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Sehr prekäres Wohnen in der StadtDurch die Schlafzimmer anderer Menschen

Dass so viele Menschen draußen schlafen müssen, lässt sich in Berlin nicht übersehen. Das lässt unsere Kolumnistin um die eigene Zukunft bangen.

Obdachlosigkeit in Berlin: Ist die Stadt wirklich bereit für die Zukunft? Foto: Rolf Zöllner/imago

Berlin ist bereit für die Zukunft“, steht auf einem Plakat, das in meiner Bushaltestelle hängt. Es zeigt auf einer hübsch knallbunten Zeichnung eine Art Magnetschwebebahn in einer durchsichtigen Röhre über Solaranlagen, daneben einen futuristischen Hubschrauber und einen Palmengarten unter einer Glaskuppel, alles auf einer Wiese, auf der auch noch ein paar Windräder stehen – eine grüne Idylle. Mit dem wirklich sehr schönen Bild hat ein Grundschulkind den Plakatwettbewerb einer Initiative für nachhaltige Stadtentwicklung gewonnen – und ich denke, das verspricht für die Zukunft des Kindes das Allerbeste, bin aber, was Berlin angeht, da nicht so optimistisch. Auf den Sitzen in der Bushaltestelle liegen ein paar Erdbeerreste und zerknüllte Papiertücher, darunter eine leere Dose Thunfisch und ein Plastiklöffel – vermutlich die Reste des Frühstücks einer Person, die in der Regennacht in dem Unterstand übernachtet hat.

Ich verstehe, warum auf dem Bild über die Zukunft Berlins keine Wohnhäuser zu sehen sind – das Thema des Malwettbewerbs der Ini­tiative lautete „Gemeinsam unterwegs. Meine Idee für die Mobilität der Zukunft“. Ich verstehe auch, warum sich jemand, der keine Wohnung hat, in einem regnerischen Sommer in einem Bushäuschen schlafen legt. Hier ist die Person immerhin vor dem Wasser von oben geschützt, wenn auch nicht vor dem, das unter den nicht bis ganz nach unten reichenden Wänden in das Häuschen hineinlaufen kann. Und auf dem Boden muss man liegen, denn es gibt keine Bank, sondern gewölbte Schalensitze, auf denen man nicht schlafen kann. Das ist vermutlich so, damit niemand hier übernachtet. Was ich nicht verstehen kann. Ist Berlin so tatsächlich bereit für die Zukunft?

Auf meinem Weg zur Arbeit gehe ich oft durch die Schlafzimmer anderer Menschen – ganz ohne es zu wollen beziehungsweise vermeiden zu können. Da liegt die große Matratze der Frau, die seit Langem am Hermannplatz schläft und an die ich mich noch aus der Zeit erinnern kann, als sie oft von ihrem Mann erzählte, nach dem sie suchen würde.

Jetzt redet sie nicht mehr viel. In den Nischen im Gebäude direkt daneben stapeln sich die Habseligkeiten von zwei Junkies, die dort ihre Nächte verbringen, ebenfalls seit Langem – man kann sagen, sie wohnen dort. Immer öfter sehe ich morgens am Hermannplatz aber auch Menschen einfach auf dem Bürgersteig schlafen, den Kopf auf den Armen, ohne alles: keine Decke, keine Matte, kein Rucksack. Tagsüber sind sie alle weg, irgendwo unterwegs. Sie sind sehr mobil. Das müssen sie wohl.

Den Bundeskanzler stört, dass der Staat Mieten für arme Menschen übernimmt, die bei bis zu 20 Euro pro Quadratmeter lägen. Auch das verstehe ich, mich stört es auch: Ich finde diese Mieten viel zu hoch. Das sieht der Bundeskanzler allerdings anders als ich: Er findet nicht die Mieten zu hoch, sondern die Mietzuschüsse.

An wen denken Leute wie der Bundeskanzler, wenn sie an die Zukunft denken?

Was ich nicht verstehe: An wen denken Leute wie er, wenn sie an die Zukunft denken? An arme Menschen jedenfalls sicher nicht.

Wie und wo sollen die denn alle wohnen? Die Pflege- oder Bauhelfer*innen, ungelernten Putzkräfte, Lieferfahrer*innen, die schlecht bezahlte Jobs machen und irgendwann eine noch schlechtere Rente kriegen? Ohne die aber nicht nur Berlin weder reif für die Zukunft wäre noch für die Gegenwart?

wochentaz

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Ich befürchte ja ehrlich gesagt, dass die meisten unserer Regierenden nicht reif für die Zukunft sind, darüber einfach zu wenig oder zu beschränkt nachdenken – weniger als beispielsweise Grundschulkinder. Die haben dann allerdings, falls ich mit meiner Befürchtung recht habe, auch allen Grund dazu. Die Zukunft beginnt ja jeden Moment.

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Kolumnistin taz.stadtland
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