Schweiz stimmt über Atomausstieg ab: Eine Mehrheit will die Energiewende
Die Schweizer stimmen am Sonntag über ein Verbot von neuen AKWs ab. Die Chancen stehen gut, dass eine Mehrheit für den Ausstieg ist.
Insgesamt soll sich der Energieverbrauch bis 2035 im Vergleich zum Jahr 2000 fast halbieren. In der jüngsten Umfrage des Berner Forschungsinstituts GFS für den Schweizer Rundfunk sprechen sich 56 Prozent der Befragten für die Energiewende aus.
Derzeit erzeugt die Schweiz mehr als ein Drittel ihrer Elektrizität mit Atomkraft. Der überwiegende Teil stammt mit rund 60 Prozent aus Wasserkraft. Lediglich vier Prozent kommen aus anderen erneuerbaren Quellen wie Sonne und Wind. Den Ausfall durch den Abschied von der Atomkraft will die Regierung neben dem Ausbau von erneuerbaren Energien auch über einen geringeren Stromverbrauch kompensieren. Deutschland ist der Schweiz voraus: Dort stammen bereits ein Drittel aus erneuerbaren Quellen.
Im Gegensatz zu Deutschland gibt es für Atomkraftwerke in der Schweiz kein fixes Ablaufdatum, an dem sie vom Netz genommen werden. Vielmehr können sie in Betrieb bleiben, solange die Aufsichtsbehörden sie als sicher einstufen. Neue Werke soll es aber nicht mehr geben.
Die zur Abstimmung stehende Vorlage wird von weiten Teilen der bürgerlichen und linksgrünen Parteien unterstützt, aber von Konservativen wie der Schweizerischen Volkspartei (SVP) abgelehnt. „Wollen wir den Deutschen jeden Blödsinn nachmachen“, fragt etwa Kurt Zollinger vom „Komitee zur Rettung des Werkplatzes Schweiz“.
Höhere Kosten befürchtet
Die Wirtschaft ist gespalten. Die Umstellung kostet nach Schätzungen der Regierung jährlich rund eine Milliarde Franken. Ein vierköpfiger Haushalt müsste demnach pro Jahr mit einer zusätzlichen Belastung von etwa 40 Franken rechnen. Gegner der Vorlage befürchten weitaus höhere Kosten und dass allein die Kleinkunden dafür aufkommen sollen. Auch sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Schweiz für ihre Grundversorgung deutschen Kohle- oder französischen Atomstrom importieren oder den Bau von Gaskombikraftwerke vorantreiben müsse.
„Wir werden nur Strom haben, wenn die Sonne scheint oder der Wind bläst“, sagt Toni Brunner von der SVP. Es drohen auch Klagen der Bürger gegen den Neubau von Windkraft- und Solaranlagen, weil sie die dafür nötigen baulichen Eingriffe in die Landschaft ablehnen. Antoine Millioud von der auf Energiefirmen spezialisierten Beteiligungsgesellschaft Aventron hofft dennoch, dass mit dem Gesetz der Bau von Windenergieanlagen einfacher wird. „So wie es jetzt ist, ist es unmöglich Windprojekte zu bauen.“ In der Schweiz stehen derzeit gut 30 Windturbinen, in Deutschland sind es über 26.000.
Die Schweizer Strombranche unterstützt die Pläne. Den großen Stromkonzernen wie BKW, Alpiq und der mehrheitlich im Besitz der Kantone stehenden Axpo winkt bei einer Annahme der Vorlage eine finanzielle Unterstützung. Diskutiert wird auch über direkte Staatshilfe und einen Verkauf von Stauseen.
Vorbild Deutschland
Alpiq und der Verluste schreibenden Axpo schwebt ein ähnlicher Weg vor wie ihn die deutschen Konkurrenten EON und RWE gegangen sind: eine Aufspaltung. Bereiche, die sich rechnen, sollen von den verlustbringenden getrennt werden. Das Geschäftsmodell der Energiekonzerne war in den vergangenen Jahren wegen der gefallenen Großhandelspreise für Strom in Europa ins Wanken geraten.
Dass die Energiewende auch in der Schweiz funktionieren kann, zeigt sich in Hohentannen, einer kleinen Landgemeinde auf einer Anhöhe zwischen Bodensee und Alpsteingebiet mit 300 Einwohnern. Dort schmücken neben Gartenzwergen auch kleine Windräder die Vorgärten und Solarzellen spiegeln sich auf den Hausdächern. Seit Fukushima kauft Hohentannen keinen Atomstrom mehr, sondern setzt voll auf erneuerbare Energien.
Die Energiewende im Kleinformat wird aktiv mit öffentlichen Zuschüssen gefördert. Jedes neunte Haus produziert eigenen Strom mit Solaranlagen und die Fläche der Photovoltaikanlagen entspricht inzwischen mehr als einem Fußballfeld.
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