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Schulunterricht für Flüchtlinge in PolenNicht mit polnischen Kindern!

Die polnische Regierung will Flüchtlingskinder nicht mehr auf öffentliche Schulen schicken. Stattdessen sollen sie in ihrer Asylunterkunft lernen.

Gemeinsam lernen, miteinander sprechen und malen: Dass es so bleibt, ist für geflüchtete Kinder in Polen keineswegs sicher (Symbolbild) Foto: rawpixel/Unsplash

Warschau taz | „Mussa, komm runter! Spielen!“, schreit der achtjährige Marek aus ganzer Kehle. Im ersten Stock der Warschauer Tadeusz-Gajcy-Grundschule erscheint ein tschetschenischer Knirps kurz am Fenster, hält triumphierend einen Fußball in die Höhe und ist zwei Minuten später auf dem Schulhof. „Marek, Mussa!“, ruft die Schuldirektorin Wiesława Dziklińska ihnen zu: „Da hinten!“ Sie zeigt auf den Platz hinter dem Freiluft-Fitness-Studio. „Da kann wenigstens kein Fenster zu Bruch gehen.“

Und dann erzählt die ­Schulleiterin, wie gut Flüchtlingskindern wie Ma­rek das Umfeld tut. „Wir sehen förmlich, wie sie an der Schule aufblühen. Sie lernen Polnisch, finden neue Freunde und vergessen langsam das Schreckliche, das sie in ihrem Leben schon gesehen haben.“ Nach einer Pause sagt sie: „Ich hoffe, nach den Ferien sehen wir alle wieder!“

Sicher ist dies keineswegs. Denn das polnische Innenministerium plante noch Anfang des Jahres, Flüchtlingskinder aus den öffentlichen Schulen herauszuholen und demnächst nur noch in Asylbewerberheimen unterrichten zu lassen – auf Antrag der Kommunen. Tatsächlich hatte schon der Bürgermeister eines Warschauer Vororts so massive Probleme mit Rechtsradikalen, dass er diesen Wunsch geäußert hat.

Doch die nationalpopulistische Recht und Gerechtigkeit (PiS), die seit Ende 2015 mit absoluter Mehrheit regiert und auch den Innenminister stellt, hetzt bei jeder Gelegenheit gegen „Migranten“. Im Wahlkampf giftete Parteichef Jaroslaw Kaczyński, dass die Flüchtlinge „gefährliche Krankheiten“ wie die Cholera, die Ruhr und Parasiten einschleppten.

Erst Schlagzeilen wie „Bildungsghetto für Flüchtlinge“, „Kinder eines schlechteren Gottes“ und „Segregation in der Schule“ ließen das Innenministerium zurückrudern. Lautstark dementierte es die Absicht, den Schulunterricht für Ausländerkinder in die Asylbewerberheime zu verlegen. Vom Tisch ist die geplante Verordnung damit noch nicht. Niemand kann sich sicher sein, dass sie nicht doch plötzlich zu den Kommunalwahlen im Herbst in Kraft tritt.

Negative Anwesenheit

In der Begründung Anfang des Jahres hatte es noch geheißen, dass nicht nur Ausländerkinder in polnischen Schulklassen die Lust am Lernen verlören, weil sie noch zu wenig Polnisch sprächen und dem Unterricht nicht folgen könnten. Vielmehr wirke sich auch ihre Anwesenheit in öffentlichen Schulen „negativ und demotivierend“ auf polnische Kinder aus.

Würden die kleinen Tschetschenen, Iraker und Ukrainer hingegen die ganze Zeit im Heim bleiben, glaubte das Innenministerium, könne dies sogar „die negative Haltung der lokalen Bevölkerung ihnen gegenüber verringern“.

Das ist offene Diskriminierung

Hawra Elbazdukajewa, Mutter

„Das ist offene Diskriminierung“, empört sich Hawra Elbazdukajewa, eine Tschetschenin, die vor knapp zwanzig Jahren mit ihrem Mann und zwei Kindern aus einem Dorf bei Grosny floh. Heute arbeitet sie in der Stiftung MultiOcalenie, die sich um die Integration der anerkannten Asylbewerber und Flüchtlinge kümmert. „Es war noch nie leicht für Flüchtlinge in Polen, allein schon deshalb, weil die Asylbewerberheime an den Ortsgrenzen liegen. Da gibt es kaum öffentliche Verkehrsmittel.“

Elbazdukajewa erinnert sich an die Schikanen: dass ihre beiden Kinder um 5 Uhr morgens aufstehen mussten, um pünktlich in der Schule zu sein. Die Baracken, in denen die Familie hausen musste. Der kilometerweite Fußweg durch den Wald. Doch für ihre Kinder sei die Schule enorm wichtig gewesen: der Kontakt mit den polnischen Kindern, das Lernen, aber eben auch Spiel und Spaß.

Wichtig für die Entwicklung

Die füllige Mittvierzigerin holt ein paar Fotos aus ihrer Geldbörse und erzählt: „Sowohl meine große Tochter als auch mein kleiner Sohn haben schnell Polnisch gelernt und sich gut integriert.“

Zum Warschauer Asylbewerberheim für Frauen und Kinder im Stadtteil Targówek Fabryczny führt ein schlammiger Fußpfad vorbei an einem laut rumorenden Betonmischwerk. Das einstöckige Barackengebäude diente einst Arbeitern als billige Unterkunft.

Klassenzimmer an der Warschauer Tadeusz-Gajcy-Grundschule Foto: Gabriele Lesser

Heute ist es im Besitz der Lubliner Firma Nakon, die hier für den polnischen Staat ein Flüchtlingsheim mit Vierbettzimmern betreibt. „Insgesamt verfügt Polen über elf Asylbewerberheime. Dieses hier in Warschau-Targówek ist das einzige nur für Frauen mit Kindern“, erläutert Jakub Dudziak von der Warschauer Ausländerbehörde. Hier sind 70 Kinder und 38 Mütter untergebracht.

Angesicht der Zahlen von Millionen Flüchtlingen, die Polens Premier Tadeusz Morawiecki gern ins Feld führt, klingen die „1.400 Ausländer, die zurzeit in Polens Asylbewerberheimen wohnen“, doch recht bescheiden. „Dazu kommen allerdings noch rund 1.800 Asylbewerber, die auf dem freien Markt eine Wohnung mieten und von uns einen Mietzuschuss bekommen“, so Dudziak.

Überfordernde Situation

Rund die Hälfte aller Asylbewerber in Polen seien unter 18 Jahre alt. Von diesen rund 1.600 Kindern sei wiederum rund die Hälfte schulpflichtig. Derzeit gehen diese Kinder alle in öffentliche Schulen – noch.

Im kleinen Spielzimmer vergnügen sich zwei kleine Jungs und ein Mädchen. Die Kinder kommen aus Tschetschenien und Irak. Darunter der vierjährige Aslan. Als seine Mutter das Zimmer betritt, stürmt er ihr entgegen. Er will auf den Schoß genommen werden. Dann deutet er auf ein Plätzchen, ohne ein Wort zu sagen.

Die psychische Situation der Kinder ist sehr schwer. Die Schule außerhalb des Heims ist sehr wichtig für sie, der Kontakt mit polnischen Kindern

Anna Milewska, Heimleiterin

Mariam hält ihn schützend umschlungen. „Er redet fast gar nichts. Das war wohl alles zu viel für ihn: der Streit zu Hause, dann unsere Flucht, das Warten an der weißrussischen Grenze, und hier nun die vielen fremden Menschen, die alle in verschiedenen Sprachen sprechen.“ Aslan knabbert an einem Keks und lauscht aufmerksam.

„Ich möchte, dass er in einen polnischen Kindergarten und dann in eine polnische Schule geht. Er braucht dringend eine feste Tagesstruktur. Die hat er hier im Heim nicht“, sagt seine Mutter, die ihren Nachnamen nicht nennen will. Zu unsicher fühlt sie sich derzeit in Polen. Die Heimleiterin Anna Milewska nickt zustimmend: „Die psychische Situation der Kinder ist sehr schwer. Die Schule außerhalb des Heims ist sehr wichtig für sie, der Kontakt mit polnischen Kindern.“

Einfach nur ein Kind

Mariam ist zwar keine politisch Verfolgte, dennoch darf sie in Polen bleiben. Zwar spricht sie nach zwei Jahren immer noch kein Polnisch, doch sie hofft, dass ihr auch „in Freiheit“, wie sie sagt, noch ein bisschen geholfen wird. In einem Monat muss sie das Heim verlassen und dann ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Sie lächelt schüchtern: „Alles wird gut.“

In der Tadeusz-Gajcy-Schule endet die Pause. „Vor unseren 220 Schülern sind 70 Ausländer. Davon kommen 50 aus dem Asylbewerberheim in Targówek“, sagt Schulleiterin Wiesława Dziklińska. Sie beugt sich kurz zu zwei Kindern aus Tschetschenien herunter und gibt ihnen ein kleines Päckchen bunte Knete.

„Natürlich gibt es manchmal Probleme. Aber für uns hier an der Schule ist jedes Kind einfach nur ein Kind, egal ob Ausländer oder nicht. Wir wollen keines von ihnen missen.“ Sie hofft, dass das Innenministerium ihr keinen Strich durch die Rechnung macht.

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13 Kommentare

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  • Erinnert an die Planungen zu den Ankerzentren, auch wenn dort nicht anerkannte Flüchtlinge untergebracht werden sollen.

    Das Argument mit der abnehmenden Angst - so kreativ war sogar CSU/ADD noch nicht.

  • Hoffentlich bekommen die betroffenen Kinder eine Chance darauf, sich annähernd frei und gefördert zu entwickeln. Weiter hoffe ich, dass der polnische Rechtsruck endlich an Fahrt verliert. Allerdings ist es schwer daran zu glauben, da es ja eine allgemeine Bewegung in Europa ist und weltweit auch immer lauter die Trommeln schlagen.

  • 'Würden die kleinen Tschetschenen, Iraker und Ukrainer hingegen die ganze Zeit im Heim bleiben, glaubte das Innenministerium, könne dies sogar „die negative Haltung der lokalen Bevölkerung ihnen gegenüber verringern“.'

    Ja, genau. und um eine positive Haltung gegenüber Geflüchtete zu erreichen stecken wir sie in KZ, oder was? Ganz nach dem Motto, 'alles schlechte aus meinen Leben zu verbannen', oder wie soll das unsichbar machen von geflüchteten für mehr tollerants ihnen gegenüber sorgen? ganz im gegenteil, die geschichte lehrt uns, konzentration ist der erste schritt zum genozied.

    • @Arianus:

      Sie wissen schon was ein KZ war?

      • @Thomas März:

        ja, das weiß ich sehr genau, aber entweder verstehe ich ihre frage nicht, oder sie meine überspitzung nicht.

        Wie dem auch sei, wahrscheinlich war aber auch die Akzeptans gegenüber den Juden im dritten Reich deutlich größer, nachdem sie ins KZ gesteckt wurden, was verdeutlichen soll, wohin solche Aussagen führen, wie:



        'Würden die kleinen Tschetschenen, Iraker und Ukrainer hingegen die ganze Zeit im Heim bleiben, glaubte das Innenministerium, könne dies sogar „die negative Haltung der lokalen Bevölkerung ihnen gegenüber verringern“.'

  • Mal vorab!

    “Asylanten“ - ist ein Unwort. Punkt.

    “Schulunterricht für Flüchtlinge in Polen



    Nicht mit polnischen Kindern!



    Die polnische Regierung will Flüchtlingskinder nicht mehr auf öffentliche Schulen schicken. Stattdessen sollen sie in ihrer Asylunterkunft lernen.“

    Das hat mein begnadeter Volksschullehrer Herr Reichwald 1951!



    Aber ganz anders gesehen.



    Als ich Pöks nach 1/2 Jahr SBZ/DDR-Schule in seine Klasse im lübschen Arbeiter/Flüchlingsvorort Marli kam.



    In der mehrheitlich polnisch russisch & lettisch gesprochen wurde. Von oxpreußisch mal ganz ab. Newahr.



    Am Ende der 4. Klasse - konnten alle durch die Bank - passabel deutsch sprechen & schreiben!



    &



    unterm——mal dazu -



    In aller Eitelkeit verdanke ich ihm zudem die einzige - öh positive Kopfnote!;) - “…fördert durch rege Mitarbeit den Unterricht.“



    &Däh!



    Das sahen dann - auch klar - meine Pauker im Katzenmuseum ganz anders.



    (& einige der etwas anderen Mitschüler auch - teils bis heute!;))



    2x Backenbleiben die Quittung!



    Fin - ”Ascheimerzug“ - vulgo mat.nat!;))

    Aber - „Das stört keinen großen Geist.“



    Fanden meine Eltern selig auch!;))



    Bedankt.

    Ende der Werbeeinblendung!;)

    • @Lowandorder:

      Das Stichwort heisst Beslan.

      Beslan überstieg jede Vorstellungskraft und sorgt seither im Osten (nicht nur Polen) für Segregation zwischen Bevölkerung und Tschetschenen. Ich bin zeitweise in Gdynia und denke nicht, dass sich das jemals ändern wird. Der Faktor Beslan wird im Artikel ausgeblendet.

      • @el presidente:

        May be!

        But. Wie meinen?

  • Bemerkenswert ist der Hinweis auf die Nationalität der Asylanten: Offensichtlich mehrheitlich Tschetschenen, Ukrainer und Iraker. Die beiden ersten Gruppen kommen aus Weltgegenden mit ausgeprägter Feindschaft zu Rußland, was den notorisch russophoben PiSern eigentlich sympathisch sein müßte. Was die Iraker anbetrifft, so dürften die Fluchtgründe mehr oder weniger mit den Spätfolgen der US-geführten Invasion von 2003 zu tun haben. Zuvor war von irakischen Flüchtlingen in diesen Ausmaßen nicht die Rede. Zu der „Koalition der Willigen“, die sich unter den Stars and Stripes an der „Operation Iraqi Freedom:“ beteiligten und den Irak besetzten zählte auch... Polen.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Zur Ukraine hat Polen, zumindest die Pis eine mindestens genauso schlechte Beziehung wie mit Russland.

      de.m.wikipedia.org...en_und_Ostgalizien

      Nationalisten unter der Führung von Bandera brachten zwischen Februar 1943 bis April 1944 etwa 100.000 Polen in verschiedenen Massakern um.

      Da gab es auch 2016 einen Film, der in Polen und vor allem in der Pis für starke Reaktionen gesorgt hat.

  • "Die polnische Regierung will Flüchtlingskinder nicht mehr auf öffentliche Schulen schicken. Stattdessen sollen sie in ihrer Asylunterkunft lernen."

    Das steht aber nicht in Ihrem Artikel, Frau Lesser.



    Was da steht ist: "Vom Tisch ist die geplante Verordnung damit noch nicht. Niemand kann sich sicher sein, dass sie nicht doch plötzlich zu den Kommunalwahlen im Herbst in Kraft tritt."

  • Oh wat könnte man da böse Kommentare schreiben... ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll. Wie wärs mit "mehr Polen in Deutschland als Asylanten in Polen", oder "schaffen es nicht mal, 2000 Leute zu integrieren" oder "völlig überfordertes Gesundheitssystem", oder "aber Geld für Zwergschulen in Großstädten rausschmeissen!" oder "wieso hat die PiS eigentlich die absolute Mehrheit? Sind ja türkische Zustände, und das in der EU!"

    Ah, noch was, wenn man sich die Namen genauer anschaut: Alle, die rumstänkern, sind Männer, alle die was für die Integration tun, sind Frauen. Interessant!

  • Die linksliberalen Bildungsbürger der taz-Redaktion, die ihre Kinder nicht mit Migranten zur Schule schicken wollen, finden es also grässlich, wenn Migrantenkinder von Einheimischen separiert werden.

    Ganz großes Tennis...