Seehofers politische Zukunft: Und wieder wankt der Watschnbaum
Die Maaßen-Affäre hat Horst Seehofers Position weiter geschwächt. Nun könnte es zum Showdown kommen.
Dabei hätte es einiges zu besprechen gegeben. „Fortwährendes Chaos im Bundesinnenministerium“, lautet TOP 22 der Tagesordnung. Zwei Tage ist es da her, dass der Fall Maaßen mit dem Bekanntwerden der wüsten Abschiedsrede des Verfassungsschutzchefs seine letzte, irre Wendung nahm – und der Innenminister Hans-Georg Maaßen doch noch absetzte. Nun, schimpft der Linke André Hahn, müsse sich auch Seehofer „in den Ruhestand verabschieden“. Auch Konstantin Kuhle von der FDP fordert den Rücktritt, Seehofer gehe „nur noch auf die Nerven“.
Seehofer hat es wieder geschafft: Er ist der Buhmann.
Dieser Tage geht es für den 69-Jährigen um alles. Mal wieder. Schon seit Beginn der Großen Koalition gilt Horst Seehofer als größte Fehlbesetzung im Kabinett. Als ständiger Unruhestifter, irrlichternd, als einer, der die Koalition lähmt. Nach der für die CSU verkorksten Bayern-Wahl ist auch der Druck aus der eigenen Partei enorm. Seehofer selbst hatte nach der Wahl „Konsequenzen“ angekündigt – dann, wenn in Bayern das neue Kabinett steht. Das wird am Montag vereidigt.
Ein unschönes Ende droht
Einige Orts- und Kreisvorstände positionierten sich bereits offen gegen Seehofer. Am Sonntag trifft der Parteichef nun mit den Bezirksvorsitzenden zusammen. Die Verbände in Schwaben und Oberbayern forderten einen CSU-Sonderparteitag, um die Parteispitze neu zu wählen, ein „Weiter so“ dürfe es nicht geben. Falls Seehofer nicht freiwillig verzichtet, droht ihm eine Kampfabstimmung gegen den Ministerpräsidenten Markus Söder und ein unschönes Ende als Parteichef.
Und in Berlin heißt es in Koalitionskreisen, Seehofer sei auch als Minister „im Grunde überfällig“. Wenn es schlecht läuft, könnte Seehofer in ein paar Tagen politisch am Ende sein.
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Seit Jahrzehnten macht Horst Seehofer Politik. Er saß 28 Jahre für die CSU im Bundestag, war Staatssekretär unter Blüm, Gesundheitsminister unter Kohl, Landwirtschaftsminister unter Merkel, dann zehn Jahre lang Ministerpräsident in Bayern. Seit dem Frühjahr nun ist Seehofer Bundesinnenminister. Für ihn wurde das Ministerium um die Bereiche Heimat und Bau erweitert. In seiner ersten Pressekonferenz zählte Seehofer stolz auf: acht Staatssekretäre, 2.000 Beschäftigte, 14 Abteilungen. Dazu 20 nachgeordnete Behörden mit insgesamt 75.000 Mitarbeitern. So groß war das Innenministerium noch nie.
Es sollte seine letzte Station werden, eine Krönung. Aber schon kurz nach Beginn sprengte Seehofer beinahe sowohl die Große Koalition als auch die Unionsfraktion, als er einen Machtkampf mit der Kanzlerin lostrat über die Frage, bestimmte Flüchtlinge ab sofort an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Auf dessen Höhepunkt verkündete Seehofer seinen Rücktritt – um dann vom Rücktritt zurückzutreten.
Konflikte aus dem Nichts
Später flachste er darüber, dass just an seinem 69. Geburtstag 69 Afghanen abgeschoben wurden. Dem bundesweiten Integrationsgipfel blieb er fern. Migration erklärte er zur „Mutter aller Probleme“. Und schwieg lange, als Rechte in Chemnitz Migranten angriffen. Gelang es seinem Vorgänger Thomas de Maizière, mit stoischer Nüchternheit Konflikte runterzukochen, schafft Seehofer es, aus dem Nichts einen Konflikt zu entfachen.
Und nun Maaßen. Wochenlang hatte Seehofer den Verfassungsschutzchef nach dessen Relativierung der Chemnitz-Ausschreitungen verteidigt – und auch damit eine Koalitionskrise ausgelöst. Als die SPD Mitte September durchsetzte, dass Maaßen nicht im Amt bleiben kann, wollte Seehofer ihn zum Staatssekretär befördern, ihn dann, nach erneuter Kritik, als „Sonderberater“ in sein Ministerium holen. Dann tat er einfach wochenlang nichts. Bis Maaßens Abschiedsrede publik wurde, in der dieser auch gegen „linksradikale Kräfte in der SPD“ austeilte. Seehofer blieb nichts anderes, als Maaßen doch noch zu entlassen. Und war maximal beschädigt. Die Maaßen-Nachfolge ist indes bis heute nicht geregelt.
Horst Seehofer redet lieber über anderes. Am Mittwochmittag taucht er doch noch im Bundestag auf, im Plenarsaal. Als er zum Redepult geht, ist der Saal nur spärlich besucht, auf den Rängen der Unionsfraktion klatschen gerade drei Abgeordnete. Er sieht erschöpft aus, das hellgraue Haar ein wenig zerzaust.
Dabei spricht Seehofer über das, was zu seinem Gewinnerthema werden sollte: die Heimat. Seehofer spricht von der Schaffung „gleichwertiger Lebensverhältnisse“ in Ost wie West, Stadt und Land. „Damit die Menschen dort gut leben können, wo sie gerne leben wollen.“ Eine „titanische Aufgabe“ sei dies, sagt Seehofer. Aber man wolle sie angehen.
Später steigt er in den Flieger nach Helsinki, mit CSU-Vize Manfred Weber, es geht um die Wahl zum EVP-Spitzenkandidaten für die Europawahl. Die Reise wird ein Erfolg, Weber gewinnt die Kampfabstimmung, man kann Seehofer wieder lächeln sehen.
Der „Vater aller Probleme“
Aber es brodelt allerorten. „Vater aller Probleme“ lautet der Spitzname, den sie Seehofer CSU-intern gegeben haben. Der ehemalige parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe Max Straubinger und der Abgeordnete Jürgen Baumgärtner fordern offen seinen Rücktritt als Parteichef. Die früheren CSU-Chefs Theo Waigel und Erwin Huber sowie die bisherige Landtagspräsidentin Barbara Stamm beließen es bei recht eindeutigen Andeutungen. Und Bundesentwicklungsminister Gerd Müller sagte, die CSU brauche auch eine personelle Erneuerung „bis in die Parteispitzen“.
Am Sonntag, wenn Seehofer die Bezirksvorstände trifft, dürfte es zum Showdown kommen, zur Abrechnung hinter verschlossenen Türen. Einen offenen Fürsprecher für den Langgedienten gab es in der CSU zuletzt nicht mehr. Dafür aber den vehementen Ruf, zumindest eine Konsequenz aus der missglückten Bayern-Wahl zu ziehen. Nun, da Söder zum Ministerpräsidenten gewählt ist, bleibt dafür im Grunde nur noch einer übrig: Horst Seehofer.
Kaum vorstellbar, dass sich der 69-Jährige ohne Rückhalt weiter an den Parteivorsitz klammert, es auf eine Kampfabstimmung ankommen ließe. Einen freiwilligen Abgang könnte er immerhin als selbstbestimmten Akt verkaufen. Aber: Das Heft des Handelns gäbe Seehofer damit endgültig aus der Hand. Denn es ist der CSU-Chef, der die eigenen Minister nach Berlin entsendet – oder von dort abzieht. Ohne Parteivorsitz könnte Seehofer also jederzeit seinen Posten als Innenminister verlieren. Es wäre nichts, was dem leidenschaftlichen Taktiker gefallen kann.
Selbst im eigenen Ministerium wären einige erleichtert über einen Abgang. Es gebe „keine klare Linie“ mehr, Entscheidungen blieben liegen, wird dort dieser Tage geklagt. „Die Unzufriedenheit ist groß.“ Offensichtlich fehle Seehofer „die Kraft“, sein Großministerium zu führen, gestehen auch Stimmen in der Union. Die SPD ist ohnehin mit der Geduld am Ende. Als „Fehlbesetzung“ und „Zumutung“ wird Seehofer dort bezeichnet.
Vertraute hat er kaum noch
Doch die Frage bleibt: Welchen Plan verfolgt Seehofer selbst? Als die Zeit diese Woche berichtet, Seehofer wolle den CSU-Vorsitz abgeben, das Innenministerium aber behalten, weist dieser das als „fette Ente“ zurück. Er werde sich erst ab Montag zu seiner Zukunft äußern. Die Zeit berief sich auf Vertraute Seehofers. Doch Vertraute hat Seehofer im Grunde kaum mehr. Schon seit Jahren lässt er nur wenige Mitstreiter wirklich an sich ran, Entscheidungen macht er mit sich allein aus.
Dabei ist Seehofer wesentlich sprunghafter geworden, manchmal gar trotzig. Früher war sein Pfund das Gespür für Stimmungen und eine schelmische Ironie, auch auf sich selbst gerichtet. Heute ist Seehofer dünnhäutig. Es trifft ihn, wenn die FAZ ihn „Crazy Horst“, der Spiegel ihn „Gefährder“ nennt. Er beklagt sich, als „Psycho“ und „Radikaler“ dargestellt zu werden. Und er lässt jetzt alle spüren, wie ungerecht er sich behandelt fühlt. „Noch einmal mache ich den Watschnbaum nicht“, sagte Seehofer nach der Bayern-Wahl. „Eher stelle ich mein Amt als Parteivorsitzender zur Verfügung.“
Es geht Seehofer jetzt um sein Lebenswerk. Fast 50 Jahre bewegte sich Seehofer in der Politik. Nun will er sich sein politisches Ende nicht von anderen diktieren lassen. Und Seehofer machte stets klar, dass er Kanzlerin Angela Merkel überdauern, nicht auf ihrem „Männerfriedhof“ landen will.
Nun hat Merkel selbst ihren Rückzug vom CDU-Parteivorsitz erklärt. Das könnte auch Horst Seehofer den Schritt erleichtern, als CSU-Chef freiwillig abzutreten. Doch selbst in seinem Umfeld heißt es, man wisse nicht, was er vorhabe. Sein Sprecher behauptete diese Woche, Seehofer habe sich noch nicht festgelegt.
Er ist noch nicht fertig
Zumindest für das Innenministerium gibt es Signale. Er habe dort „noch ein großes Werk zu verrichten“, sagte Seehofer jüngst. Auch von Mitarbeitern heißt es, der Minister hänge vor allem an dem Thema Heimat. „Und er ist deutlich hartleibiger, als manche denken.“ Zudem drängt aus der CSU niemand wirklich ins Ministerium. Der Posten ist mäßig attraktiv, auch weil die Koalition jederzeit platzen kann. Joachim Herrmann, der bayerische Innenminister, hat einen Wechsel ins Berliner Kabinett unlängst ausgeschlossen.
Dennoch halten sich in der CSU die Stimmen, die bekräftigen, es wäre wenig geholfen, wenn Seehofer nur als Parteichef ginge – und in Berlin weiter für Negativschlagzeilen sorgte. Würden sich diese Kräfte durchsetzen, hätte Seehofer tatsächlich alles verloren.
Der Angeschlagene selbst will davon offenbar nichts wissen. Am Montag – dem Tag nach der Aussprache mit dem CSU-Vorstand – will Seehofer nach Bautzen fahren und dort ein neues Fahndungszentrum der Bundespolizei einweihen, tags darauf in Berlin Bundesverdienstkreuze verleihen. Normales Alltagsgeschäft. Wenn man ihn dann noch lässt.
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