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Selbstmordversuch wegen AbschiebungFeuer in der Gefängniszelle

Weil er nach Afghanistan abgeschoben werden sollte, hat ein Afghane in seiner Zelle Feuer gelegt um sich selbst zu töten. Nun begann der Prozess gegen ihn.

Blick aus einer Zelle der JVA Billwerder auf die anderen Gefängnishäuser der Anlage Foto: dpa

HAMBURG taz | „Mein Mandant wollte sich an diesem Tag das Leben nehmen. Er hat nur kurz zuvor erfahren, dass er am nächsten Tag nach Afghanistan abgeschoben werden soll.“ Der Verteidiger des 24-jährigen Angeklagten gibt zu Beginn des ersten Verhandlungstages ein mündliches Statement ab. Sein Mandant habe aus einer Notsituation heraus gehandelt, so der Anwalt.

Abdol A. trank im Mai 2017 zunächst Reinigungsmittel. Dann zündete er die Matratze und Bettwäsche seiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt Billwerder mit einem Feuerzeug an. Am Mittwoch stand er wegen Brandstiftung, gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung vor dem Bergedorfer Amtsgericht. Abdol A. drohen mehrere Jahre Haft.

„Ich war verzweifelt“, ergänzt der Angeklagte die Angaben seines Anwalts. Er habe die gesetzlichen Regelungen nicht gekannt. Zum Zeitpunkt seines Selbstmordversuchs saß der Afghane eine Haftstrafe unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung ab. Damit gehört A. zur Personengruppe der Straftäter, die, genau wie sogenannte Gefährder, trotz der schlechten Sicherheitslage aus Hamburg nach Afghanistan abgeschoben werden. Kritik an dieser Praxis üben seit Langem die Hamburger Linken und verschiedene Flüchtlingsinitiativen.

Vor Gericht sagt A. aus, dass der Abschiebebescheid für ihn vollkommen überraschend gekommen sei. Er habe erst am Nachmittag des 29. Mai 2017 erfahren, dass seine Abschiebung für den 31. Mai geplant war. Das bestätigen auch zwei der als Zeugen geladenen Mitarbeiter des Gefängnisses. Der Abteilungsleiter sagt aus, dass er das entsprechende Schreiben schon in der Woche zuvor gesehen hatte. Allerdings sei dies am Freitagabend nach Dienstschluss gewesen.

Heute ist klar: Abdol A. wäre gar nicht abgeschoben worden

A. erfuhr von seiner Abschiebung erst nach dem Wochenende. Er kontaktierte daraufhin mehrere Anwälte. Alle hätten ihm jedoch mitgeteilt, dass es zu spät sei, die Abschiebung noch zu verhindern, so Abdol A. Heute ist klar, dass er gar nicht abgeschoben worden wäre. Bei einem Anschlag in Kabul, bei dem auch die deutsche Botschaft erheblich beschädigt wurde, starben am 31. Mai mehr als 150 Menschen. Die für den selben Tag geplanten Abschiebungen wurden ausgesetzt. Das konnte Abdol A. zum Zeitpunkt seines Selbstmordversuchs jedoch nicht wissen.

In Afghanistan sei er nicht sicher, sagte der 24-Jährige. Sein Vater habe jahrelang mit dem US-Militär zusammengearbeitet. Sein Onkel sei im letzten Jahr von den Taliban getötet, sein Vater schwer verletzt worden. Er habe auch Kopien von Dokumenten, die dies belegen würden. Allerdings hätte die Behörde Originale gefordert, die in der Kürze der Zeit nicht zu beschaffen gewesen seien.

Um die Abschiebung geht es im laufenden Prozess nur am Rande. Im Mittelpunkt steht der Brand im Gefängnis. Geklärt werden soll, wie sehr das Gefängnis beschädigt wurde und inwieweit er andere Personen gefährdet hat. Zum Zeitpunkt des Feuers waren A.s Aussage zufolge keine anderen Häftlinge auf der Station. Der zuständige Abteilungsleiter bestätigt, dass die meisten Häftlinge zur Tatzeit bei der Arbeit waren. Der Angeklagte erlitt eine Rauchvergiftung und musste im Krankenhaus behandelt werden. Andere Personen wurden nicht verletzt.

Mein Mandant wollte sich an diesem Tag das Leben nehmen

Anwalt des Angeklagten Abdol A.

Das Verfahren gegen Abdol A. wird am 17. Januar fortgesetzt. Eventuell kann dann Licht ins Dunkel seines Asylverfahrens bringen. Das Gericht hat dafür Dokumente angefordert. Unter anderem soll geklärt werden, wann der Abschiebebescheid tatsächlich in der JVA Billwerder eingegangen ist und ob und inwieweit sich der Angeklagte seines Aufenthaltsstatus und einer drohenden Abschiebung bewusst war. Auch ein Urteil wird für den zweiten Verhandlungstag erwartet. Ausschlaggebend für das Strafmaß dürfte sein, inwieweit das Gericht die emotionale Ausnahmesituation des Angeklagten berücksichtigt.

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