Schulunterricht während Corona in NRW: Punktesieg für Solingen
Solingen wehrt sich gegen die autoritären Verordnungen von NRW-Schulministerin Gebauer. Ein gutes Zeichen für Beamt:innen und Schulleiter:innen.
Jetzt also doch? In Solingen verstehen sie die Welt nicht mehr. Als das Infektionsgeschehen in der Stadt bei 283 Ansteckungen pro 100.000 Einwohner:innen lag, stellte Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) einen Plan auf: alle 20.000 Schüler:innen der Stadt vorübergehend in den Wechselunterricht zu schicken, um so – bei geteilten Klassen und Abstandsregelung im Unterricht – die Pandemie eindämmen zu helfen.
Aus dem Plan wurde aber nichts, weil NRWs Schulministerin Yvonne Gebauer was dagegen hatte (oder weil ihr Chef, Armin „Wir-wollen-Normalität“ Laschet, noch Kanzler werden will). Die Landesregierung verbot das „Solinger Modell“ per Erlass – was man eher Bayerns Corona-Hardliner Söder zugetraut hätte als NRWs Kuschel-Armin. Vermutlich hat das söderhafte Auftreten mit Laschets politischen Ambitionen zu tun. Da half auch nicht, dass sich Kurzbach mit allem wehrte, was ihm das Beamtentum an Waffen zur Verfügung stellt: Er remonstrierte, erhob also Einspruch, – und ging an die Presse.
Umso überraschender ist nun die Kehrtwende, die die Landesregierung andeutet. Am Freitag sagte Gebauer plötzlich im Kölner Stadt-Anzeiger, sie sei offen für „alle Unterrichtsmodelle“. Wenn sie das ernst meint (und künftig nicht mehr in lokale Entscheidungen interveniert), wäre es ein Punktsieg für Solingen. Und für die Überzeugung, dass Beamt:innen und Schulleiter:innen vor Ort am besten wissen, was gut für sie ist. Kurz: Es wäre ein Punktsieg für den Föderalismus.
Dieses Verdienst gebührt der Stadt, selbst wenn man die Notwendigkeit von halben Klassen anzweifelt oder den Plan für ein Problem hält. Das Tragische dabei: Solingen wird sich dafür nichts kaufen können. Dass die Landesregierung ihren Erlass zurück nimmt, kann man sich beim besten Willen nicht vorstellen. Erst recht nicht, weil die Zahl der Neuinfektionen in Solingen mittlerweile gesunken ist.
Damit war der Kampf jedoch keineswegs umsonst. Lokalpolitiker:innen und Schulleiter:innen wissen nun genau, wie sie ihren Antrag bei der Schulaufsicht stellen müssen, um nicht abgelehnt zu werden. Einzelne Schulen: okay; ganze Städte: nicht okay. Und dann bleibt abzuwarten, ob sich die Schulministerin noch mal traut, nach Solingen ein zweites Mal zu intervenieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg