Science-Fiction-Thriller „Stowaway“: Blinder Passagier
In der US-deutschen Koproduktion „Stowaway“ läuft ein Flug zum Mars aus dem Ruder. Ein schönes Kammerspiel – doch das Ende enttäuscht.
Der Start hat geklappt, auch das Ankoppeln an die Station, nur der Mann, der Biologe David Kim (Daniel Dae Kim), musste sich beim Eintritt in die künstliche Gravitation übergeben. Zwei Jahre Reise durchs All liegen vor den drei Astronaut*innen, Zoe Levenson (Anna Kendrick) ist als Ärztin dabei, Marina Barnett (Toni Collette) leitet das Team.
Sie fliegen, nach kurzem Halt in der Raumstation, Richtung Mars. Die Erde strahlt blau durch das rückwärtige Fenster des Raumschiffs, das Kingfisher heißt. Alles gut also, wie es scheint, die drei machen sich an die Arbeit, da tropft Blut durch die Decke. Nach Aufschrauben der Verschalung kommt ein ohnmächtiger Fremder zum Vorschein.
Ein blinder Passagier, ein Mechaniker, der aus Versehen in diese missliche Lage geriet. Als er aufwacht und kapiert, wo er ist (innen eng, draußen All), ist er verständlicherweise etwas schockiert. Zumal er seine heiß geliebte Schwester Ava vom Raumschiff aus rührend umsorgt. In der wirklichen Welt wäre so eine Geschichte, zugegeben, nicht sehr wahrscheinlich.
Stille im All
Aber wir sind im Kino, alle Signale stehen auf Science-Fiction, Stille des Alls, atmosphärischer Soundtrack von Hauschka, Raumanzug, Astronaut*innennahrung, pipapo. Darum also aus des Raumschiffs Decke der zusätzliche Mann, sein Name ist Michael Adams (Shamier Anderson).
„Stowaway“ (Blinder Passagier), USA/Deutschland 2021, 116 Minuten, Regie: Joe Penna, u.a. mit Anna Kendrick, Daniel Dae, Kim Shamier Anderson und Toni Collette. Läuft bei Netflix und Amazon Prime
Schnell zeigt sich: Armut an Optionen ist Reichtum an Problemen. Der blinde Passagier fand sich an empfindlicher Stelle: Der CO2-Reiniger ist durchgeschmort, nicht reparierbar, auch das irdische Kontrollzentrum, stets als Hyperion adressiert, weiß keinen Rat. Wobei man, nice touch, zwar stets die Fragen der Marina Barnett hört, die Antworten aber nicht, mit denen bleibt sie so allein, wie sie sich zunehmend fühlt. Die Lage nämlich ist diese: Wegen des kaputten Geräts wird der Sauerstoff nicht reichen.
Genauer gesagt: nicht für vier. Eine*r an Bord ist zu viel. Die drei Mitglieder der offiziellen Besatzung rechnen, Hyperion rechnet, David Kim unternimmt den verzweifelten Versuch, seine Algen zur Sauerstoffproduktion unter den suboptimalen Bedingungen an Bord ein- und damit seine biologische Marsmission aufs Spiel zu setzen. Das scheitert, es gibt weitere Komplikationen. Es wird immer klarer: Einer muss gehen. Und eigentlich ist klar, wer das ist. Der Mann aus der Decke hatte an Bord ja von Anfang an nichts zu suchen.
Suche nach Alternativen
Nur: Seine Schuld ist es eigentlich nicht. Er hat sich nützlich gemacht, wo es ging, ist außerdem reizend, auch rührend um seine Schwester Ava auf Erden besorgt. Dennoch scheint die Situation erst einmal alternativlos. Es sind die besten Minuten des Films, in denen sich die drei etatmäßigen Astronaut*innen in dem Gedanken einzurichten versuchen, dass sie den gerade liebgewonnenen Ko-Passagier umbringen müssen. Sie gewähren sich den mathematisch längstmöglichen Aufschub, vor allem Zoe, der Anna Kendrick einiges an trotziger Entschlossenheit gibt, sucht nach Alternativen.
Und der Film sucht mit ihr. Bis dahin ist er ein Kammerspiel im wörtlichsten Sinn. Entwirft eine Zwangsgemeinschaft, in der die Hölle nicht die anderen, sondern die Umstände sind. Stellt sich das Trolley-Problem, also die Frage, ob und wie Menschen in höchster Not über den Tod anderer Menschen entscheiden können, ob es bei einer solchen Entscheidung eine Rationalität geben kann, die sich mit dem Menschsein verträgt.
Leider ist das Drehbuch nicht bereit, die bittere Situation bis an ihr Ende zu denken. Ein Fluchtweg steht offen, er führt ins All und zu Action-Momenten. Dem Schluss fehlt es nicht an Pathos, nur geht es ins Leere. Der Film hat es sich, die eigentliche Tragik ängstlich vermeidend, gar nicht verdient.
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