Selbstzerlegung der Syriza-Partei: Eine griechische Tragödie
Die Selbstzerfleischung der Syriza in Griechenland geht weiter. Grund ist Parteichef Kasselakis. Für die moderne griechische Demokratie ist das Gift.
D er Aderlass bei Syriza geht weiter. Unvermindert. Täglich. Am Montag sagten 85 Funktionäre und Mitglieder „Tschüss“. In einer gemeinsamen Erklärung ätzten sie zum Abschied: „Leider verwandelt das derzeitige Führungsteam Syriza in ein rückgratloses, vages, populistisches, führungsloses Gebilde. Syriza, das trotz seiner Schwächen und Fehler regiert hat, gibt es nicht mehr.“
Geradezu exponentiell verläuft der Zerfallprozess bei Syriza. Mehr als ein Drittel der 302 Mitglieder des Zentralkomitees der Partei haben Syriza zuletzt verlassen, 32 Mitglieder des 51-köpfigen Zentralrats der Parteijugend kehrten ihr den Rücken. Elf Abgeordnete, darunter Ex-Finanzminister Euklid Tsakalotos sowie die Frontfrau Efi Achtsioglou, haben sich von Syriza verabschiedet. Syriza zählt nun nur noch 36 Abgeordnete im 300-köpfigen Parlament, der „Boule der Hellenen“.
Der Auslöser der Syriza-(Ab)spaltungen, ob gewollt oder ungewollt, ist Stefanos Kasselakis. Im September von der Parteibasis nach dem Abgang der Ikone Alexis Tsipras sensationell zum Parteichef erkoren, wird der Emporkömmling, ein reicher US-Grieche ohne jegliche Parteierfahrung, von der Rumpf-Syriza als Messias betrachtet.
Wohl ein Trugschluss. Dahin deutet Kasselakis’ autoritärer und grobschlächtiger Führungsstil, gepaart mit purer politischer Unkenntnis. Die Abtrünnigen sehen im „Albtraum Kasselakis“ Syrizas Totengräber, keinen Heilsbringer. Für sie ist er schlicht ein Fremdkörper, der Syriza in einem Blitzkrieg gekapert habe und in einer Hauruckaktion nach rechts bewegen will.
Das Gros der Griechen wählte in der Griechenlandkrise in den Zehnerjahren nicht rechts oder rechtsextrem, sondern links. Links war die Hoffnung. Heute haben sich rechts von rechts, also rechts der regierenden ND, drei Parlamentsparteien etabliert. Mit der in Trümmern liegenden Syriza werden noch mehr Leute den Urnen fernbleiben. Hellas droht ein weiterer Rechtsruck. Kein Kasselakis, kein Tsakalotos und keine Achtsioglou scheinen diese beiden fatalen Tendenzen verhindern zu können. Das ist die (neue) griechische Tragödie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg