration bis hin zum drohenden Rechtsruck in Frankreich. Aber die Miniserie entwickelt sich im Laufe der fünf Episoden zu einem spannenden Thriller über die derzeitige Krise der Demokratie und wirft die Frage auf, wie leicht es für eine Gruppe Verschwörer ist, das demokratische Gleichgewicht einer europäischen Demokratie aus der Balance zu bringen.
Die Entführung des Mannes der britischen Premierministerin, der bei Ärzte ohne Grenzen arbeitet, löst eine Regierungskrise aus. Dabei ist Abigail Dalton eh unter Beschuss, weil sie ihr Wahlversprechen, die Gesundheitskrise des NHS zu lösen, nicht einhält. Das wird dramaturgisch durchexerziert von der Unterhaussitzung bis zum bangen Moment in der geheimdienstlichen Einsatzzentrale beim Kontakt mit den Entführern. Hilft Frankreich bei der Befreiung der verschleppten Ärzte oder sind der Präsidentin die Hände gebunden? Worum geht es bei der Erpressung und welche Rolle spielt ihr Stiefsohn, der seinen Vater, einen französischen Medienmogul, bis aufs Blut hasst?
Die französische Präsidentin wiederum steht kurz vor der Wiederwahl und hat sich bereits Parolen der Rechten zu eigen gemacht, in der Hoffnung, so deren Wahlsieg zu verhindern. Die demokratischen Politiker sind in dieser Serie Getriebene, die nur noch reflexhaft auf den Druck von Terroristen und rechten Ideologen reagieren. Bis sich die beiden Frauen zusammentun und beschließen, sich gemeinsam zu wehren, egal ob es ihrer aktuellen politischen Agenda nützt.
Rund um den Wahlsieg Donald Trumps gab es eine ganze Reihe Serien, die den Kampf gegen Faschismus und Rassismus thematisierten, wie „Watchmen“, „Hunters“, „The Man in the High Castle“, „Penny Dreadful – City of Angels“ bis hin zur zweiten Staffel des Star-Trek-Spin-offs „Picard“, in der eine Crew durch die Zeit reist, um Faschisten zu besiegen. Während sich in diesen Serien widerständige und unangepasste Figuren zum Kampf zusammenschließen, sind es hier gestandene demokratische Politiker, die des Machterhalts wegen mit rechten Positionen kokettieren, dann aber den Parlamentarismus verteidigen und Verschwörungen aufdecken.
Der Titel „Hostage“ hat nicht nur mit der Entführung des Mannes der Premierministerin zu tun, sondern weist auch auf die Gefahr für die Demokratie hin, wenn rechte Ideologen den Ton angeben und Sicherheitsbehörden sowie Militär plötzlich eine ganz eigene Dynamik entwickeln. Welche Rolle Veteranen für die weltweite rechtsextreme Bewegung spielen, darauf wies unlängst die Arte-Doku „World White Hate“ hin. „Hostage“ lotet fiktional aus, wie so etwas aussehen könnte. Auch wenn das mitunter etwas bemüht wirkt, ist die Serie absolut sehenswert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Robert Habeck tritt ab
„Ich will nicht wie ein Gespenst über die Flure laufen“
Kritik am Selbstbestimmungsgesetz
Kalkulierter Angriff
Krise Polen-Ukraine
Wer soll Polen dann noch helfen?
Habeck gibt Bundestagsmandat ab
Her mit der neuen Idee
Berlins neuste A100-Verlängerung
Vorfahrt für die menschenfeindliche Stadt
Tricksereien in der Navigationssoftware
Anti-Auto-Aktion auf Google Maps