Schule im Norden nach den Herbstferien: Mit Maske oder ohne?
In Hamburg und Schleswig-Holstein bleibt der Mund-Nasen-Schutz im Unterricht bis November Pflicht. Derweil mehren sich die Stimmen für das Absetzen.
Solche Schritte werden heiß diskutiert, laut Umfrage von Infratest-Dimap für die ARD sind 71 Prozent der Eltern dafür, ebenso Fachgesellschaften, auch wenn das Robert-Koch-Institut (RKI) angesichts hoher Inzidenzen in acht Kreisen mahnt, die Maßnahmen beizubehalten. In Bremen lag die Inzidenz für zehn- bis 14-Jährige zuletzt bei 324,8.
Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Andreas Gassen sagte indes dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), es sei vertretbar, in Schulen auf Masken zu verzichten, da es regelmäßige Tests gebe. Er verwies auf unerwünschte Folgen der Schutzmaßnahmen. Durch Lockdowns, Social Distancing und Maskentragen seien die Immunsysteme der Kinder so untrainiert, „dass sie an Viren erkranken, die ihnen früher nichts anhaben konnten“.
Er habe erst am Morgen zwei Kinder in die Klinik eingewiesen, die am Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) litten, sagte auch Marco Heuerding vom Bremer Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte im NDR. „Wir haben einen Schub von Erkrankungen, die einfach dadurch bedingt sind, dass im letzten Jahr die normale, natürliche Immunisierung ausgeblieben ist.“ Er fordert ein Ende der Maßnahmen an Schulen, die Kinder belasten, dazu gehöre die Maskenpflicht und die anlasslose Testung. Hätten doch inzwischen alle Erwachsenen die Chance einer Impfung und Kinder kein hohes Risiko zu erkranken.
Peter Walger, Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene
Doch vielen ist noch der Herbst 2020 im Gedächtnis. Da kam es nach den Ferien zur zweiten Welle und zur zweiten langen Schulschließung. Das soll nicht wieder passieren. Deshalb wartet Jamaika in Schleswig-Holstein 14 Tage ab. Welche Lockerungen es ab 1. November gibt, darüber berät die Koalition. Das Land hat mit fast 60 Prozent die höchste Impfquote unter den zwölf- bis 17-Jährigen und eine Inzidenz von 27. „Wenn das in etwa so bleibt, können wir die Maskenpflicht für alle Schülerjahrgänge aufheben“, sagt die grüne Schulpolitikerin Ines Strehlau. „Wir haben ja auch Treffen ohne Maske außerhalb der Schule. Es wäre gut, wenn sich diese Normalität auch in der Schule ihren Weg sucht.“
Auch Hamburg will mit der Maskenpflicht das Risiko durch Urlaubsrückkehrer verringern. „Lieber eine Sicherheitsmaßnahme mehr als erneute Schulschließungsdebatten“, sagt Ties Rabe. Entwickelten sich die Infektionszahlen weiter positiv, könne er sich „eine Lockerung der Maskenpflicht für Grundschüler im November“ vorstellen.
Das unterstützt die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ). „Klar ist, die Masken sind ein wichtiger Faktor, um das Infektionsgeschehen in Schach zu halten“, sagt die Vize-Präsidentin Ingeborg Krägeloh-Mann. Dahin wiesen viele Studien. „Wir sind aber der Meinung, dass für Grundschüler die Maskenpflicht ausgesetzt werden kann, wenn das Infektionsgeschehen nur mäßig ist.“
Dies sei im Einklang mit der S3-Leitlinie „Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle der Sars-CoV-2-Übertragung in Schulen“, die von 37 Fachgesellschaften einschließlich Schüler-, Eltern- und Lehrervertretern erstellt wurde. Jüngere Schüler seien durch die Masken stärker beeinträchtigt. „Sie brauchen noch mehr das Erkennen eines Gesichtsausdrucks.“ Auch hätten Kinder selten gravierende Verläufe.
Keine Panik mit Inzidenzen erzeugen
Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) gab nun mit der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) eine neue Stellungnahme zu „Infektions- und Übertragungsrisiken“ des Sars-CoV-2-Virus heraus und kommt zu weiteren Schlüssen. „Für Schulen und Kitas im Regelbetrieb ist ein gute Basishygiene ausreichend, Einschränkungen können sich in Abhängigkeit von innerschulischen Häufungen oder einem größeren Ausbruch ergeben“, sagt DGKH-Sprecher Peter Walger. Dazu zählten Händewaschen, Husten-Etikette, Lüften und in Ausnahmesituationen das Tragen einer Maske.
„Wir sagen, dass Masken während des Unterrichts bei jüngeren Kindern gar nicht zu tragen sind“, so Walger, der selbst Infektiologe ist. An weiterführenden Schulen könnte die Maskenpflicht in Fluren und Treppenhäusern sowie an Bushaltestellen oder im Bus bei hoher Infektionsaktivität oder größeren Ausbrüchen sinnvoll sein. Unnötig seien die Masken im Freien auf dem Pausenhof.
Wie erwähnt, meldete das RKI jetzt acht Landkreise mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 500 für die Altersgruppe der zehn- bis 19-Jährigen, auch wenn bundesweit dieser Wert gesunken war. Peter Walger sieht in der Berechnung von Inzidenzwerten für kleine Teilgruppen auch das Problem der Dramatisierung. „Wenn ein Landkreis oder eine Kommune nur 1.000 Schüler hat und fünf davon infiziert sind, liegen sie schon bei einer Inzidenz von 500.“
Ohne die gleichzeitige Erwähnung der Impfrate beim Betreuungspersonal und bei den Eltern erzeuge diese Kommunikation nur Panik, „man müsste von dieser alarmistischen Grundstimmung wegkommen“, sagt Walger. Die beiden Fachgesellschaften fordern wie Heuerding auch einen Wegfall der regelmäßigen, anlasslosen Massentests für asymptomatische Schüler, da diese oft falsch-positiv und auch psychologisch belastend seien. Stattdessen seien Tests bei konkretem Anlass wie einem Infektionsfall im persönlichen Umfeld ausreichend.
Nur gibt die Politik dieses Instrument nicht so schnell aus der Hand. In Hamburg wird nun dreimal wöchentlich getestet. In Niedersachsen soll es nach den Ferien täglich sein. Sollte sich die positive Tendenz nicht umkehren, verspricht Minister Tonne, dürfen weitere Jahrgänge auf die Maske am Platz verzichten. Er denkt an drei und vier. Der Landesschülerrat schlägt indes vor, mit den ältesten Schülern zu beginnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“