Schulen in der Coronapandemie: Nachhilfe nötig
Die Lage an den Schulen in der Pandemie ist weiter unbefriedigend. Es hapert bei der Umsetzbarkeit von Hygienevorschriften und der Digitalisierung.
G erne und oft sagen ExpertInnen und solche, die es wissen müssen, dass die Coronapandemie viele Schwachstellen „in der Gesellschaft“ oder „im System“ noch deutlicher zutage treten lasse, sie gleichsam wie unter einem Brennglas in den Fokus der Öffentlichkeit rücke. Jetzt, kurz vor den Herbstferien, die in den meisten Bundesländern am Montag beginnen, im Schuljahr 1 n. C., haben sich zwei Themen herauskristallisiert, zu denen die Schulgesellschaft in Deutschland erhöhten Redebedarf hat.
Das eine Thema lautet Hygienevorschriften, das andere Digitalisierung. In beiden Bereichen sind die Schulen eigentlich akut versetzungsgefährdet. Und das dem schnellen Rettungsgeld vom Bund für digitale Pop-up-Infrastruktur à la Schüler-Tablets, Lehrerinnen-Laptops und Dienstmail-Adressen zum Trotz. Die Hygieneregeln werden von den Ländern in Eigenregie gestaltet. Sie polarisieren Schülerschaft, Eltern und Kolleginnen.
So wie auch außerhalb der Schulhöfe steht die Fraktion der SkeptikerInnen fest gegen die Fraktion der MahnerInnen und besonders Vorsichtigen. Die einen geben sich gegenseitig Tipps, wie man die Masken – aktuell nur in Schleswig-Holstein auch im Unterricht Pflicht – fürs Kind möglichst fadenscheinig näht („Damit eure Kinder nicht ersticken!“). Die anderen stellen beim Elternabend die geplante Klassenfahrt gleich mal grundsätzlich infrage, ausgetüfteltes Hygienekonzept hin oder her.
Dabei ist es schon eher erstaunlich, dass – soweit erkennbar – alles so gut gegangen ist bisher. Statt flächendeckender Schulschließungen gehen lediglich einzelne Klassen in Quarantäne. Nach einer Ende September vorgenommenen bundesweiten Abfrage bei den Bildungsministerien kommt die ARD zu dem Ergebnis: Brandenburg und Nordrhein-Westfalen waren mit sechs respektive fünf komplett geschlossenen Schulen Spitzenreiter, danach folgte Bayern mit vier Schulen in der Momentaufnahme.
Alle anderen Bundesländer hatten maximal eine bis zwei Schulen, viele auch überhaupt keine komplett schließen müssen. In Berlin sind laut der Senatsverwaltung für Bildung 74 Lerngruppen in Quarantäne, 92 SchülerInnen und 27 LehrerInnen sind positiv getestet worden. Das Prinzip der Kontaktnachverfolgung und punktuellen Schließung scheint zu funktionieren. Bloß kein zweiter Lockdown, so lautete das Ziel der BildungsministerInnen der Länder. Vorläufig klappt es.
Man fragt sich allerdings, warum. Denn tatsächlich ist die Maxime der Gruppen („Kohorten“), die sich nach Vorgaben der Kultusministerkonferenz möglichst nicht mischen sollen, vielerorts im praktischen Schulalltag Makulatur. In Berlin erzählen GrundschulleiterInnen und Eltern unisono, dass es spätestens am Nachmittag vorbei sei mit dem Kommando Kohorte, wenn sich im Hort der Ganztagsschule die Kinder aus Platz- und Personalmangel auf dem Schulhof treffen.
In Nordrhein-Westfalen lassen sich einer Recherche der Nachrichtenagentur dpa zufolge 10 Prozent der Schulgebäude nicht ordentlich belüften. In Berlin wiederum doktert man seit Jahren an einer „Schulbauoffensive“ herum, um marode Fenster und Schultoiletten wieder verlässlich benutzbar zu machen.
Seit vor vier Jahren ein „Screening“ der jeweils für ihre Schulgebäude zuständigen Berliner Bezirke ergab, wie enorm der Sanierungsbedarf eigentlich ist, ist der Reibungsverlust zwischen Bezirken (Schulträger) und Landesebene (Geldgeber) zwar etwas verringert worden. Doch so richtig Dampf auf dem Kessel war da nie, und angesichts der wirtschaftlichen Schieflage ist bereits klar, dass einige Fenster auf absehbare Zeit kaputt bleiben dürften.
Schulsanierung über Jahre versäumt
So macht Corona sichtbar, was seit Langem schiefläuft: der bundesweite Personalmangel, gerade auch bei den ErzieherInnen und gerade auch im Ganztagsbereich, und die über lange Jahre verschlafene Schulsanierung. Nun scheint die fehlende Seife in vielen Schultoiletten und der Nachmittagshort für die Verbreitung des Virus gar nicht so relevant zu sein wie befürchtet. Die Politik hat auf Risiko gespielt, gewonnen haben die Eltern und die SchülerInnen.
Denn auch das hört man von SchulleiterInnen immer wieder: Wenn die Struktur des Präsenzunterrichts wegbricht, dann verlieren wir gerade die schwächeren SchülerInnen, die von Hause aus mit weniger Ressourcen, konkret: Nachhilfe, ausgestattet sind. Womit man beim zweiten Thema wäre, das Corona den Schulen groß an die Wandtafel geschrieben hat: die Digitalisierung. Man hole einfach nicht auf, was man in 20 Jahren versäumt habe, hört man Schulleiter seufzen.
Tatsächlich ist die Frage: Welche der vielen losen Enden nimmt man zuerst auf? Die Sofortgelder für Tablets sind natürlich nicht schlecht, nützen aber wenig, wenn LehrerInnen nicht fortgebildet werden. Das per Mail verschickte Aufgabenblatt macht noch lange keinen digitalen Unterricht. Dienstlaptops und digitale Lernplattformen nutzen wenig, wenn Schulen kein zuverlässiges Breitbandinternet haben.
Oder wenn man sie beim Thema Datenschutz und welche Chatprogramm erlaubt sind, im Ungefähren lässt. An einer Schule im hessischen Kassel sind 3.000 Laptops von dem frischen Coronageld bestellt und nicht abgeholt worden, weil an den Schulen niemand da ist, der Zeit hat, die Dinger einzurichten. Klar ist, dass es ohne IT-BetreuerInnen auf Vollzeitstellen an den Schulen nichts werden wird mit der Digitaloffensive.
Vielleicht bleibt vor allem das als gar nicht mal so nörgelig gemeinte Zwischenfazit, bevor es in den zweiten Coronawinter geht: Man weiß jetzt ziemlich genau, was zu tun ist. Ein bisschen Geduld werden freilich alle haben müssen. So ist das, wenn man lange schläft. Da dauert es ein bisschen, bis man richtig wach wird.
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