Schutz der Wohnung eingeschränkt: Polizei darf ohne Richter rein
Gericht gibt Land Berlin recht: Zimmer von Flüchtlingen dürfen bei Abschiebungen ohne Richterbeschluss betreten, Handys eingesammelt werden.
Auch in einem zweiten Punkt stellte sich der 3. Senat unter Vorsitz von Richter Kai-Uwe Riese auf die Seite der Innenverwaltung: Die Polizei durfte K. Gegenstände wie Handy und Portemonnaie wegnehmen mit der Begründung, dass er sich selbst oder andere damit gefährden könnte und so seine Abschiebung hätte verhindern können. Dies hatte auch die Vorinstanz so gesehen und K.s Klage in diesem Punkt abgewiesen. Dagegen war der Geflüchtete in Berufung gegangen – diese wies das OVG nun zurück.
Der Anwalt des Klägers, Christoph Tometten, kommentierte gegenüber der taz enttäuscht: „Wenn die Polizei ohne richterliche Kontrolle in Wohnungen eindringen darf, um Menschen zur Abschiebung abzuholen, haben wir ein Problem. Wenn die Polizei Mobiltelefone sicherstellen darf, nur weil sie von Menschen mitgeführt werden, die abgeschoben werden sollen, haben wir ein Problem. Ausufernde polizeiliche Befugnisse sind eines Rechtsstaats nicht würdig.“
Der Fall hat insofern grundsätzliche Bedeutung, als die Berliner Polizei bei Abschiebungen häufig in Zimmer in Flüchtlingsheimen eindringt um Menschen mitzunehmen. Artikel 13 GG, der die Wohnung als unverletzlichen Raum schützt, verlangt für Durchsuchungen allerdings einen Richterbeschluss – den die Berliner Polizei nie dabei hat. Darüber hatte es im vorigen Senat Streit zwischen der der damaligen linken Integrationssenatorin Elke Breitenbach und SPD-Innensenator Andreas Geisel gegeben.
Betreten oder Durchsuchen
Die Bundesregierung verschärfte dann 2019 mit dem „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ des damaligen Bundesinnenministers Horst Seehofer (CSU) das Aufenthaltsrecht, indem sie den Unterschied zwischen „Betreten“ (Aufenthaltsgesetz §58, Abs. 5) und „Durchsuchen“ (Abs. 6 und 8) von Wohnungen einführte – und bestimmte, dass nur letzteres unter Richtervorbehalt fällt. Diese Bestimmung war jedoch von Beginn an juristisch hoch umstritten, denn das Problem hieß nun: Wo endet das „Betreten“, wo beginnt das „Durchsuchen“?
Im vorliegenden Fall hatte das Verwaltungsgericht im Oktober 2021 das Land Berlin gerügt: Schon das Betreten des Zimmers des Klägers mittels einer Ramme – auf das Klopfen der Polizisten hatte niemand geöffnet – sei ein „Durchsuchen“, so die Richterin. Die Polizei habe ja nicht wissen können, was sie dort erwarte, der Gesuchte hätte abwesend sein können oder jemand anders anwesend. Es sei also eine „Durchsuchung“ erwartbar gewesen, für die aber der Richterbeschluss fehlte. In diesem Punkt gaben die Richter damals Ibrahim K. recht.
Dass die Berufung dazu erst jetzt stattfand, lag auch daran, dass das OVG das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in einem ähnlich gelagerten Fall abwarten wollte, wie Richter Riese in der Verhandlung erklärte. Im Juni 2023 hatten die obersten Verwaltungsrichter auch über die Frage der Rechtmäßigkeit des Betretens von Räumen in Flüchtlingsunterkünften zu entscheiden.
Sie sahen die Sache so: Zwar sei in der Tat auch ein Zimmer in einem Flüchtlingsheim als Wohnung im Sinne Artikel 13 GG anzusehen – eine im Sinne von Flüchtlingsrechten positive Klarstellung, begrüßte Pro Asyl seinerzeit, denn auch diese Frage war bis dahin nicht abschließend juristisch geklärt. Sie urteilten aber auch: Wenn es über „das bloße Betreten des Zimmers hinaus zu keiner Durchsuchungshandlung im Sinne eines ziel- und zweckgerichteten Suchens nach etwas Verborgenem kam“, brauche die Polizei keinen Durchsuchungsbefehl.
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl kritisierte, nach dieser Auffassung seien kleinere Wohnungen, die man mit einem Blick erfassen könne, weniger geschützt als große Wohnungen mit mehreren Zimmern. „Damit hebelt das Gericht den Schutz des Wohnraums in kleinen Wohnungen aus.“
„Weitere Handlungen“ nach dem Betreten
Das Land Berlin fühlt sich durch dieses höchstrichterliche Urteil dagegen in „unsere Rechtsauffassung bestätigt“, sagte die Vertreterin, Luise Menzel, am Dienstag vor dem OVG. Auch im Berliner Fall, der sich im September 2019 zutrug, habe es sich nur um ein Betreten gehandelt. Dass das Gericht ebenfalls dieser Ansicht zuneigt, wurde bereits während der Verhandlung erkennbar. Tometten wies dagegen darauf hin, dass im hier verhandelten Fall zwei Menschen im Zimmer waren „und es nach dem Betreten zu weiteren Handlungen gekommen ist“. K. und sein Zimmergenosse mussten ihre Ausweise vorzeigen, um sich zu identifizieren – sonst hätte die Polizei nicht gewusst, wen sie mitnehmen soll.
Die Frage der Rechtmäßigkeit von Handywegnahmen ist ebenfalls von grundsätzlicher Bedeutung, dies geschieht ebenfalls häufig bei Abschiebungen – erst am Flughafen wird den Menschen ihr Telefon zurückgegeben. Ziel sei offenkundig die Benachrichtigung von Anwälten zu unterbinden, die möglicherweise im letzten Moment die Abschiebung juristisch verhindern könnten, sagen Flüchtlingsorganisationen. Die Polizei begründet die Handy-Wegnahme dagegen regelmäßig mit Sicherheitsaspekten.
„Aber dass man ein Handy verschlucken oder einen Polizisten damit verletzen kann, ist völlig abwegig“, so Tometten zur taz. Insofern verletze die Sicherstellung des Handy die Grundrechte der Betroffenen – aus diesem Grund hat der Anwalt auch die Zulassung zur Revision beantragt. Doch auch dies lehnte das OVG ab. Das Verfahren währte am Dienstag insgesamt nur kurz: Nach 40 Minuten beendete Richter Riese die mündliche Verhandlung am Vormittag, gegen Mittag war das Urteil da.
Immerhin: Für Ibrahim K. persönlich ist die Sache nicht mehr von Bedeutung. Seine versuchte Abschiebung wurde seinerzeit am Flughafen abgebrochen, kurz danach endete die Frist, in der er nach Italien hätte rückgeschoben werden können. Im Mai vorigen Jahres bekam er eine Ausbildungsduldung und macht nun eine Ausbildung zum Maler und Lackierer. Bis 2025 kann er mindestens in Berlin bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen