Schulplatzmangel in Berlin: Große Pause statt Bauoffensive
Obwohl die Schulbauoffensive seit Jahren läuft, kommt man nicht aus der Defensive. In Mitte kämpft das Schulamt gegen Personalnot und Fehlplanungen.
Bei David M., Vater eines Sechstklässlers aus Mitte, ist allerdings auch am Montag, sieben Tage nach Versand, noch immer nichts im Briefkasten gelandet. Die Sommerferien beginnen kommende Woche. Im Schulamt, erzählt M., sei niemand zu erreichen gewesen, die Stelle für die Oberschulzuweisungen ist als „vakant“ aufgeführt. Irgendwann erreichte er dann die Sachbearbeiterin für die Grundschulen. „Sie konnte mir sagen, was in dem noch nicht zugestellten Brief steht: dass unser Sohn einen Platz auf dem Tiergarten-Gymnasium hat.“
Das Beispiel aus Mitte zeigt ganz schön, warum viele Berliner Eltern und Lehrkräfte gerade das Gefühl haben, dass man auch im fünften Jahr der Schulbauoffensive eher noch dabei ist, sich aus der Defensive zu kämpfen: Die bezirklichen Schulämter sind überlastet, und konkrete Baumaßnahmen kommen oft langsamer voran als gedacht, so dass sie nicht kurzfristig den Druck aus der Entwicklung der Schüler*innenzahlen nehmen könnten.
„Das wird in den kommenden Jahren schlimmer, als ich es mir vorgestellt habe, gerade im Oberschulbereich“, gibt Mittes Bildungsstadträtin Stefanie Remlinger (Grüne) auf Nachfrage umumwunden zu. Für das kommende Schuljahr nimmt das Diesterweg-Gymnasium in der Böttgerstraße im Wedding, quasi als „Überlaufschule“ für alle Unversorgten, noch zwei zusätzliche Klassen auf – dafür wurden wiederum Willkommensklassen für ukrainische Geflüchtete in einen Jugendklub und die bezirkliche Musikschule ausgelagert.
„Das zeigt, wie enorm hoch der Druck ist“, sagt Remlinger. „Denn auch die ukrainischen Kinder brauchen ja möglichst schnell eine Perspektive in Regelklassen.“ Spätestens nach den Sommerferien dürfte dieses Thema aktuell werden – und Remlingers „Jugendklub“-Modell an seine Grenzen kommen.
Planungsfehler der Vergangenheit
Das Diesterweg-Gymnasium ist zugleich ein Beispiel für Planungsfehler in der Vergangenheit, die jetzt die schnelle Schaffung von dringend benötigten Schulplätzen weiter verzögern. Der ehemalige Standort in der Putbusser Straße ist ein Sanierungsfall, sogar ein sogenannter „Großschadensfall“. Im denkmalgeschützten Gebäudeensemble aus den 70er Jahren steht das Wasser, es gebe wohl auch eine Asbestbelastung, sagt Remlinger, die das Gebäude neulich begehen konnte, „mit Schutzanzug“.
Eigentlich übernimmt in solchen Fällen die landeseigene Howoge: auch eine Idee der Schulbauoffensive, um die Bezirke bei solchen Großbaustellen zu entlasten. Doch die Bildungsverwaltung nahm die Sanierung vor rund zwei Jahren aus der Schulbauoffensive raus – jetzt ist formal der Bezirk zuständig. Dort passierte erst mal nichts.
Remlinger sagt, man brauche diese Schule aber dringend in Mitte, sie will den Standort reaktivieren und die Baustelle in die Schulbauoffensive „zurückverhandeln“. In die Investitionsplanung für ihren Bezirk, die allerdings vom Senat noch beschlossen werden muss, hat Remlinger jetzt 50 Millionen Euro dafür eingestellt. Eine erste Tranche 2024 über 2,5 Millionen Euro soll für eine Wirtschaftlichkeitsprüfung bestimmt sein: „Damit wir wissen, ob eine Sanierung überhaupt noch in Frage kommt im Vergleich zu einem Abriss.“ Remlinger rechnet „nicht vor 2028/29“ mit einer Wiedereröffnung des Schulstandorts.
Eine Frage sei auch, sagt die Stadträtin, die das Amt im Herbst 2021 übernommen hat, was aus den Investitionsplanungen der vergangenen Jahre überhaupt realisiert werden könne. Da seien viele Investitionsmittel „nicht mit einer Planung hinterlegt“, habe sie festgestellt. Das ist vor allem auch deshalb schlecht, weil die Senatsfinanzverwaltung bei jeder Haushaltsaufstellung schaut, wie viele Mittel tatsächlich abgerufen wurden – und den Etat im Zweifel nach unten korrigiert.
Auch in anderen Bezirken sind langsame Baufortschritte ein Problem, heißt es am Montag in einer Mitteilung der Linke-Fraktion in Marzahn-Hellersdorf. Dort geht es eher um Grundschulstandorte. Eine Anfrage an das Schulamt habe gezeigt, dass bei vielen Baumaßnahmen der Zeitplan nicht eingehalten werden könne, sagt Fraktionschef Bjoern Tielebein. Man wünsche sich daher, „dass das Bezirksamt klar artikuliert, an welchen Stellen es einen erhöhten Bedarf sieht.“
Vater David M. aus Mitte protestierte noch am Telefon spontan, als er vom Tiergarten-Gymnasium erfuhr: Die Schule in Moabit sei zu weit weg, zudem habe sie „einen schlechten Ruf“. Die Sachbearbeiterin habe dann noch „spontan“ einen Platz am Diesterweg-Gymnasium gefunden: „Gerade sei einer frei geworden, das Kind gehe wohl auf eine Privatschule, hieß es.“ Für M. zeigt das aber auch, wie viel Chancenungerechtigkeit in dem Schulplatzmangel steckt: „Wer die Ressourcen hat und sich zu wehren weiß, der hat Glück.“
Wann die vakante Stelle im Schulamt Mitte nachbesetzt wird, ist noch nicht klar, sagt Remlinger. Sie bemühe sich um eine Abordnung aus einer anderen Abteilung: „Es ist gerade ganz einfach die Entscheidung, ob die Mitarbeiter ans Telefon gehen oder Akten bearbeiten – eins geht nur, sonst brechen wir zusammen“, erklärt sie die schlechte Erreichbarkeit für besorgte Eltern kurz vor den Ferien. Und der verzögerte Versand der Schulbescheide in Mitte? Auslieferungsschwierigkeiten beim Zusteller, sagt Remlinger.
Zumindest dafür kann das Schulamt also mal nichts.
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