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Seehofers Zusage an ItalienRegieren statt AfD kopieren

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Der Innenminister hat angekündigt, jeden vierten Bootsflüchtling aus Italien aufzunehmen. Eine verspätete Lektion aus der Bayernwahl?

Ein Geflüchteter an Bord der „Ocean Viking“, die am Samstag in Lampedusa anlegte Foto: reuters

E igentlich bleibt alles, wie es ist: Im vergangenen Jahr hat Deutschland rund 560 Bootsflüchtlinge aufgenommen, die auf dem Mittelmeer gerettet wurden. Diese Zahl dürfte auch künftig nicht steigen, obwohl Innenminister Horst Seehofer (CSU) nun angekündigt hat, dass Deutschland ein Viertel aller Bootsflüchtlinge übernehmen wird, die in Italien an Land gehen. Diese Zusage ist wichtig. Sie ändert alles, obwohl sich nichts ändert.

Besonders erfreulich: Die AfD wird nicht mehr permanent mit einem Thema bedient. Bisher brandete nach jeder einzelnen Seenotrettung die Frage auf, welches Land in Europa die Flüchtlinge aufnimmt. Und jedes Mal konnte die AfD erneut behaupten, dass Deutschland angeblich „überfremdet“ würde. Diese Diskussion lässt sich nicht mehr anzetteln, wenn das Verfahren geregelt ist: Die Bootsflüchtlinge werden kaum noch in den Medien auftauchen – schließlich sind es nur extrem wenige. Ohne politische Dauerhysterie fehlt der AfD jedoch der Resonanzboden.

Verspätet scheint auch Seehofer aus der letzten Bayernwahl gelernt zu haben. Zur Erinnerung: Die CSU kam 2018 in ihrem Stammland nur noch auf 37 Prozent der Stimmen, weil sie damals kein anderes Thema kannte als die Flüchtlinge. Diese Obsession war absurd, denn die Integration lief in Bayern weitgehend reibungslos. Die CSU diskreditierte ihre eigenen Regierungserfolge, nur weil sie dem Wahn anhing, dass sie die AfD schwächen könnte, wenn sie deren Phobien übernimmt.

Nun will es auch Seehofer mit dem Gegenmodell versuchen: regieren statt AfD kopieren. Das ist ein wirklicher Fortschritt.

Die bayerische Lektion dürfte nicht nur das Klima in Deutschland, sondern in ganz Europa entspannen. Bisher wirkt die EU gnadenlos zerstritten, weil man sich nicht auf die Verteilung der wenigen Migranten einigen kann. Seehofers Zusage, ein Viertel der Bootsflüchtlinge zu übernehmen, dürfte auch andere Länder animieren, feste Quoten zuzusagen. Endlich.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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5 Kommentare

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  • Zitat: „Die Bootsflüchtlinge werden kaum noch in den Medien auftauchen – schließlich sind es nur extrem wenige. Ohne politische Dauerhysterie fehlt der AfD jedoch der Resonanzboden.“

    Na super! Gleich werden sie Seehofer heilig sprechen, die deutschen Journalisten. Denn auch, wenn sich an der Sache selber gar nichts ändert, muss die Meute nun nicht mehr wie ein Rudel Bluthunde hinter jedem einzelnen Migranten herhecheln, weil sonst womöglich die Konkurrenz über den angeblichen Skandal berichtet.

    Die „politische Dauerhysterie“ war, scheint mir, vor allem eine mediale. Aber nun ist das Verfahren ja geregelt. Dem Himmel sei Dank. Nein, nicht mehrheitlich-demokratisch oder so. Per Machtwort des Chefs, par ordre du mufti also. Und wenn sich nun tatsächlich alle ganz brav an Horst Seehofer ausrichten, wird ja vielleicht tatsächlich alles wieder gut. So gut, wie es angeblich früher einmal gewesen ist. Damals, meine ich, als es noch echte Kerle gab mit Kronen auf dem Kopf und roten Mänteln über der Schulter. Dann, darf man hoffen, fehlt auch der AfD der Resonanzboden.

    So geht regieren, zweifellos. So ist es auch im Osten mal gegangen. Bis in den Herbst 1989.

  • Macht es Seehofer wirklich, weil er plötzlich sowas wie eine prämortale Marienerscheinung der Vernunft hatte? Davon scheint ja die gesammelte Presse auszugehen.

    Oder wird seine Bauernschläue mal wieder kolossal unterschätzt und das ganze ist eher ein Ablenkungsmanöver um davon abzulenken, daß es auf diesem armseligen Planeten mehrere zig Millionen Flüchtlinge, Verhungernde und Verfolgte gibt?

    Armselig ist doch vielmehr, daß es überhaupt ernsthaft eine Diskussion wegen ein paar Hanseln von 500-600 Flüchtlingen geben muss. Das wird der Deutsche Michel grad noch so aushalten können - selbst wenn sich unser Wohlstand dadurch messtechnisch um 0.0001% verschlechtern würde, oder?

    Natürlich gilt das auch für viele andere Länder, die sich fein raushalten oder lieber gleich sich freilig sedieren lassen und den Rattenfängern des Populismus nachlaufen.

  • Alles gut? Man gewinnt den Eindruck als wäre es nur um Kante gegen Seehofer und AFD gegangen und nicht um Inhalte.

    Es ist also alles gut, weil nur 560 Flüchtlinge kommen, Seehofer beigedreht hat und der AFD das Wasser abgegraben wird?

    Es gibt aber immer noch 60 Mio UN-Flüchtlinge und von denen, die die letzte Zeit nach D kamen, waren glaube ich die wenigsten UN-Flüchtlinge, aber trotzdem schutzbedürftig und willkommen. Soll heißen: es geht doch klar auch um mehr als die 60-Millionen, aber jetzt soll auf einmal alles ok sein, weil wir 560 Flüchtlinge aufnehmen? Irgendwas stimmt hier nicht.

  • 9G
    91491 (Profil gelöscht)

    ENDLICH !!!

  • "Seehofers Zusage, ein Viertel der Bootsflüchtlinge zu übernehmen, dürfte auch andere Länder animieren, feste Quoten zuzusagen. Endlich."

    Unwahrscheinlich. Eher werden sie sagen: Dann können sie ja auch den Rest aufnehmen, wenn sie sich schon so bereit erklären. Dass Deutschland bei irgendwas ein funktionierendes Vorbild darstellt, von dem sich andere bereitwillig inspirieren lassen, ist die gegenwärtig typisch deutsche Arroganz, die das Land politische ins Weltfremde manövriert hat.