Science-Fiction-Roman „Replay“: Googles Datenbrille? Pillepalle!
Benjamin Stein stellt in seinem Science-Fiction-Roman „Replay“ die großen Streitfragen der digitalen Gegenwart: Was ist persönlich, was öffentlich? Welche Daten gebe ich preis?
Wem Googles Datenbrille, die unter dem Namen „Project Glass“ noch in diesem Jahr zur Marktreife gebracht werden soll, schon zu weit geht, der wird am Anblick Ed Rosens gar keine Freude haben. Rosen ist der Protagonist in Benjamin Steins Science-Fiction-Roman „Replay“, und das „Project Glass“ ist für ihn allenfalls eine in ferner Vergangenheit liegende Vorstufe zu dem, was seinen digitalen Alltag prägt: das UniCom.
„Nach einigen Untersuchungen wird das UniCom eingepflanzt, und am Nachmittag geht man als veredelter Mensch nach Hause, beschenkt mit geschärften Sinnen und eingeklinkt in den nicht versiegenden Strom weltweiter Kommunikation“ – so beschreibt Rosen die von ihm selbst entwickelte Software, die kein Hilfsmittel wie eine Brille braucht, sondern direkt in den Körper implantiert wird.
Sie stellt nicht nur Daten über die Umgebung und Kommunikationsmittel zur Verfügung, sondern protokolliert sämtliche Wahrnehmungen und kann sie auf Wunsch auch als „Replay“ wiedergeben. Menschliche Erlebnisse werden wiederholbar, Friedrich Nietzsches „ewige Wiederkunft des Gleichen“ runtergebrochen auf den Wunsch des UniCom-Trägers, glückliche Momente wieder und wieder erleben zu können.
Benjamin Stein wählt einen erotischen Moment, der seinen Protagonisten gefangen nimmt; mehr gefangen nimmt, als es gut für ihn und schließlich auch für den Roman ist. Nymphen, der Hirtengott Pan und ein Huf tauchen in Rosens Wahrnehmung auf und verweisen umständlich auf das schwierige Verhältnis zwischen Original und Reproduktion, Authentizität und Artefakt.
Ein starkes, weil widersprüchliches Sujet wird mythologisiert und stumpft dabei ab. Eine klassische Männerfantasie – Sex mit zwei Frauen – appelliert zudem an ein Körperteil, das mit Ästhetik und Reflexion so viel zu tun hat wie Hornhaut mit Erotik.
sonntaz
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Mit Assange im Zeitgeist
Steins Roman ist dennoch lesenswert. Science-Fiction, die den großen Wurf wagt, die großen Fragen stellt, ist selten geworden. Wo sich einst Wissenschaftler an den Sujets des Genres abarbeiteten, hecheln Teile der SciFi von heute aktuellen Technologie- und Gadgettrends hinterher. Stein hat sich davon freigemacht – mit einer Ausnahme: Sie heißt Julian Assange, der eine Protestbewegung gegen das UniCom anführt und der „Replay“ unangenehm und unnötig im Zeitgeist festschreibt.
Der Autor, der jahrelang als Redakteur von Computerzeitschriften arbeitete, erzählt ansonsten souverän und übersichtlich aus der Rückblickperspektive seines Protagonisten und schafft eine fiktionale Welt, die Streitfragen der digitalen Gegenwart und näheren Zukunft utopisch und realistisch zugleich behandelt: Was ist persönlich, was öffentlich? Welche Daten gebe ich von mir preis? Welche Bedeutung kommt unserem digitalen Verhalten zu? Was machen Staat und Konzerne mit all den Daten? Ist Widerstand möglich?
Über die erste Zeit nach der Implantation heißt es in „Replay“: „Ich war zu einem gläsernen Menschen geworden. So etwas wie Privatsphäre gab es nicht mehr. Ich konnte mich nicht einmal am Hintern kratzen, ohne dass es jemand mitbekam, ganz abgesehen davon, dass es noch andere Bedürfnisse gab, die sich nicht durch ein Kratzen befriedigen ließen und für die Zeugen mehr als entbehrlich waren.“
Der gläserne Mensch in „Replay“ sucht sein Heil in Erinnerungen. Damit weist er weit über vernetzte Welten der Gegenwart hinaus, in denen Erinnerungen, Vergangenheit und Geschichte allenfalls in der Form einer Facebook-Chronik vorkommen. Das ist das Verhängnis Ed Rosens und zugleich die Stärke des Buches.
■ „Replay“. C. H. Beck Verlag, München 2012, 176 Seiten, 17,95 Euro
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