Semesterticket in Berlin: Studi-Ticket auf dem Abstellgleis
Nach der Ankündigung des Senats, kommendes Jahr das 29-Euro-Ticket wieder einzuführen, schauen Berlins Studierende möglicherweise bald in die Röhre.
Dahingehend hatte sich in der vergangenen Woche auch Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) gegenüber dem RBB geäußert. In einer gemeinsamen Mitteilung bezeichneten das nun die Studierendenvertretungen an der Freien Universität (FU), der Hochschule für Schauspiel Ernst Busch, der Kunsthochschule Weißensee, der Hochschule für Wirtschaft und Recht und der Berliner Hochschule für Technik sowie des Referent*innenrats der HU Berlin als „absolut unverständlich“, sie seien „bestürzt über diese Aussichten“.
Eine Abschaffung des Semestertickets – das zurzeit rund 388 Euro im Jahr kostet – würde „hunderttausende Studierende in eine finanzielle Notlage versetzen“, so die Studierenden. Sie bezeichneten es als „zudem klimaschädlich, unsolidarisch und verkehrspolitisch unsinnig“ und forderten darum, dass das Semesterticket erhalten bleibt.
Nicht mit dem Fahrrad kombinierbar
Insbesondere den Verweis auf das von der SPD kürzlich durchgesetzte 29-Euro-Ticket als kostengünstige Alternative lassen sie nicht gelten: Da es lediglich den Tarifbereich Berlin AB abdecke, sei es für viele Studierende „aufgrund der Mietenkrise keine sinnvolle Lösung“. Immer mehr wohnten im Tarifbereich C, wo sie sich noch eine Wohnung leisten könnten, und pendelten nach Berlin. Die Kombination mit dem Fahrrad sei keine Alternative, weil das geplante 29-Euro-Ticket im Gegensatz zum Semesterticket keine Fahrradmitnahme beinhalte. Ebensowenig lasse sich das Kostenproblem durch den Verzicht auf ein ÖPNV-Ticket in den Sommermonaten und den Umstieg aufs Fahrrad lösen: Das 29-Euro-Ticket wird nur im Jahresabo erhältlich sein.
Die Kritik richtet sich auch dagegen, dass das Semesterticket als Solidarmodell aufgegeben würde, in das alle einzahlen – „eine zentrale Errungenschaft der verfassten Studierendenschaften“, so die VertreterInnen. Sie verweisen auf die Sozialfonds, die die Studierendenschaften betreiben und über die bei sozialen Härten die Kosten für das Semesterticket erstattet oder teilerstattet werden können: „Viele Studierende mit geringem Einkommen sind darauf angewiesen. Diese einzigartige Möglichkeit fiele bei frei verkäuflichen Tickets weg.“
Mit dem 29-Euro-Ticket hatte die SPD unter Franziska Giffey Wahlkampf gemacht. Die Partei verhandelte es in die Koalitionsvereinbarung mit der CDU hinein, im September gelang es dem Senat schließlich, es gegen die Kritik der Opposition sowie aus Brandenburg beim VBB durchzusetzen. Die StudierendenvertreterInnen weisen darauf hin, dass dieses Ticket keine wirkliche Bestandsgarantie hat – es könne ja „auch bloß eine Art Pilotprojekt der Großen Koalition“ sein.
„Schwer zu sagen, wie es weitergeht“
Auf der Pressekonferenz nach der Sitzung des Senats am Dienstag unterstrich die Wissenschaftssenatorin allerdings noch einmal, dass die Senatsverwaltung beim Semesterticket „nicht drinhängt“. Die Hochschulen fungierten lediglich als „Inkassounternehmen“, die die von den Studierenden mit dem VBB vereinbarten Ticketgebühren einzögen. Czyborra betonte, das solidarische Ticket sein eine „großartige Errungenschaft“ gewesen und immer noch ein „gutes Modell“. Da sich das Angebot bei den Tickets allerdings „dynamisch entwickle“, sei es „schwierig zu sagen, wie es weitergeht“.
Trotzdem geht die Kritik der Studierenden vor allem an die Adresse des Senats: „Die Senatsverwaltung ist so eng in das Semesterticket involviert und bezuschusst dieses mit 16,50 Euro pro Studi pro Semester, dass der Politik durchaus bewusst gewesen sein muss, dass mit der Einführung des 29-Euro-Tickets die Existenzberechtigung für das Semesterticket wegfällt“, sagt Referentin Eske vom Referent*innenrat der HU. „Die Senatsverwaltung weiß, dass die Existenz des Semestertickets zu großen Teilen an ihrer Bezuschussung hängt.“
„Hätte die Politik bei ihren Plänen, günstigen ÖPNV in Berlin zu schaffen, auch an die Studierenden gedacht, wäre eine stärkere Bezuschussung des Semestertickets die offensichtliche Wahl gewesen“, so Eske zur taz. „Eine stärkere Bezuschussung des Semestertickets durch die Senatsverwaltung, um das Semesterticket auf einen Preis von 29 Euro pro Studi abzusenken, ist eine durchaus realistische Forderung.“
Die Studierendenschaften an den verschiedenen Hochschulen gehen derzeit noch unterschiedlich mit der Situation um. An der Technischen Universtität (TU) gibt es schon im aktuellen Wintersemester kein Semesterticket mehr, weil, wie der ASta auf seiner Website schreibt, „diverse Rechtsgutachten zu dem Schluss kamen, dass ein Semesterticket mindestens einen Spareffekt von 40 Prozent auf ein vergleichbares Ticket benötigt und die Verkehrsverbünde keinen Finger gerührt haben, um diese Quote beizubehalten“.
An der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) hingegen gibt es noch ein Ticket, aber das Studierendenparlament hat den ASta nach dessen Darstellung damit beauftragt, „den Semesterticketvertrag für das Wintersemester 2023/2024 zum Zeitpunkt der Wiedereinführung des 29-Euro-Berlintickets zu kündigen“ – aus denselben Gründen der Rechtsunsicherheit, denn schon die Klage einer einzelnen Person könnte den Vertrag kippen. „Langfristig“ habe man beschlossen, so der ASta HWR, sich für ein „freiverkäufliches Semesterticket für 19 Euro im Monat zu den Tarifbedingungen des Deutschlandtickets sowie die Möglichkeit des Upgrades zur Fahrradmitnahme für 1 Euro im Monat einzusetzen“.
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