Schwenk in Ankaras Außenpolitik: Erdoğan sucht Nähe zu Saudi-Arabien
Der türkische Präsident sucht nach einer mehr als zehnjährigen Eiszeit die Annäherung an das saudische Regime und seine Dollarmilliarden.
Der Besuch Erdoğans in Riad und Dschidda beendet eine mehr als zehn Jahre lange Eiszeit des Verhältnisses beider Länder zueinander. Seit das saudische Königshaus 2013 den Putsch gegen den ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi finanziert hatte, der gleichzeitig der oberste Vertreter der Muslimbrüderschaft in Ägypten war, hatte Erdoğan die Beziehungen zu den Saudis de facto abgebrochen.
Dann kam 2018 noch der Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi dazu, der im saudischen Konsulat in Istanbul brutal getötet wurde.
Khashoggi, ein prominenter Kritiker von MbS, der in der Washington Post eine einflussreiche Plattform hatte, pendelte damals zwischen den USA und der Türkei. Dort baute er mit befreundeten Muslimbrüdern ein von Erdoğan unterstütztes Netzwerk auf. Den Mord in Istanbul empfand der türkische Präsident deshalb auch als persönlichen Affront.
Die Riad-Reise vollendet den außenpolitischen Kurswechsel
Der türkische Geheimdienst ließ daraufhin mitgeschnittene Tonaufnahmen aus dem saudischen Konsulat an die Presse durchsickern. Dies verhinderte, dass Saudi-Arabien sich auf Dauer dumm stellen konnte. Riad musste schließlich zugeben, dass Khashoggi das Konsulat nicht mehr lebend verlassen hatte.
Saudi-Arabien trat daraufhin die Flucht nach vorn an und ließ einige untergeordnete Chargen für den Mord verurteilen. Weil jedoch alle Indizien darauf hinwiesen, dass der Mord von MbS direkt in Auftrag gegeben worden war, eröffnete die Türkei selbst einen neuen Prozess, um die wahren Täter aufzudecken.
Das Problem des Verfahrens war jedoch von Anfang an, dass Saudi-Arabien keinen der Angeklagten, zu denen auch der damalige saudische Geheimdienstchef gehörte, für den Prozess an die Türkei auslieferte. Zuletzt war das Verfahren einer von Erdoğan geplanten Wiederannäherung an Saudi-Arabien nur noch im Weg und wurde deshalb vor drei Wochen in der Türkei eingestellt.
Damit war die wichtigste Voraussetzung für den Besuch in Riad erfüllt. Dazu kommt wohl im Hintergrund, dass Erdoğan mehr und mehr seine langjährige Unterstützung für die Muslimbrüder zurückfährt. Denn sosehr er auch dafür gekämpft hatte, nirgendwo war es den Muslimbrüdern nach dem Arabischen Frühling 2011 gelungen, längerfristig die Macht zu übernehmen.
Doch keine Führungsrolle Erdoğans m Nahen Osten
Schweren Herzens musste er seinen Traum begraben, mithilfe der Muslimbrüder im Nahen Osten eine Führungsrolle übernehmen zu können.
Stattdessen begann Erdoğan vor zwei Jahren mit einer vorsichtigen Kontaktaufnahme in Kairo außenpolitisch umzusteuern. Nach Ägypten, Israel und den Arabischen Emiraten ist Saudi-Arabien nun der letzte Adressat seines neuen Kurses.
Für die Aussöhnung mit den Golfstaaten und Saudi-Arabien sprechen allerdings nicht nur langfristige strategische Überlegungen. Noch wichtiger ist für Erdoğan im Moment das Geld der reichen Ölstaaten.
Die türkische Wirtschaft liegt völlig am Boden, und Erdoğan braucht vor den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr dringend große Finanzspritzen aus dem Ausland. Der Kronprinz von Abu Dhabi, Mohammed bin Zayed (MbZ), hat bereits zehn Milliarden Dollar zugesagt. Jetzt soll MbS nachlegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP