Serbiens Reaktionen auf den Krieg: Seiltanz in Belgrad
Zwischen Erinnerungen an die eigene Bombardierung 1999 und der Nähe zu Russland: Regierung und Bevölkerung in Serbien sind hin- und hergerissen.
Die offizielle serbische Stellungnahme zeigt letztlich den serbischen außenpolitischen Seiltanz zwischen Ost und West: Man unterstützt die territoriale Integrität der Ukraine, doch lehnt es ab, gegen Russland Sanktionen zu verhängen. Wörter wie „Verurteilung“ oder „Verdammung“ wurden hinsichtlich Russlands strikt vermieden.
Serbiens Nationaler Sicherheitsrat hatte mehrmals getagt, um über jedes einzelne Wort zu beraten und wartete zugleich ab, um zu sehen, wie westliche Staaten und China auf die russische Invasion reagieren würden.
Das Zögern der serbischen Staatsspitze war nachvollziehbar: Das Land ist bei seiner Energieversorgung abhängig von Russland, zugleich ist die Europäische Union mit Abstand der größte Handelspartner und Geldgeber. Wladimir Putin erwartet Loyalität von Partnern, die russisches Gas zum Vorzugspreis bekommen und umgekehrt erwartet die EU vom Beitrittskandidaten Serbien, dass es seine Außen- und Sicherheitspolitik mit Brüssel in Einklang bringt.
Mit neutraler Haltung durchmogeln?
Der serbische Machthaber Vučić hofft auch diesmal mit einer neutralen Haltung davonzukommen und weder Moskau noch Brüssel und Washington allzu sehr zu brüskieren oder gar zum Feind zu machen.
Dabei geht es nicht nur um außenpolitische und wirtschaftliche Sorgen. Die Serben sind ausgesprochene russophile „Putinversteher“. Russland wird als die slawisch-orthodoxe Schutzmacht Serbiens empfunden. Vereinfacht gesagt, lieben die Serben die Russen. Und dann finden am 3. April noch Parlaments-, Präsidentschafts- und Kommunalwahlen statt und da kann man es sich nicht leisten, sich gegen Russland zu wenden.
Auch der staatliche Rundfunk berichtete von einer russischen „speziellen militärischen Aktion“ in der Ukraine und nutzte damit Putins Ausdrucksweise und sprach nicht etwa von einer „Aggression“ oder „Invasion“. Eine Klassifizierung dessen, was in der Ukraine passiert, wird in regimetreuen Medien strikt vermieden. Die gleichgeschalteten Boulevardblätter betonten, dass der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski Friedensgespräche mit Putin „abgelehnt“ hätte.
In Fernsehtalkshows wechselten sich außenpolitische Analytiker ab, die erklärten, dass Putin völlig zu Recht von der Nato forderte, die Osterweiterung einzustellen und ihre Raketen aus der Nähe der russischen Grenzen abzuziehen.
Erinnerung an die Nato-Bomben auf Serbien 1999
Und man sprach immer wieder von der heuchlerischen Haltung des Westens. Denn die Nato hatte 1999 das souveräne Serbien fast drei Monate lang bombardiert, das Völkerrecht mit dem Recht des Stärkeren ersetzt und danach das serbische Territorium Kosovo von Serbien abgespalten. Und wenn Russland das Gleiche mache, rege sich der Westen im Brustton moralischer Überlegenheit auf.
Der Krieg in der Ukraine löst in der kollektiven Seele der Serben einen Zweispalt aus: Einerseits riefen die Fernsehbilder aus der Ukraine – der heulende Fliegeralarm, das Rattern der Flak, die dumpfen Explosionen nach dem Einschlag der Marschflugkörper, die Einschläge in Wohnhäusern, verängstigte Menschen in Metrostationen – wieder das eigene Kriegstrauma hervor, worauf man sich mit dem Leid der Ukrainer identifizierte.
Andererseits kann man die Schadenfreude nicht unterdrücken, wenn es Putin dem Westen zeigt. Denn der Westen hätte den Serben im und nach dem Jugoslawienkrieg unerhörtes Unrecht angetan. Und letztendlich neigt man dann doch zu Russland, denn Moskau verhindere mit seinem Vetorecht die Aufnahme der Ukraine und „die Russen haben uns nie bombardiert“. Ein Schönheitsfehler ist, dass Putin nun mit der Bombardierung der Ukraine genau dies antut, aber was soll’s.
Serbien und die serbische Entität Republika Srpska in Bosnien sind ein russisches Standbein auf dem Westbalkan, was in der inzwischen euphorisch polarisierten Welt noch mehr zum Ausdruck kommt. Als Putin 2014 Belgrad besuchte, schmiss man ihm zu Ehren eine Militärparade. Hunderttausend Serben kamen in die Hauptstadt, um ihm zuzujubeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren