Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby: Tiefkühlkatze aufgetaut
Forscher haben in Sibirien ein gefrorenes Säbelzahntiger-Baby entdeckt. Seine Familie ist ausgestorben, aber die Säbelzahnfrösche haben noch eine Chance.
D as musste ja irgendwann mal schiefgehen! Wer die „Ice Age“-Filme kennt, weiß, dass ein Eiszeitgeschöpf bei all dem Gerenne und Geschliddere über Gletscher und Schneefelder irgendwann steckenbleiben oder einbrechen kann und dann schockgefrostet wird. Ice Ages Säbelzahnkater Diego entkam diesem Schicksal häufig nur knapp. Einen seiner Artgenossen in der Realität, ein unerfahrenes, erst drei Wochen altes Jungtier, hat es hingegen erwischt.
So lag das Kätzchen etwa 35.500 bis 37.000 Jahre lang tiefgefroren im Eis, bis russische Forscher es 2020 in Jakutien oberhalb des Polarkreises entdeckt und geborgen haben. Wo viele Verharmloser derzeit so inbrünstig nach den positiven Folgen des Klimawandels suchen – immerhin eine hätten wir hier: Mit zunehmender Betätigung der globalen Abtautaste taucht, ähnlich wie beim vergleichbaren Vorgang im heimischen Tiefkühlfach, so manche Überraschung aus den Eisschichten auf.
Die Tiefkühlkatze ist ein wissenschaftlicher Sensationsfund. Kopf und Vorderbeine des Tiers sind mit Haut und vor allem sehr vielen Haaren komplett erhalten. So konnten Forschende nun erstmals überhaupt einen Vertreter einer ausgestorbenen Tiergruppe ohne heute noch lebende, analoge Verwandte nicht nur in Form von Knochen oder Zähnen, sondern im Ganzen – beziehungsweise im vorderen Drittel – in Augenschein nehmen, inklusive Fell, Muskeln und Ohren. Ohne heute lebende Verwandte übrigens, weil die Säbelzahnkatzen nicht, wie ihr verbreiteter Name „Säbelzahntiger“ suggeriert, mit den Tigern direkt verwandt wären, sondern einen eigenen, aber vollständig ab- bzw. ausgestorbenen Zweig des großen Katzenstammbaums bilden.
So eine Säbelzahnkatze war mitunter ein ziemlicher Trumm. Einige der auch in Europa verbreiteten Arten erreichten Löwengröße. Ganze 400 Kilo wog ein ausgewachsenes Tier der nun aus dem Eis geborgenen, auch Scimitarkatze genannten Art Homotherium latidens. Zwar sieht das Kitty aus wie ein kuscheliges Kälbchen, hat aber eine erstaunlich kräftige Nackenmuskulatur, die die von heutigen Löwenjungen um das doppelte übertrifft.
Riesige Katzen mit Sonderausstattung
Man ahnt schon: Mit diesen Katzen war nicht gut Kirschen essen. Dabei hätten die langen Säbelzähne, zwei stark vergrößerte Reißzähne, um vermutlich büffelgroße Beutetiere und womöglich junge Mammuts aufzuschlitzen, auch bloß gestört. Weitere Besonderheiten der kleinen Säbelzahnkatze waren kleine Öhrchen, übergroße Pfoten, lange Beine und ein besonders dichtes Fell – Anpassungen an das eiszeitliche Leben auf Schnee, Eis und in großer Kälte.
Heutige Schneeleoparden, die in den eisigen Höhenzügen Asiens leben, zeigen ähnliche Sonderausstattungen. Das extrem dichte Fell isoliert bestens auch bei arktischen Temperaturen, die kleinen Ohren verhindern übermäßige Wärmeabfuhr über eine zu große Oberfläche, während die riesigen Tatzen das Einsinken im Schnee oder das Einbrechen im Eis durch die größere Aufsetzfläche verhindern.
Was einen Hinweis geben mag, warum die einst so erfolgreichen und weit verbreiteten Säbelzahnkatzenarten gegen Ende der Eiszeit ausgestorben sind. Der Klimawandel war schuld, damals noch nicht vom Menschen gemacht. Außerdem sei den Großkatzen die Nahrung ausgegangen, denn gleichzeitig verschwanden auch viele andere große Säugerarten. Allerdings sprechen neuere Untersuchungen an den Zähnen nordamerikanischer Säbelzahnkatzen dafür, dass die Räuber bis kurz vor Schluss reichlich zu futtern hatten.
Das nährt den Verdacht, dass neben dem Klimawandel auch der Mensch beziehungsweise seine Vorgänger Schuld am Katzenexitus haben könnten. Denn anders, als heutige Naturromantiker gerne verklären, gab es die edlen Wilden, die im Einklang und nachhaltig von und mit der Natur lebten, in Wirklichkeit nie. Der Mensch war immer schon ein im Zweifel auch seine eigenen Lebensgrundlagen zerstörender Killer, das Elend fing vermutlich schon an, als wir von den Bäumen gestiegen sind. Und von so alten Gewohnheiten lässt man ja nicht gern. Sodass das Aussterben der Säbelzahnkatzen am Ende womöglich doch wieder die unheilvolle Kombination von „menschengemacht“ und „Klimawandel“ war.
Rettet die Säbelzahnfrösche!
Aber andererseits: Es waren ja nur Katzen. Wenden wir uns interessanteren Tieren zu: Frösche! Anders als die Säbelzahnkatzen gibt es noch heute quicklebendige Säbelzahnfrösche, die auf den schönen Namen Odontobatrachus hören. Die leben an schnell fließenden Gewässern in Westafrika und haben tatsächlich ebenfalls zwei große reißzahnartige Fortsätze am Unterkiefer.
Was sie damit machen? Wohl keine Büffel reißen. Vielleicht ritzen sie sich damit gegenseitig an, um sich mit chemischen Lockstoffen, die in ihrem Drüsengewebe entdeckt wurden, geil zu machen. Aber wir wissen es nicht. Denn die meisten der Arten wurden überhaupt erst vor ein paar Jahren entdeckt und sogar in eine eigene Familie gestellt.
„Eine eigene Familie, na toll“, mögen Sie denken, „davon habe ich ein Dutzend allein bei mir in der Straße“. Aber seien Sie versichert: In der Zoologie ist so etwas eine ziemliche Sensation – die Säbelzahnfrösche sind sogar die einzige nur in Westafrika heimische Froschfamilie, sie hat sich also sehr isoliert entwickelt. Und nun drohen sie unglücklicherweise auszusterben. Schuld ist diesmal die Lebensraumzerstörung. Menschengemacht, versteht sich.
Aber anders als bei den eiszeitlichen Katzen können wir diesen Verlust noch verhindern. In einem „Ice Age“-Film würde Diego, Sid und ihren Verbündeten sicherlich etwas einfallen, um die bedrohten Säbelzahnkollegen zu retten. In der Realität müssen wir das wohl selbst schaffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen