Seeschlacht um Mediaspree: Die Blockade der Wirtschaftskapitäne

Die Initiative "Berliner Wirtschaftsgespräche" lädt zur Bootsfahrt, um über das Investorenprojekt Mediaspree zu informieren. Doch hunderte Gegendemonstranten paddeln mit Schlauchbooten über die Spree.

Unter dem Schlagwort "Mediaspree" werden die Ufergrundstücke zwischen Jannowitz- und Elsenbrücke vermarktet. Dagegen wehrt sich die Bürgerinitiative "Mediaspree versenken". Sie will per Bürgerbegehren den Verzicht auf Hochhäuser sowie einen 50-Meter-Mindestabstand von der Spree für Neubauten durchsetzen. Der Bezirk lehnt das ab. Am Sonntag, den 13. Juli, kommt es zum Bürgerentscheid, bei dem alle Wahlberechtigten im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg abstimmen dürfen.

Der Verein Berliner Wirtschaftsgespräche ist eine überparteiliche Vereinigung, die die Wettbewerbsfähigkeit der Berliner Unternehmen durch Netzwerke verbessern will. Er hatte am Dienstagabend zur Informationsfahrt auf die Spree geladen.

Sie graben die Zehen in den glühenden Sand, nippen an kühlen Getränken, ein paar Hartgesottene spielen auf dem Betonplatz zur Straße Basketball. Es wirkt wie ein ganz normaler Strandtag im Yaam am Friedrichshainer Ufer der Spree. Nur die wartenden Schlauchboote sind ungewohnt. Und die Wasserbomben, die kistenweise ans Ufer geschleppt werden. Im Schatten neben der Bar basteln etwa 20 Leute Grabsteine aus Styropor mit der Aufschrift "Spreeufer für alle" oder füllen Netze mit Pappfischen und Schmetterlingen. "Botschaften an die Investoren", sagt grinsend eine junge Frau, die gerade "Piss off!" auf einen Karton geschrieben hat. Dann sieht mal wieder jemand die Spree flussabwärts, hält Ausschau nach dem Schiff, auf das hier alle warten, am frühen Dienstagabend.

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Die Sonne scheint, ein lauer Wind weht vom Charlottenburger Ufer herüber. "Ich hoffe, Sie haben alle Ersatzkleidung dabei", sagt der geschäftsführende Vorstand der Berliner Wirtschaftsgespräche, Rudolf Steinke. Die gut 200 Gäste des Lobbyverbandes an Bord nehmen es mit einem Lächeln. Sie haben sich zur Bootsfahrt über die Spree eingefunden, Richtung Friedrichshain-Kreuzberg. Sie wollen sich vom Wasser aus ein Bild von den Ufern zwischen Jannowitz- und Elsenbrücke machen. Dort werden die Grundstücke als "Mediaspree" für Investoren angepriesen. Aber bis dahin sind es noch ein paar Kilometer. "Ich habe mich einfach auf eine nette Bootsfahrt gefreut", sagt die 54-jährige Anke Schmidt. Von Protesten der Bürgerinitiative "Mediaspree versenken" hat sie nichts gewusst.

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Auf der Schillingbrücke warten etwa 70 Demonstranten. Darunter dreht ein Holzboot mit zwei als Ölscheichs verkleideten Männern seine Runden. Es sind die "Ersatzinvestoren" - für den Fall, dass die echten nicht kommen.

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Von der Dovebrücke aus schippert der Dampfer der Reederei Riedel gen Osten, vorbei an den Moabiter Gewerbebauten, Kanzleramt und Hauptbahnhof. Rudolf Steinke betont mehrmals, dass es bei der Fahrt darum gehe, den Wirtschaftsvertretern einen Eindruck von den Entwicklungen an der Spree zu geben - nicht nur im Bereich Mediaspree, sondern über alles, was sich zwischen Charlottenburg und Treptow in den vergangenen Jahren getan hat. Eine "Investorenfahrt", wie von der Bürgerinitiative betitelt, sei das nicht. Am Hauptbahnhof warnt er seine Gäste, dass es Farbbeutel und Tomaten regnen könnte: "Wir empfehlen Ihnen, unter Deck zu gehen."

Anke Schmidt bleibt erst einmal vor ihrem Latte macchiato sitzen, ihr Mann Norbert vor seinem Pils. "Ich finde das eigentlich toll, wenn ich sehe, wie sich das Ufer hier entwickelt", sagt Schmidt. Von der ganzen Diskussion um Mediaspree hat sie nichts gehört. Sie sei aber auch nur "mitfahrende Ehefrau", betont sie.

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Am Eingang des Kiki Blofeld gibt es Streit. Der Türsteher will Leute mit Getränkeflaschen nicht reinlassen, von manchen verlangt er Eintritt. Dabei war die Strandbar als offizieller Treffpunkt für die demonstrative Spreeparade angekündigt. Drinnen pumpen rund 250 Leute Boote auf und knoten Luftballons zusammen, eine Schwimminsel klatscht ins Wasser. Im Sand ein Stapel Eierkartons. Es dauere noch, bis das Schiff kommt, verkündet das Megafon. Von der Bar 25 am gegenüber liegenden Ufer schallt das Trommeln einer Sambaband herüber. Auch dort sind hunderte Demonstranten zu sehen. Auf der Spree patrouillieren zwei Boote der Wasserschutzpolizei.

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Je näher die Schleuse am Mühlendamm kommt, desto stärker rücken die Planungen in Friedrichshain-Kreuzberg in den Mittelpunkt der Gespräche an Bord. Verständnis für die Anliegen der Bürgerinitiative äußern einige, die Mittel findet kaum einer gut. "Dass man mit Farbbeuteln die richtige Antwort findet, wage ich zu bezweifeln", sagt Passagier Hans Achim Grube. "Die disqualifizieren sich durch so einen Protest."

