Senat entscheidet nach langem Ringen: Maßnahmen-Päckchen zu Klimanotlage
Das in der Koalition umstrittene Paket zum Klimaschutz fällt kleiner aus und enthält kein konkretes Datum für eine verbrennungsmotorfreie Innenstadt.
Bereits im September 2020 hatte Klimaschutzsenatorin Regine Günther (Grüne) einen Entwurf vorgelegt, doch Regierungschef Michael Müller (SPD) blockierte das Papier: Aus SPD-Sicht gab es zu viele Vorgaben zu Lasten von Berlinern mit wenig Geld, etwa höhere Parkgebühren. „Das ist verheerend! Der Kampf gegen die Klimakatastrophe darf nicht länger verschoben werden – wir brauchen JETZT Maßnahmen“, empörte sich damals die Grünen-Landeschefin Nina Stahr beim Kurznachrichtendienst Twitter, „da hätten wir uns Unterstützung von der SPD gewünscht und kein Ausbremsen.“
In der Nachbesserung des Pakets – Senatorin Günther sprach jetzt in der Pressekonferenz nach der Senatssitzung von „Präzisierungen“ an der einen oder anderen Stelle – müssen beide Seiten Abstriche machen. Die Grünen scheiterten damit, die Sperrung der Innenstadt für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor mit der eindeutigen Jahreszahl 2030 zu verbinden, worauf sie sich bei ihrem Parteitag festgelegt hatten.
Dass Günther den stattdessen als Zielmarke verwendeten Begriff „mittelfristig“ als „spätestens 2030“ interpretierte, wirkte mehr wie Wunschdenken. Sie sei davon überzeugt, dass der Öffentliche Personen-Nahverkehr, kurz ÖPNV, bis 2030 so aufgestockt sei, dass es ausreichend Alternativen zum Autofahren und zudem ein gutes Angebot an Ladestationen für Elektroautos gibt.
Ist Franziska Giffey etwa schon Chefin im Roten Rathaus? Natürlich nicht – allein schon weil die Abgeordnetenhauswahl erst noch kommt. Aber das am Dienstag vom Senat beschlossene „Saubere-Küchen-Gesetz“ ließ durchaus an eine Übernahme der Regentschaft denken: Denn Giffey war es, die als Bundesministerin Gesetze mit eingängigen Titeln dieser Art vorlegte – etwa das „Gute-Kita-Gesetz“ oder das „Starke-Familien-Gesetz“. Gesetze mit 23 Wörtern im Titel verstehe nicht nur in der Sonnenallee keiner, sagte sie mal. Inhaltlich soll das ab 2023 gültige „Saubere-Küchen-Gesetz“ die Ergebnisse der amtlichen Lebensmittelüberwachung transparent machen – Kunden sollen sich schon vor dem Betreten eines Lokals durch Balkendiagramme informieren können. (sta)
Die SPD wiederum muss auf das vor allem von Müller geforderte 365-Euro-Ticket verzichten. Wenn man günstige Tickets einführe, müsse auch das entsprechende Angebot da sein. „Augenblicklich liegen die Voraussetzungen noch nicht vor“, sagte Günther. Unter Umständen könnte das Ticket nach ihren Worten „zu einem späteren Zeitpunkt“ kommen.
Ungelöst bleibt weiter zudem die Frage, wie der Senat die für die angestrebte Verkehrswende und den dadurch erhofften größeren Klimaschutz bezahlen will. Gesucht wird nach einer dritten Finanzierungssäule neben Ticketeinnahmen und einem Zuschuss aus dem Landeshaushalt. Eine Citymaut, für die sich die Grünen stark gemacht hatten, lehnte die SPD ab. Auch eine Nahverkehrsabgabe – von Kritikern als „BVG-Zwangsticket“ bezeichnet – konnte bislang nicht durchgesetzt werden.
Zum Maßnahmenpaket gehört außerdem, Sharing-Angebote für Roller, Räder oder Autos besser zu steuern, ihre Abstellmöglichkeiten zu ordnen und sie stadtweit verfügbar zu machen. Außerdem soll Holz bei landeseigenen Bauvorhaben eine größere Rolle spielen.
Für die oppositionelle CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus geht das Maßnahmenpaket nicht weit genug. „Statt konkreter Klimaschutzmaßnahmen belässt es der rot-rot-grüne Senat bei vagen Absichtserklärungen – viel heiße Luft, wenig Konkretes“, kritisierte ihr umweltpolitischer Sprecher Danny Freymark. Der Nahverkehr wie etwa der U-Bahn-Ausbau komme aus seiner Sicht zu kurz, das 365-Euro-Ticket als attraktives Angebot zum Umsteigen findet keine Erwähnung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag