piwik no script img

Schwuler Buchladen macht zuErlesener Ort

Am Samstag schließt der Hamburger Buchladen "Männerschwarm" nach 34 Jahren. Er war eine Institution der Schwulenbewegung.

Als alles anfing: Der Männerschwarm am Neuen Pferdemarkt Bild: Stephan Pflug

HAMBURG taz | Kaum vorstellbar für junge Menschen ist, dass das Hamburger Schanzenviertel zu den besten Zeiten der Alternativbewegung noch nicht Amüsierviertel, sondern eher gering hip war. Wo bis in die frühen Siebzigerjahre noch echte Proleten lebten, waren die Catwalks der Linken. Für heterosexuell empfindende Menschen vor allem muss man dies sagen: St. Pauli war für Schwule, für alle sogenannten sexuellen Außenseiter das Asyl-Quartier schlechthin. Hier, in die dunklen Ecken zog es schwule Männer - und Lesben, bis in die Achtziger, in die "Ika-Stuben".

Und in diese Gegend kam 1981 Hamburgs erster schwuler Buchladen. Kein Pornoshop, sondern ein literarisch und politisch anspruchsvolles Unternehmen namens "Männerschwarm". An den Neuen Pferdemarkt, eine vielspurige Straße, auf der Autofahrer damals gern auf Tempo 80 durchstarteten. Ein unmöglicher Ort. Zugleich aber war kein Platz für die Gründung günstiger, schien es. Das "Spundloch", der Tanzschuppen schlechthin, lag nahe bei, ebenso das damals noch schein-nicht-schwule "Why Not?", später das "Ludovika" oder bis heute das "Crazy Horst".

Vielleicht musste dieses Haus dort angesiedelt sein, zumal die Mieten in jenen Jahren noch für Bafög-Empfänger gut bezahlbar waren - und dass St. Georg mal zum St. Gayorg werden würde, war auch nicht ausgemacht. Recht eigentlich war der Männerschwarm natürlich kein Geschäft für Buchhändlerisches, das für sich ideelle Erstrechte beanspruchen konnte. Es gab ja auf St. Pauli den "Revolt-Shop" - aber dort ging es um sexuelle Accessoires und Pornomaterial. Der "Männerschwarm" wollte jedoch, und das ist sein größtes Verdienst, eine Stelle für Suchende sein, die das Deutungs, also Empfehlungsmonopol von Buchhändlerinnen unterlaufen wollten. Nirgends sonst war Thomas Mann als schwuler Autor gepriesen. Mit anderen Worten: Im Männerschwarm musste man nicht umständlich und unverständig nach Lesenswertem, das auch nichtheterosexuelle Lesebedürfnisse bedient, fragen.

Wer als schwuler Autor auf sich hielt, war also am Neuen Pferdemarkt zu Gast. Felice Picano las dort aus seinem immer noch anbetungswürdig guten Roman "Gefangen in Babel", der letzten aggressiven, nicht mehr puttensüßen New-York-Geschichte aus der Zeit vor Aids; Ronald Schernikau stellte sein politisch exzentrisches Werk "die tage in l." vor, immer noch prima lesbar als glühender Irrweg zur Entgötterung des Kapitalismus; oder Jürgen Lemke, der als DDR-Autor zur Wendezeit nach Hamburg kam, um seine DDR-Homo-Porträts "Ganz normal anders" vorzustellen: Allesamt erste Sahne, literaturgeschichtlich kanonisch für ihre Erzählfelder - die in jedem anderen Kontext nicht gebührend vorgestellt worden wären, schon gar nicht mit ihren schwulen Perspektiven. Glückwunsch nachträglich den Männerschwärmern, dass sie uns die Besuche dieser Autoren überhaupt ermöglicht haben.

Das waren echte Highlights, zumal es das Literaturhaus noch nicht gab und andere Häuser in Hamburg für diese schwule Explizitheit nicht zur Verfügung stehen wollten. Die Erinnerung wird gern gülden, und dabei soll auch nicht weiter ausgesponnen werden, dass diese gewisse Literaturatmosphäre im Männerschwarm nie allen behagte; dieser Gestus des Eingeweihten - gelegentlich wünschte man sich dort ein bisschen weniger Ernsthaftigkeit, die aus jeder Pore Lesefron zu verströmen schien. Vielleicht hätte ein wenig Musik zur Lockerung beigetragen? Dass nicht das eigene Räuspern und Hüsteln, ja, die eigenen Schritte durch den Laden, durch den man cruiste (nach Lesestoff, was sonst), donnernd hörbar gewesen wären?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!