Schutzimpfung gegen Allergien: Schützender Schmutz

Bauernkinder erkranken nicht so häufig an Allergien. Bakterien und deren Abbauprodukte verleihen den Kindern einen Schutz. Diese These überprüfen jetzt Mediziner an der Berliner Charité.

Der Schutz vor Allergien erhöht sich, wenn die Kinder in jungem Alter mit einem Stall in Berührung kommen. Bild: dpa

Hält der Schmutz, was er verspricht? Das fragen sich derzeit Wissenschaftler an der Berliner Charité, die kurz vor dem Abschluss einer Studie über die Prävention von Allergien durch Zerfallsprodukte von Bakterien stehen. Die Studie der Charité beruht auf der sogenannten "Hygienehypothese". Untersuchungen in Bayern hatten ergeben, dass Kinder, die auf Bauernhöfen aufwuchsen, deutlich seltener an Allergien erkrankten als ihrer Altersgenossen aus der Stadt. "In den Matratzen der Bauernhofkinder fanden sich hohe Dosen von Endotoxinen", sagt der Kinderarzt Ulrich Wahn, Allergieexperte an der Charité. Endotoxine sind Zerfallsprodukte bestimmter Bakterien und gehören chemisch zur Gruppe der Lipopolysaccharide, sind also Zucker-Fett-Verbindungen.

Die Annahme der Berliner Forscher: Die Endotoxine sind ausschlaggebender Faktor dafür, dass die Bauernhofkinder seltener an Allergien erkranken. Also müssen allergiegefährdete Kinder, die nicht mit diesen Verbindungen in Berührung kommen können, mit ihnen geimpft werden. Jahrelang testeten sie an allergischen Mäusen, ob der Bakterienabfall den Ausbruch von Allergien verhindern könnte. Tatsächlich stellte die Forschergruppe erhebliche Schutzeffekte für erblich vorbelastete Nachkommen von allergischen Elterntieren fest. "Die Frage ist, ob wir von Mäusen auf Menschen schließen können", sagt der Leiter der Studie, Ulrich Wahn.

Also startete er 2006 eine Untersuchung an 635 Berliner Kindern mit mindestens einem allergischen Elternteil. Ab dem Alter von vier Wochen bekam jeder Säugling sechs Monate lang jeden Tag eine Tablette auf die Zunge gelegt - die eine Hälfte der Kinder ein gängiges Medikament, das Endotoxine enthält und in der Alternativmedizin eingesetzt wird, um die Darmflora zu stabilisieren. Die andere Hälfte der Kinder bekam ein Placebo. Die Ergebnisse der Studie sollen Anfang des Jahres vorgestellt werden. "Wir wissen, dass viele Kinder an einer Allergie erkrankt sind", sagt Ulrich Wahn, "aber wir wissen nicht, welche Gruppe."

Der Mediziner erwartet viel von den Ergebnissen. "Wenn das rauskommt, was wir erhoffen", sagt Wahn, "dann können wir Allergien verhindern." Das Ziel sei die Prävention von Neurodermitis. Und die jetzt untersuchten Endotoxine seien sicher nicht die letzten bakteriellen Produkte, die auf ihre Wirksamkeit in der Allergieverhütung getestet würden.

Die Münchner Medizinerin Erika von Mutius sieht den Ergebnissen der Studie mit mildem Interesse entgegen. Sie ist Autorin der bayerischen "Bauernhofstudie" und sagt: "Wir wissen nicht wirklich, was das bäuerliche Leben bewirkt." Mutius erforscht am "Dr. von Haunerschen Kinderspital" des Uniklinikums München im Rahmen der europaweiten "Gabriel"-Studie die Ursachen von Allergien. Sie vermutet ein komplexes Zusammenspiel von Faktoren, die Kinder auf dem Land vor Asthma oder Neurodermitis schützen.

Das erkenne man schon daran, dass sich der Schutz erhöhe, wenn die Kinder in jungem Alter mit einem Stall in Berührung kämen und zusätzlich in Scheunen gelangten und Rohmilch tränken. "Wir haben die Hoffnung, dass wir irgendwann ein, zwei oder drei Komponenten herausfinden, die wir dann auch anwenden können", sagt sie, "ich glaube aber nicht, dass es die Endotoxine sind, die wir suchen".

Allerdings: Das an die Berliner Kinder verabreichte Medikament sei harmlos und nebenwirkungsfrei, sie finde die Studie durchaus interessant. "Irgendwo müssen wir ja anfangen zu suchen", sagt sie.

Auch der Aachener Kinderarzt und Allergieexperte Frank Friedrichs begrüßt die Berliner Studie, sieht aber vor allem ein methodisches Problem: "Es fällt schwer, 20 oder 30 Faktoren zu untersuchen", sagt er, "also pickt man sich einen Faktor heraus, den man für relevant hält." Sein Beispiel: Kinder, die an vielbefahrenen Straßen wohnten, erkrankten häufiger an Asthma. Ist die Straße die Ursache? Oder wohnten vor allem Familien mit einem bestimmten Lebensstil an solch einer Straße?

Betrachte man die Kinder vom Bauernhof, stehe man vor ähnlichen Problemen. Trotzdem sei der Weg, eine gezielte Impfung gegen Allergien zu entwickeln, richtig, denn ein Zurück in eine infektiösere Umwelt sei kein Fortschritt.

"Es ist eine Errungenschaft, dass Menschen heute in hygienischen Verhältnissen leben", betont der Kinderarzt. Schwangeren und Kindern sei etwa dringend abzuraten, Rohmilch zu trinken. "Die Gefahren durch schwere Infektionskrankheiten wiegen deutlich schwerer als ein möglicher Schutz vor Allergien."

Den besten Schutz sieht Sonja Lämmle vom Deutschen Allergie- und Asthmabund heute noch immer darin, Kinder in rauchfreier Umgebung aufwachsen zu lassen, Säuglinge mindestens sechs Monate voll zu stillen und Beikost behutsam einzuführen. "Natürlich wäre ein wirksamer Impfstoff gegen Allergien der absolute Durchbruch", sagt sie, "doch es gilt abzuwarten, wie die Forschung sich entwickelt."

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