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Schulen in der PandemieLeerstelle der Coronapolitik

Malte Kreutzfeldt
Kommentar von Malte Kreutzfeldt

Dass über den Sommer keine Voraussetzungen für einen sicheren Schulbetrieb geschaffen wurden, ist das größte Versäumnis der deutschen Coronamaßnahmen.

Bei hohen Fallzahlen sind laut RKI im Unterricht Masken, Lüften und Mindestabstand erforderlich Foto: Michael Weber/imago

D ie Bundesregierung hat in der Pandemie bisher vieles richtig gemacht. Ob mit präzisen Ansprachen der Kanzlerin oder zielgruppengerechten Videos für junge Leute: Primär auf Einsicht und Vernunft zu setzen ist in dieser Situation sinnvoll, denn eine komplette Überwachung aller Coronaregeln ist weder machbar noch wünschenswert.

Doch gerade bei Jugendlichen wird die Vernunft auf eine harte Probe gestellt, denn die Regeln, die für sie gelten, sind schwer nachvollziehbar: Vormittags sitzen sie meistens, wie vor der Pandemie auch, mit 30 Personen in einem Klassenraum, ohne Chance, den Mindestabstand einzuhalten, der sonst überall vorgeschrieben ist. Doch nachdem sie sechs Stunden dicht an dicht mit ihren Klassenkamerad*innen verbracht haben, dürfen sie sich am Nachmittag oder am Wochenende maximal mit einem von ihnen treffen.

Keine Frage: Im Grundsatz ist es völlig richtig, die Schulen und Kitas offen zu halten, weil effektives Lernen auf direkte Interaktionen angewiesen ist. Und die Schulen völlig zu schließen – so wie im Frühjahr geschehen – fordert derzeit aus gutem Grund auch kaum jemand. Aber das Ziel müsste schon sein, das Infektionsrisiko in den Schulen so weit wie möglich zu verringern.

Wie das geht, dafür hat das Robert-Koch-Institut klare Empfehlungen ausgegeben: In allen Kommunen mit hohen Fallzahlen (und das sind derzeit die allermeisten) ist auch im Unterricht neben Masken und Lüften ein Mindestabstand erforderlich. Der lässt sich entweder durch den Umzug in größere Räume erreichen oder durch kleinere Gruppen – etwa indem abwechselnd nur die Hälfte (oder zwei Drittel) der Schüler*innen vor Ort unterrichtet werden und die übrigen zu Hause lernen.

Doch umgesetzt werden diese klaren Vorgaben bisher nirgends, nicht mal bei älteren Schüler*innen, wo das eigenständige Lernen besser funktioniert und wo es zu Hause auch kein Betreuungsproblem gibt. Und daran wird sich zunächst wohl auch nichts ändern. Die Forderung der Bundesregierung, Gruppen zu teilen, sofern keine ausreichend großen Räume zur Verfügung stehen, wurde schon vorab wieder aus dem Beschlussentwurf gestrichen.

Dass über den Sommer keine Voraussetzungen für einen sicheren Schulbetrieb geschaffen wurden, ist das größte Versäumnis der deutschen Coronapolitik. Das so schnell wie möglich zu ändern, würde sich nicht nur auf die Infektionszahlen positiv auswirken – sondern auch auf das Verständnis für alle anderen Beschränkungen.

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Malte Kreutzfeldt
ehemaliger Redakteur
Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert.   Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.
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15 Kommentare

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  • Warum wird eigentlich nirgendwo dieser Ansatz diskutiert der allem Anschschein nach seriös entwickelt sowie günstig und zeitnah realisierbar ist?

    https://www.mpg.de/15962809/corona-lueftung-aerosole-luft

  • Ich kann diese teils völlig weltfremden Kommentare, sowohl von Journalisten als auch von Lesern, kaum noch ertragen. Ich bin selber Lehrer, beschäftigt an einer Förderschule für psychisch kranke Schülerinnen und Schüler. „Die Schulen Coronasicher machen“: innerhalb eines halben Jahres sollen also in jeder Schule Zusatzgebäude gebaut werden?! Klar, warum nicht! Das, was sonst 10 Jahre dauert, wird halt jetzt in drei Monaten gemacht. Der Statiker kann ja im Nachhinein mal drübergucken. Ach: und wer beschult die Schüler in den zusätzlich geschaffenen Räumen? Ach so, klar, wir backen uns einfach ein paar Lehrer! Kein Problem! Sind ja jede Menge qualifizierte Lehrer auf dem freien Arbeitsmarkt zu finden... ach so, und weil hier ein Leser meint, dass Videokonferenzen den Präsenzunterricht ersetzen könnten: Ich bitte um Vorschläge, wie meine Schüler ihre Schul-IPads von zu Hause aus nutzen können, wenn in ihrem zu Hause keine ausreichende Internetverbindung vorhanden ist. Ganz ehrlich: diese Simplifizierung von großen Herausforderungen ist so dermaßen billig, populistisch und ermüdend, solche Argumente erwarte ich vielleicht noch von meinen Schülern in der fünften Klasse. Bei den Kommentaren der Leser und vor allem des schreibenden Autors mache ich mir doch Sorgen um die Realitätssinn mancher Journalisten, zumindest in Bezug auf schulische Belange...

    • @Gregor von Niebelschütz:

      Sie haben so Recht, Herr Nebelschütz. Jahrzehntelang wurde nichts verwirklicht, was allen an Schulen Beschäftigten am Herzen lag. Das beginnt bei den sanitären Einrichtungen, geht über die IT-Ausstattung (schon Steckdosen waren Mangelware) und Internetanschlüsse sowie Klassenstärken (die schon ohne Covid nicht stimmten). Dabei rede ich noch nicht einmal vom dreigliedrigen Betonsystem. Die Beulen (vom gegen Wände rennen) kann ich gar nicht zählen. Wo sollen denn in 3 Monaten Wunder herkommen (selbst wenn sich Begreifen einstellen würde, die Umsetzung würde dauern).

    • @Gregor von Niebelschütz:

      Danke für den treffenden Kommentar.



      Zynisch aber wahr:



      Was an der Situation positiv sein könnte, ist, dass jahrzehntelange Fehlplanung und als Sparsamkeit getarnte, weltfremde Misswirtschaft offensichtlich wird. Leider werden Hinweise von Lehrerinnen und Lehrern, die sich in überwiegender Zahl immer noch als Anwälte ihrer Schülerinnen und Schüler verstehen, als Klientelinteressen diffamiert.



      Für Mastviehbetriebe gibt es Mindestanforderungen für Ställe. Für Schulen nicht. Für eins der reichsten Länder der Welt ist das schlicht und einfach nur beschämend.

    • @Gregor von Niebelschütz:

      .



      Danke für Ihren wichtigen Kommentar.



      Schlauberger gibt's halt einfach zu viele, und ja, deren Geschwätz ist häufig nur ermüdend und geht manchmal mächtig auf die Nerven.

  • solange im Sportunterricht die Übungen ohne Maske durchgeführt werden, aber MIT Abstand, wie mir der Rektor versicherte, sind die Maßnahmen auf dem Pausenhof, in der Klasse freundlich ausgedrückt "gut gemeint" aber realistisch gesehen nicht wirksam.

  • Alles quatsch.

    Die Schulen bleiben nur geöffnet damit die Eltern arbeiten gehen können.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Das wird jetzt nicht schön. Den Schulen mangelt es an Geld. Ein Gymnasium mit 1400 Schülern in Hessen zum Beispiel hat im Jahr 10.000 € für Sachmittel.



    Wie asozial ist es da, solche Summe, für den November, an die Kneipe an der Ecke zu zahlen, wenn die Schulen aus Geldmangel nicht einmal Extra-Lappen für das Tischabwischen bezahlen können.



    Kneipen können wieder aufmachen, die Bildungslücken bleiben uns erhalten.

  • Da können durch die Corona-Krise noch so viele Peinlichkeiten zum Zustand, der Ausstattung und em Management unseres Schulsystems zutage treten - auch all das wird nicht für die Einsicht reichen, dass nicht ausgerechnet die Bildung unserer Kinder ins Belieben der Provinzpolitiker(innen) und der chronisch klammen Kommunen gestellt werden darf. Zumal sie dadurch auch medial marginalisiert wird - Schulpolitik als Wahlkampfthema hätte auf Bundesebene einen gewaltig größeren Stellenwert als bei Landtagswahlen.

  • Als erstes haben Schüler nun gelernt, dass das Anwenden von Empfehlungen des RKI vernachlässigbar ist, ebenso der Schutz ihrer Familie (ihnen selbst hat man ja weisgemacht, infiziert zu werden habe keine gesundheitlichen Auswirkungen). Desweiteren haben sie gestern von Herrn Söder lernen dürfen, dass sie für die Wirtschaft zur Schule gehen müssen. Und die, die in Lollar oder Pohlheim leben haben gelernt, dass 5% Ihrer Mitschüler infiziert sind.

  • Die Idee, das sich Kinder einen "festen" Freund für die nächsten Wochen (Monate?) aussuchen, ist völlig weltfremd. Schon das ändern der Sitzordnung gibt genug "Diskussionsstoff".



    Wie viele Kinder bleiben alleine? Wie viel Kinder wählen Partner A, der leider Partner D gewählt hat?



    So eine Entscheidung ist selbst für rationale Erwachsene nicht einfach, oft unmöglich. Das von Kindern und, noch schlimmer, Jugendlichen zu erwarten, da kann ma sic nur an den Kopf langen.

  • Schulen können nicht innerhalb eines halben Jahres coronatauglich gemacht werden. Letzten Endes sind alle Vorschläge, wie man "die Schulen offenhalten" und trotzdem wirksamen Infektionsschutz sicherstellen kann, Schnapsideen, die keine Chance haben, in der Praxis auch nur annähernd zufriedenstellend zu funktionieren.

    "Und die Schulen völlig zu schließen – so wie im Frühjahr geschehen – fordert derzeit aus gutem Grund auch kaum jemand.", meint Herr Kreutzfeldt. Ja, es gibt sehr gute Gründe, die Schulen nicht zu schließen. Das Problem dabei: Dem Coronavirus sind diese Gründe ziemlich egal. Mit dem Ding kann man nicht verhandeln.

    Es gibt derzeit nur eine Möglichkeit der Virusbekämpfung: Kontaktvermeidung, so gut es geht. Am besten funktioniert's, wenn man für einen überschaubaren Zeitraum möglichst krass Kontakte unterbindet, um eine Welle zu brechen. Schulen sind Virenschleudern, und man muss sie natürlich zuerst dichtmachen, wenn man wirklich die Absicht hat, eine Welle zu brechen.

    Über 80% der Bevölkerung will keine Schulschließungen, und weil Politiker stets gut informiert sind über die aktuelle Stimmungslage, bleiben die Schulen auch offen. Das geht so weit, dass Schüler mit infizierten Geschwistern trotzdem die Schule besuchen können und den Eltern angeraten wird, ihre infizierten Kinder von den mutmaßlich nicht infizierten abzuschirmen. Bei solchen Nummern, die in der Schule natürlich auch Gesprächsthema sind, ist es kaum verwunderlich, dass dort keiner das Coronavirus mehr ernst nimmt. Über verlogene Appelle wie "Trefft euch nur noch mit eurem besten Freund" lachen die Kinder. Zu Recht.

    • @zmx52:

      "Schulen sind Virenschleudern"

      Können Sie das belegen? Eine Googlesuche bestätigt das nicht, im Gegenteil:



      "Übersichtsstudien haben sich für andere Länder damit beschäftigt, welchen Einfluss die Schließung der Schulen auf die Ausbreitung von Virusinfektionen hat. Demnach haben die Schulschließungen in Asien etwa nur zwei bis vier Prozent der Todesfälle verhindert und damit deutlich weniger als etwa die Alltagsmaßnahmen wie social distancing."

    • @zmx52:

      "Schulen können nicht innerhalb eines halben Jahres coronatauglich gemacht werden."

      Vielleicht nicht in Deutschland. In Vietnam, Mongolei, beiden Chinas, Südkorea, Neuseeland, Australien, Finnland, Norwegen etc etc funktioniert das.

  • Die Schulen wurden auch im Frühjahr nicht komplett geschlossen, sondern es gab in irgendeiner Form "Fernunterricht".

    Direkte Interaktion ist auch bei einer Videokonferenzschaltung möglich. Kein Grund für Präsenzunterricht in eiskalten, rappelvollen Klassenräumen.

    Ständiges, stundenlanges Lüften in den Wintermonaten führt dazu, daß Schüler erstens andere Atemwegserkrankungen bekommen und zweitens ihr Immunsystem durch das ständige Frieren noch extra geschwächt wird, so daß das Coronavirus dann leichtes Spiel hat. Es geht einfach mit dieser Methode nicht.

    Ich kann das beurteilen, weil ich z.Zt. in einer Berufsschule sitze, wo ich mir täglich fast acht Stunden den Allerwertesten abfriere, trotz langer Unterhosen und zwei Jacken. Unter diesen Umständen (mal so 8-11 Grad im Klassenraum) wird man erst recht krank und es gibt keinen Lerneffekt mehr.

    Das ist absurd, man friert sich weg damit man kein Covid bekommt, aber in der Pause und auf dem Schulweg (und auch im Klassenraum) drängeln sich die Massen, nichts wird desinfiziert, und durch die Kälte und den Mangel an Essen und Trinken (Pause im Stehen draußen) wird man erst richtig geschwächt.

    Wenn man die Schüler so schwach wie möglich machen will, dann ist das hier eine Supermethode. Vielleicht ist es ja ein geheimes Experiment zur Herdenimmunität.

    Für jedes Büro gibt es Arbeitsschutzregeln, aber in Schulen wird auch bei null Grad im Klassenraum bestimmt noch unterrichtet... es reicht, es geht so einfach in der Praxis nicht, egal wie erstrebenswert es einigen erscheinen mag. Eure schöne Vorstellung vom idyllischen Pippi-Langstrumpf-Dorfschulenunterricht zerschellt gerade an der Realität. Ihr riskiert unsere Leben, als ob das gar nichts wäre. Ihr träumt von Bullerbü, aber in den Schulen herrscht schon längst Stalingrad. Wacht auf!