Selenski mit Guterres und Erdoğan: Dreiergipfel in Lwiw
Der ukrainische Präsident trifft den UN-Generalsekretär und den türkischen Präsidenten. Letzterer will sich selbst in Szene setzen.
![Menschen in Lwiw demonstrieren gegen Russland Menschen in Lwiw demonstrieren gegen Russland](https://taz.de/picture/5740201/14/30849749-1.jpg)
Die Inszenierung war einigermaßen außergewöhnlich. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski reiste persönlich aus Kiew an, als im westukrainischen Lwiw am Mittwoch UN-Generalsekretär António Guterres und am Donnerstag der türkische Präsident Tayyip Erdoğan zu einem Gipfeltreffen im Potocki-Palast eintrafen. Gewöhnlich reist Selenski seinen angereisten Staatsgästen nicht entgegen, merkten Beobachter an. Aber bei diesem Gipfel ging es zumindest laut türkischen Berichten um nicht weniger als eine neue diplomatische Initiative zur Beendigung des nunmehr fast sechs Monate währenden russischen Angriffskrieges.
„Erdoğan ist mit einem Friedensplan gekommen, den Russland bereits akzeptiert hat“, schrieb auf Twitter ein Journalist der unabhängigen Zeitung Kyiv Post. Einem türkischen Bericht zufolge wollte Erdoğan Selenski vorschlagen, ein Gipfeltreffen zwischen ihm und Russlands Präsident Wladimir Putin zu organisieren. Weitere Einzelheiten wurden nicht genannt.
Berichten zufolge ging es bei den Gesprächen in Lwiw in erster Linie um eine Evaluierung und Ausweitung des Istanbuler Abkommens vom 22. Juli, als die Ukraine und Russland mit der UN und der Türkei die ungehinderte Wiederaufnahme ukrainischer Getreideexporte über das russisch kontrollierte Schwarze Meer vereinbart hatten. Von der UNO wünscht sich die Ukraine noch mehr Initiativen, insbesondere im Zusammenhang mit dem russisch besetzten Atomkraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine, dem größten Europas. „Besondere Aufmerksamkeit galt der Atomerpressung Russlands beim Kernkraftwerk Saporischschja“, hieß es in einer am Donnerstag veröffentlichten Mitteilung des ukrainischen Präsidentenbüros.
Die UN hat bereits eine unabhängige Untersuchung des AKW durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) verlangt. Russland will dieser nur zustimmen, wenn die Inspekteure über russisch kontrolliertes Gebiet anreisen und nicht die Kriegsfront überqueren; die Ukraine besteht auf einer Anreise über Kiew und ukrainisches Regierungsgebiet, da das AKW zur Ukraine gehört.
Russland argwöhnt über Gefahren in Saporischschja
„Die UN muss die Sicherheit dieses strategischen Objektes gewährleisten, seine Entmilitarisierung und seine vollständige Befreiung von russischen Truppen“, erklärte das ukrainische Präsidentenamt nach Selenskis Treffen mit Guterres und Erdoğan am Donnerstagnachmittag. Man habe auch „illegale Zwangsdeportationen“ von Ukrainern nach Russland angesprochenen sowie das Schicksal ukrainischer Kriegsgefangener in Russland.
Russland wies derweil erneut die Forderung zurück, die von russischen Truppen besetzte Umgebung des Atomkraftwerks zu entmilitarisieren. Dies sei unannehmbar, sagte der Sprecher des Außenministeriums in Moskau, Iwan Netschajew. Aus Moskau wurde zugleich ein Nervenkrieg um das besetzte AKW geschürt: Die Ukraine bereite im Zusammenhang mit dem Guterres-Besuch am Donnerstag oder Freitag eine „Provokation“ im Atomkraftwerk vor, die zu einem „menschengemachten Atomunglück“ führen könnten, behauptete am Morgen das Verteidigungsministerium in Moskau.
Radioaktives Material könnte bis nach Deutschland, Polen und die Slowakei gelangen, wenn es zu einem Unfall kommen sollte, hieß es weiter. Man sei daher gezwungen, „Maßnahmen“ zu ergreifen. Nähere Details wurden nicht genannt. Erfahrungsgemäß wirft Russland seinen Gegnern gerne „Provokationen“ vor, bevor es selbst genau die angeprangerte Aktion oder eine ähnliche unternimmt.
Guterres wollte noch am Donnerstagabend aus Lwiw nach Odessa weiterreisen, der wichtigste der drei ukrainischen Häfen, aus denen ukrainische Getreideschiffe auslaufen dürfen. Noch in der Nacht zu Mittwoch hatte Russland erneut Luftangriffe im Umfeld von Odessa geflogen. Am Donnerstag folgten russische Angriffe auf die südukrainische Stadt Mykolajiw, bei denen ein Wohnhaus stark beschädigt wurde.
In der Nacht zu Donnerstag gab es heftigen russischen Beschuss in der zweitgrößten ukrainischen Stadt Charkiw im Nordosten des Landes. 12 Menschen starben und 20 wurden verletzt, als ein dreistöckiges Wohnhaus zerstört wurde, meldeten ukrainische Medien. Am Mittwochabend waren bei einem Raketenangriff auf Charkiw sechs Menschen getötet worden. (mit rtr, afp, dpa)
Erdoğan
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Die Neuen in der Linkspartei
Jung, links und entschlossen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau