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Selbstbestimmungsgesetz beschlossenNeue Regeln zum Geschlechtereintrag

Justiz- und Familienministerium rangen um den Entwurf. Künftig sollen Geschlechtseintrag sowie Vornamen beim Standesamt geändert werden können.

Ak­ti­vis­t:in­nen fordern „Selbstbestimmung jetzt“ im Juli auf dem CSD in Berlin Foto: dpa

BERLIN taz/dpa | Am Mittwochmorgen wurde das Selbstbestimmungsgesetz vom Bundeskabinett beschlossen. Das „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“ (SBGG) soll ab dem 1. November 2024 gelten und regelt eine möglichst niedrigschwellige Änderung des Geschlechtseintrags. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass der Geschlechtseintrag sowie Vornamen künftig beim Standesamt geändert werden können.

Kinder und Jugendliche sollen mit dem Einverständnis ihrer Sorgeberechtigten Vornamen sowie Geschlechtseintrag ändern können. Sind die Jugendlichen über 14 Jahre alt und ihre Sorgeberechtigten stimmen nicht zu, kann ein Familiengericht diese Zustimmung ersetzen. Bundesjustiz- wie Bundesfamilienministerium hatten lange um einen Kompromiss gerungen, zuletzt gab es Änderungen vom Bundesinnenministerium.

Es soll das in Teilen verfassungswidrige Transsexuellengesetz von 1980 ablösen, das in dem Glauben eingeführt wurde, dass trans Menschen „krank“ seien: Deshalb sind trans, inter und nichtbinäre Menschen zurzeit mit Gerichtsverfahren wie psychologischer Begutachtung konfrontiert, in denen sie teils demütigende Fragen zur Intimsphäre beantworten müssen, was mit dem künftigen Gesetz nicht mehr der Fall sein wird.

Ministerin Paus: Schluss mit Diskriminierung

Die Verabschiedung des Entwurfs sei „ein großer Moment“ für trans- und intergeschlechtliche Menschen in Deutschland, teilte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) mit. „Das Grundgesetz garantiert die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Achtung der geschlechtlichen Identität. Trotzdem wurden die Betroffenen mehr als 40 Jahre lang durch das Transsexuellengesetz diskriminiert. Damit ist jetzt endlich Schluss.“

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte, das Selbstbestimmungsgesetz sei Ausdruck einer Politik, für die die Grundrechte an erster Stelle stehen. „Alle Menschen haben ein Recht darauf, dass der Staat ihre geschlechtliche Identität achtet. Und um dieses Menschenrecht geht es uns.“

„Tatsächlich hat die Bundesregierung den ohnehin miesen Erstentwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz nun noch weiter verschlechtert“, urteilen Maja Tegeler, Daniel Bache und Frank Laubenburg von der Linkspartei in einem gemeinsamen Statement. „Das Bundesinnenministerium von Nancy Faeser (SPD) machte offenbar dahingehend Druck, dass das Offenbarungsverbot gegenüber Verfassungsschutz, BKA, Bundespolizei und BAMF keine Gültigkeit mehr haben soll. Diese Praxis erinnert an 'Rosa Listen’.“

Kritik an „Missbrauchsmöglichkeiten“

Der derzeitige Entwurf sieht vor, dass die Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag weitergeleitet werden an verschiedene Behörden – unter anderem der Bundespolizei, dem Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Das Bundesinnenministerium hatte diese Veränderung veranlasst.

Der ursprüngliche Gesetzentwurf wurde bereits im Mai veröffentlicht, woraufhin trans- wie Frauen-Verbände und Jurist_innen im Mai schon Kritik geübt hatten. So kritisierte etwa der Deutsche Juristinnenbund (djb) die „Droh­szenarien und Missbrauchsmöglichkeiten“, die vertieft im Entwurf erörtert würden und „nicht auf empirischen Anhaltspunkten beruhen“. So stellt der der Juristinnenbund klar, dass der „Sinn und Zweck … eigentlich die Verbesserung der rechtlichen Situation einer Personengruppe ist, die von geschlechtsbezogener Diskriminierung betroffen ist“.

In der Rangliste der Nichtregierungsorganisation ILGA-Europe, die die Gleichstellung von queeren Menschen beobachtet, belegt Deutschland im Moment den 15. Platz. Durch die Einführung eines Selbstbestimmungsgesetz könnte sich das ändern.

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