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Eine Meldung macht die Runde: Das Boot soll nahe der Jannowitzbrücke gesichtet worden sein. Die letzten Luftmatratzen werden zu Wasser gelassen. Über 40 Schlauchboote, Kajaks, Flöße und Luftmatratzen treiben jetzt auf der Spree, sie ziehen Luftballons und Schilder hinter sich her. Zwei Ausflugsdampfer müssen stoppen, weil die kleinen Boote den Weg nicht frei machen. Polizisten versuchen von einem Schnellboot aus, mit Enterhaken und Stangen die kleinen Boote aus dem Weg zu schieben.

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Auf dem voll besetzten Dampfer gehen die Ersten zögernd unter Deck, auch Hans Achim Grube. Das weiße Hemd und die gelb-blau gestreifte Krawatte sind dem 42-jährigen Architekten dann doch zu schade. Oben verharrt weit mehr als die Hälfte der Wirtschaftsvertreter auf den Sitzen. Das Bier schmeckt, der überschaubar große Hähnchensalat auch, das Wetter ist immer noch ideal für eine Schifffahrt. Erst als die Jannowitzbrücke ins Blickfeld gerät, dämmert es den Ausflüglern: Das ist kein Scherz. Die Brücke ist voll mit Mediaspree-Gegnern, sie johlen, schwenken Transparente.

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Die Besucher der Bar 25 begrüßen den Ausflugsdampfer mit lautem Trommeln. Die Demonstranten paddeln los.

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Nur wenige Mutige bleiben an der Reling, unten im Schiff wird es eng. Mediaspree ist nun das beherrschende Thema. "Das ist doch reine Energieverschwendung", echauffiert sich eine beleibte Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. "Wir sind doch überhaupt keine Investoren, wir machen doch eine Vergnügungsfahrt." Den Hinweis, dass die Berliner Wirtschaftsgespräche nun einmal für Investoren und andere Leistungsträger stehen, lässt sie nicht gelten. Auch der 38-jährige Nikolaus Karsten zuckt mit den Achseln. "Protest ist ja schön - aber es trifft die Falschen."

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Direkt vor dem Bug der "Spree Princess" taucht ein Kopf im Wasser auf, dort schwimmt jemand. Das Schnellboot der Polizei gibt Gas. Ein Feuerwerkskörper schießt übers Wasser und explodiert mit blauem Funkeln knapp über den Booten.

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Am Ufer zeigt ein Aktivist sein Hinterteil, eine Glasflasche fliegt gegen das Schiff. Auf dem Fluss wird es belebter: Die Mediaspree-Gegner haben viele kleine Boote zu Wasser gelassen. Die Wasserschutzpolizei sagt: Weiterfahrt unmöglich. Das Ausflugsschiff fährt zurück. Als der Kapitän einen Brückenpfeiler rammt, wird die Stimmung kurzzeitig hektisch - die Nervosität ist hörbar gestiegen.

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Mit einem Haken schnappt die Polizei ein gelbes Schlauchboot, die Insassen retten sich auf andere Boote, das Schlauchboot wird hochgezogen und an Deck von der Wasserschutzpolizei verstaut.

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"Die wollen doch gar nicht Spreeufer für alle. Die wollen doch nur: Spreeufer für uns", sagt der Theologe Stephan Schwartzkopff an Bord des Schiffes. In seiner Stimme schwingt Ärger über die Demonstranten mit. "Die definieren einfach ihre eigene Demokratie." Er arbeitet an einem Arbeits- und Weiterbildungsprojekt in dem Gebiet und kennt die öffentliche Debatte gut. "Diese Polarisierung, die finde ich einfach schade."

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Die zurückkehrenden Schlauchboote werden mit Applaus am Ufer begrüßt. Im Kiki Blofeld läuft Musik, es riecht nach Pizza von der Bar. Carsten Joost von der Initiative "Mediaspree versenken" hält noch immer das Megafon in der Hand, man sieht ihm die Anspannung der vergangenen Stunden an. Jetzt strahlt er übers ganz Gesicht: "Ein voller Erfolg!" Das meint auch Sandra Paul, die ebenfalls an der Initiative beteiligt ist: "Das war eine super Aktion!" Vorher habe sie sich Gedanken gemacht, ob sie nicht abtreiben würden, aber die Spree habe kaum Strömung. "Ist wie Paddeln auf einem See."

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Der Spuk ist vorbei, der Dampfer fährt zurück. Die Passagiere, zurück an Deck, trinken ihr zweites Bier, hören sich die immer noch viel zu laut aus dem Mikrofon tönenden Erklärungen zu den Uferbauten an. Um 20.30 Uhr lässt die Reederei Riedel wieder an der Dovebrücke anlegen. Die Sonne hat sich gesenkt, es ist noch ruhiger als zuvor, und kein einziges Hemd ist schmutzig geworden.

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Die ersten Leute sind schon nach Hause gegangen, da stürmen 100 Polizisten das Kiki Blofeld. Sie suchen die Leute, die sie auf den Booten gefilmt haben. "Wo ist dieser Typ auf dem Kajak?", ruft ein Polizist seinen Kollegen zu. "Einer mit Locken! Den erkennt man doch!" Drei junge Männer und zwei Frauen werden mitsamt ihrem Paddelboot festgehalten. "Die Demonstration war doch angemeldet und vollkommen friedlich!", beschwert sich ein Mann. "Meinen Sie!", erwidert der Einsatzleiter. Mehrmals seien Boote am Weiterfahren gehindert worden, das sei Nötigung und Eingriff in den Schifffahrtsverkehr.

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