Sechs Jahre Pegida: Erstarrte Protestrituale
Zum sechsten Jahrestag von Pegida ist nicht mehr viel übrig von der Organisation. Sie hat sich als diskursunfähig erwiesen und ist in Ritualen erstarrt.

Wir werden siegen“, behauptete eine der wenigen verbliebenen Pegida-Fahnen am Montagabend auf dem Dresdner Altmarkt unverdrossen. Doch von einer Selbstfeier zum sechsten Jahrestag des ersten Aufmarsches 2014 konnte schon vorab keine Rede sein. Auf eine Versammlung am Sonntag verzichtete die fremdenfeindliche Bewegung angeblich wegen der Corona-Auflagen. Und zum Auftakt der „Geburtstagsfeierwoche“ am Montag blieb die Teilnehmerzahl deutlich unter der von 390 zu ihrem Schutz eingesetzten Polizeibeamten. In nur 50 Metern Entfernung hielten 200 trommelnde junge Gegendemonstranten lautstark dagegen.
Genugtuung mag ob der grotesk anmutenden Reste von Pegida dennoch nicht aufkommen. Denn die 25.000 Demonstranten und eine noch höhere Zahl von Sympathisanten, die Anfang 2015 gegen so ziemlich alles motzten, was außerhalb ihres Horizonts lag, sind nicht verschwunden. Sie sind heute Wähler der AfD oder engagieren sich sogar in dieser Partei, wo sie den gleichen restaurativen Ungeist vorfinden. Zwischen die „Alternative“ und Pegida passt denn auch im Mutterland Sachsen kein Blatt Papier des Grundgesetzes. AfD-Landeschef Jörg Urban und der vorerst ausgeschlossene „Flügel“-Mann Andreas Kalbitz redeten auf den „Abendspaziergängen“ von Pegida.
Pegida-Häuptling Lutz Bachmann hatte immerhin schon 2016 erkannt, dass sein Pegida-Haufen politisch nicht handlungsfähig ist – schon die angekündigte Gründung einer Pegida-Partei blieb kläglich stecken – und vergeblich einen Anschluss an Institutionalisierte wie die AfD versucht. Tatsächlich haben viele Abendlandsretter der ersten Stunde den schrumpfenden „Widerstandspartys“ den Rücken gekehrt. Einzelne sitzen immerhin im Stadtrat oder in Dresdner Ortsbeiräten.
Pegida erstarrte in Ritualen und immer gleichen Rufen. An den „Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes“ kann man den Niedergang einer rein destruktiven Protestbewegung studieren. Sie hat sich als diskursunfähig und politisch nur über die große Schwester AfD anschlussfähig erwiesen. Ob Bachmann sein prahlerisches „Dresden zeigt, wie's geht“ selbstironisch meint?
Nachhaltige Schäden
Beim kurzen Montagstreff war dennoch davon die Rede, dass Pegida Geschichte geschrieben habe. Das trifft leider auf makabre Weise zu. Den Nimbus Dresdens als sehenswerte Kulturstadt haben die Motzkis zwar nicht zerstören können: Es reisen wieder mehr Touristen an. Viel nachhaltiger haben diese sechs Jahre Dresdner Mentalitäten in Misskredit gebracht. Wo immer man Dresden erwähnt, wird der Ruf der Stadt sofort mit Pegida und der rechten Apostrophierung als „Hauptstadt der Bewegung“ in Verbindung gebracht.
Diese Assoziationen wirken hartnäckiger nach als das reale Erscheinungsbild von Pegida. Spät hat das auch die so genannte „bürgerliche Mitte“ von CDU oder FDP in der Stadt begriffen und seit 2018 für Demokratie und Menschenwürde mitdemonstriert.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links