piwik no script img

"Schwabinggrad Ballett"-Aktivisten übers Stimmenteilen„Zu schade zum Wegschmeißen“

Die taz wirbt nicht für Wahlbetrug. Das "Schwabinggrad Ballett“ schlägt Politikverdrossenen im Interview vor, ihre Stimme mit Bedürftigen zu teilen.

Politikverdrossene könnten Stimmen mit Bedürftigen teilen: per Briefwahl. Bild: dpa
Interview von Katharina Schipkowski

taz: Schwabinggrad Ballett, rufen Sie zum kollektiven Wahlbetrug auf?

Schwabinggrad Ballett: Nein, wir räumen nur die Möglichkeit ein, etwas mit seiner Politikverdrossenheit zu machen. Wenn man zum Beispiel mit dem Angebot auf dem Wahlzettel nicht zufrieden ist oder sich schlecht fühlt, weil viele Leute, die hier leben, von der Wahl ausgeschlossen sind, könnte man seine Stimme ja auch teilen. Stimmen sind zu schade zum Wegschmeißen.

Was ist der Plan?

Also wenn man sich dazu entscheidet, das zu machen – wozu ich gar nicht aufrufen möchte –, kann man Briefwahl beantragen. Dann soll es Leute geben, die Wahlpartys organisieren. Da geht man dann mit seinen Wahlunterlagen hin und stellt sie zur Verfügung. Andere Leute, die nicht wahlberechtigt sind, können dort anonym wählen. Man selbst muss dann nur diese Erklärung unterschreiben, dass man das auch selbst ist, was man ja nicht ist, aber man kann es ja trotzdem unterschreiben – wobei wir da dann bei einem Delikt wären, vor dem ich nur warnen kann.

Im Interview: Schwabinggrad Ballett

gegründet 2000 in Hamburg, sind KünstlerInnen und Recht-auf-Stadt-AktivistInnen. Mit theatralen Aktionsformen will das Kollektiv unerwartete Momente jenseits ritualisierten Protests schaffen.

Also richtet sich das Angebot an Leute, die ohnehin nicht wählen wollen?

Entweder das, oder man hat Vertrauen, dass die Leute im Freundeskreis das Gleiche wählen wie man selbst. Es ist halt ’ne Vertrauenssache.

Viele, die nicht wählen gehen, tun das aus Überzeugung. Das Zeichen, das sie damit setzen wollen, wird verwischt.

Gar nicht wählen ist keine Aussage. Da muss man schon ungültig wählen. Aber aus meiner jahrelangen Erfahrung als Ungültig-Wähler kann ich sagen, dass man da extrem benachteiligt wird. Man wird gar nicht als Stimme wahrgenommen, sondern als politikverdrossen und uninteressiert. Wenn schon, müssten Ungültig-Wähler in der Statistik aufgeführt werden, gleichberechtigt mit allen anderen.

Und was wollen Sie mit der Aktion erreichen?

Na ja, es ist auch ein Zeichen. Viele Leute verstehen einfach nicht, was das für Kriterien sein sollen, nach denen manche wählen dürfen und andere nicht. Die Leute, die nicht wählen dürfen, zahlen hier Steuern, sind Teil des Gemeinwesens – da ist es völlig abwegig, dass sie nicht wählen dürfen. Wir sind ja nicht im Mittelalter, wo man 20 Jahre in einer Stadt leben muss, bis man sein Wahlrecht kriegt. Das ist völlig antiquiert und entspricht nicht einem modernen Demokratieverständnis.

Man geht ein gewisses Risiko ein – wenn jetzt jemand an meiner Stelle die AfD wählt …

Ja, natürlich. Als politische Aktion ist es ambivalent. Das Thema hat mehrere Ebenen. Einerseits kann man sagen, Wahlen ändern eh nix, oder man lehnt den Parlamentarismus ab, oder man sagt: „Was ist schon eine Stimme, das ist ja total läppisch.“ Andererseits haben uns Anwälte davor gewarnt, offen zu der Aktion aufzurufen, weil Wahlbetrug ’ne heavy Straftat ist, die mit Gefängnisstrafe geahndet werden kann. Und dann gibt es auch Leute, die sich selbst nicht die Hände schmutzig machen wollen. Ich zum Beispiel würde nie die Grünen wählen. Aber wenn mein afrikanischer Mitbürger das aus taktischen Gründen für richtig hält – bitte schön!

Woher kommt eigentlich die Idee?

Die kommt von Yasmin Fahimi, der Generalsekretärin der SPD. Die hat vorgeschlagen, wegen der Politikverdrossenheit die Wahlzeit zu verlängern und fahrende Wahlkabinen einzurichten. Eine rollende Wahlkabine war ja zum Beispiel auch auf der Demo [unter dem Motto „Recht auf Stadt – Never mind the Papers“, Anm. d. Red.] vergangenen Samstag mit dabei. Ich kann mir vorstellen, dass es in Hamburg Leute gibt, die sich motiviert fühlen, so zu der Umverteilung der Stimmen beizutragen. Und die SPD kann sich freuen, dass wir sie ein Mal ernst nehmen.

Und die Wahlpartys sollen die Leute selbst organisieren?

Man kann seine Stimme natürlich auch einfach seinem Mitbewohner geben. Viele der Lampedusa-Leute z.B. sind ja in privaten Wohnungen untergebracht. Aber das hat dann was Paternalistisches – „ich spende dir meine Stimme“. Wenn man ’ne Wahlparty veranstaltet, ist eine ähnliche Anonymität gewahrt wie im Wahllokal. Du kannst geheim wählen und die Stimme in die Urne packen und niemand weiß, was du gewählt hast.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Das wirksamste Mittel gegen Wahlverdrossenheit wäre eine Spalte auf den Wahlzetteln, auf denen man ankreuzen kann "ich will keinen von denen". Wenn dies am Ende dazu führt, daß eine Regierungsbildung unmöglich wird, dann wäre jeder gefordert, daran mitzuwirken, daß sich brauchbare Alternativen bilden, in denen endlich einmal auch drin ist, was draufsteht.