Schutz von Whistleblower:innen: Die alte Angst vor Fehlern
Menschen, die auf Missstände hinweisen, gehen enorme Risiken ein. Die Ampelkoalition sollte mit einem neuen Gesetz für besseren Schutz sorgen.
E s ist tatsächlich schon hundert Jahre her, dass der Autor Kurt Tucholsky seinen mittlerweile berühmten Satz schrieb, in Deutschland gelte „derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht“. Das war 1922, es ging um Verleumdung und den Umgang mit Fehlern. Und jetzt, 100 Jahre später, müsste längst ein Gesetz in Kraft sein, das diejenigen besser oder überhaupt erst mal schützt, die auf Schmutzverursacher:innen hinweisen: Whistleblower:innen. Menschen, die von Korruption über laxe Kontrollen in der Landwirtschaft bis hin zu Missständen, von denen wir nicht einmal ahnen, einiges zu melden hätten hierzulande. Aber noch immer herrscht diese Denke: Bloß nicht hinweisen auf Missstände, denn das gibt Ärger.
Dahinter stehen natürlich Ängste. Angst davor, dass die Wirtschaft Schaden nehmen könnte und haufenweise Betriebsgeheimnisse publik würden. Eine generelle Angst vor Fehlern, weil – auch das ein Missstand, aber ein anderer – Fehler als schädlich gelten. Mit schlechtem Beispiel voran gehen hierzulande auch Politiker:innen, die in der Regel alle verfügbaren Rechtfertigungsstrategien auffahren, um bloß nicht sagen zu müssen: Ja, da habe ich echt Mist gebaut.
Diese Ängste könnte man vielleicht als etwas verschrobenen Wesenszug einer Gesellschaft abtun und damit leben – wären die Konsequenzen nicht so verdammt teuer. Monetär gesehen, denn Korruption kann locker Millionenschäden verursachen. Aber auch gesellschaftlich, man denke an die Missstände in der Pflege, die eine mutige Whistleblowerin öffentlich machte, vor deutschen Gerichten scheiterte mit der Klage gegen ihre Kündigung – und erst vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Recht bekam.
Die Ampelkoalition hat jetzt eine Chance: ein Gesetz zu machen, das Hinweisgeber:innen umfangreichen Schutz bietet sowie Meldewege, Beratungsangebote, wenn nötig auch finanzielle Unterstützung. Es könnte der Anfang eines Kulturwandels werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“