Schuldenkrise in den USA und Europa: Die Finanzmärkte spielen verrückt
Dow Jones und Dax auf Jahrestief, und nun ging es auch noch an den asiatischen Börsen abwärts: Die Finanzmärkte kommen nicht zur Ruhe. Wieder kritisiert China die USA, Europa diskutiert weiter.
PEKING/BRÜSSEL/PARIS afp/rtr/dpa | Weiter keine Beruhigung auf den Finanzmärkten. Und nun kritisiert China abermals die USA: Die Schuldenkrise dort eskaliere, sagte der chinesische Außenminister Yang Jiechi am Freitag. Von den USA, die sich unlängst nach zähem politischen Ringen auf eine Erhöhung der Schuldenobergrenze geeinigt hatten, forderte der Minister eine "verantwortungsvolle" Geldpolitik.
Die Lage am US-Aktienmarkt hatte sich am Donnerstag verschärft: Der Dow Jones Industrial stürzte um mehr als 500 Punkte ab und fiel erstmals seit Dezember 2010 wieder unter die Marke von 11.400 Punkten. Damit unterbot er deutlich sein bisheriges Jahrestief, dass er im März während der sich zuspitzenden Reaktorkatastrophe in Fukushima erreicht hatte. Laut Händlern führten die Sorgen um das US-Wirtschaftswachstum global zu einer beschleunigten Flucht aus Aktienwerten. Marktteilnehmer warten nun mit besonders großer Anspannung auf den heute anstehenden US-Arbeitsmarktbericht.
Auch der Dax lahmte: nach einem Zwischenhoch am Donnerstagnachmittag fiel er deutlich unter 6.400 Punkte – den tiefsten Stand des Jahres. Es war der siebte Handelstag mit Verlusten in Folge. Am Freitag setzte sich der Negativtrend auch an den asiatischen Börsen fort. Nach dem Morgenhandel lag der japanische Nikkei-Index 3,36 Prozent im Minus. Auch die Aktienkurse in Hongkong, Sydney und Seoul sackten weiter ab.
Neue Befürchtungen
Analysten machten neue Befürchtungen um eine Ausweitung der Schuldenkrise in der Euro-Zone sowie die Haushaltsprobleme und die schwachen Konjunkturdaten der USA für die Verluste an den Aktienmärkten verantwortlich. Das Vertrauen der Anleger in die Wirtschaft, die Märkte und das politische Führungspersonal sei verschwunden, sagte Börsenexperte Hugh Johnson. Peter Cardillo von der Finanzberatung Rockwell Global Capital erklärte, die Anleger befürchteten, dass die USA sich auf eine neue Rezession zubewegen.
Die Volksrepublik China, größte Gläubigerin der USA, verlangte von der Regierung in Washington, die Dollar-Investitionen anderer Länder zu schützen. Der Minister kündigte in der auf der Internetseite seines Ministeriums veröffentlichten Mitteilung an, weiter die EU und den Euro zu unterstützen, ohne weitere Details zu nennen. China hat unter anderem in Staatsanleihen von klammen Euro-Staaten investiert.
Merkel, Sarkozy und Zapatero wollen telefonieren
Frankreich, Deutschland und Spanien wollen sich nun abstimmen. Am Freitag sei ein Telefonat des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy mit Kanzlerin Angela Merkel und dem spanischen Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero geplant, teilte der Élysée-Palast in Paris am Donnerstagabend ohne weitere Einzelheiten mit. Sarkozy hatte am Mittwoch und Donnerstag mit dem Chef der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, die Situation an den Börsen erörtert. Diese hatten zuletzt weltweit Verluste verzeichnet. Zuletzt waren Italien und Spanien unter den Druck der Märkte geraten.
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso schlug am Donnerstag in einem "Brandbrief" vor, den inzwischen 440 Milliarden Euro schweren Krisenfonds EFSF weiter aufzustocken. In dem am Donnerstag veröffentlichten Brief an die Staats- und Regierungschefs der 17 Euro-Staaten forderte Barroso die Regierungen zu einer "raschen Überprüfung aller Elemente des EFSF" auf: Die Regierungen müssten sicherstellen, dass der Fonds "über die Mittel verfügt, um Ansteckungsgefahren zu bekämpfen".
Eine Sprecherin Barrosos sagte dazu, mit "allen Elementen" sei auch die Finanzausstattung des bisher über ein Volumen von 440 Milliarden Euro verfügenden Krisenfonds gemeint. "Wir müssen überlegen, wie wir die Effizienz des EFSF und des – ab 2013 an dessen Stelle tretenden – ESM weiter verbessern können, um die derzeitige Ansteckung zu bekämpfen", schrieb Barroso.
Schwarz-Gelb setzt auf "Wettbewerbsfähigkeit"
Keine Gegenliebe fand der Vorstoß in Berlin: Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums wies die Idee Barrosos zurück und warnte davor, eine Debatte aus der Zeit vor dem Krisengipfel neu zu beleben.
Auch Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) sieht keinerlei weiteren Gesprächsbedarf. "So eine Debatte kommt zur Unzeit. Es ist gerade einmal zwei Wochen her, da wurden weitreichende und gute Beschlüsse gefasst", sagte der Vizekanzler am Rande einer Norwegen-Reise in Stavanger. Der FDP-Chef unterstrich, entscheidend sei, dass Euro-Länder mit Schuldenproblemen wie Griechenland ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhten. "Das ist die Hauptaufgabe. Wenn die besser wird, dann werden sich auch die Märkte wieder beruhigen. Deshalb brauchen wir so dringend und möglichst schnell dieses Signal der Stabilität."
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