Schuldenkrise in Griechenland: Pokern bis zum Schluss
Griechenland verschiebt Zahlungen an den IWF auf Ende Juni. Die Sparvorschläge aus Athen und Europa gehen weit auseinander.
Der frustrierte SPD-Politiker ist allerdings nicht an den Verhandlungen mit Premier Alexis Tsipras beteiligt, ganz im Gegensatz zu EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Und der blieb seiner solidarischen Linie treu und ließ Verständnis für Tsipras durchblicken.
„Wir arbeiten weiter an einer Lösung, Tag und Nacht. Ein Kompromiss ist möglich“, sagte Junckers Sprecher, der Grieche Margaritis Schinas. Dass Athen eine fällige Kredittranche von 300 Millionen Euro erst Ende Juni an den Internationalen Währungsfonds IWF zurückzahlen will, sei kein Beinbruch. „Das entspricht den IWF-Regeln und wurde auch schon vorher genutzt.“
Nach Kompromissen suchen
Diese Entscheidung sorgt auch in Athen für Aufsehen. Noch am Donnerstagnachmittag hatte die Regierung unmissverständlich das Gegenteil behauptet. Griechische Europakorrespondenten berichteten, die EU sei darüber erst im letzten Moment informiert werden. Bis zum 30. Juni werden nun 1,6 Milliarden Euro an den IWF fällig. Zugleich müssen sich Athen und die Geldgeber spätestens an diesem Tag über ein Sparprogramm geeinigt haben, damit Griechenland einen dringend erwarteten neuen Kredit in Höhe von 7,2 Milliarden Euro erhalten kann. Andernfalls droht die Pleite und ein Ausscheiden aus dem Euro.
Die EU-Kommission setzt offenbar darauf, dass Tsipras mit dem Zahlungsaufschub nur Zeit gewinnen will und nun aktiv nach Kompromissen suchen wird. Bisher liegen die Positionen zwischen Griechenland und den Gläubigern allerdings noch meilenweit auseinander. Der griechische Wirtschaftsminister George Stathakis lehnte die europäischen Sparideen als „inakzeptabel“ ab. Arbeitsminister Panos Skourletis sprach gar von einem „unerklärten Krieg, der zwar nicht mit Waffen, dafür aber mit allen Mitteln des Kapitalismus geführt wird“.
Tatsächlich sind die Gläubiger den Griechen entgegengekommen. So soll Athen in diesem Jahr nur noch einen Primärüberschuss (vor dem Schuldendienst) von einem Prozent erzielen (gegenüber bisher 3 Prozent). Doch im Gegenzug fordern sie eine drastische Erhöhung der Mehrwertsteuer, vor allem Strom, Wasser und Telefon würden dadurch teurer.
Ein Prozent der Wirtschaftsleistung
Zudem überschreiten die Gläubiger mehrere „rote Linien“ der griechischen Linksregierung. So sollen auch kleine Renten gekürzt und die Frühverrentung soll eingeschränkt werden. Insgesamt sollen Einsparungen in Höhe von einem Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes erzielt werden. Zudem soll sich die Regierung verpflichten, die Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre nicht zurückzudrehen und Massenentlassungen zu ermöglichen. Last but not least werden weitere Privatisierungen gefordert, die auch noch „irreversibel“ sein sollen.
Die konservative Athener Zeitung Kathimerini hat ausgerechnet, dass alle diese Maßnahmen für die Griechen drei Milliarden Euro zusätzliche Belastungen mit sich bringen würden. Allerdings enthält auch der griechische Gegenvorschlag, den Tsipras aus dem Hut zauberte, neue Belastungen. So will Athen bis 2020 rund elf Milliarden Euro durch Privatisierungen einnehmen. Allerdings sollen die sozial- und umweltverträglich ausfallen – und nicht auf Kosten der Arbeitnehmer, wie bisher üblich.
Auch bei den Renten kommt Tsipras den Gläubigern entgegen. So soll es künftig nicht mehr möglich sein, vor dem 62. Lebensjahr in Frührente zu gehen. Bisher kommen manche Griechen schon mit 50 in den Genuss einer Pension. Eine generelle Rentenkürzung lehnt Athen jedoch ebenso ab wie eine massive Erhöhung der Mehrwertsteuer.
Spekulationen über Neuwahlen
Um Geld in die klammen Kassen zu spülen, will Griechenland lieber eine „Solidaritätssteuer“ einführen, die im laufenden Jahr 220 Millionen Euro bringen soll. Eine Extrasteuer für Gewinne von Großunternehmen soll sogar mehr als eine Milliarde Euro einspielen.
Angesichts der großen Differenzen zwischen Athen und Brüssel über ein Sparprogramm verstärken sich in Griechenland Spekulationen über Neuwahlen. Falls die Geldgeber Griechenland weiterhin wie eine Kolonie behandeln, gäbe es Neuwahlen, sagte Sozialminister Dimitris Stratoulis. Gegenüber den Gläubigern wäre bei Neuwahlen freilich nicht viel gewonnen. Doch ein erneuter Wahlgang böte Tsipras die Chance, seine eigene Partei in Schach zu halten und „unbequeme“ Abgeordnete von den Wahllisten zu entfernen.
Derzeit steht der Linkspremier auch in den eigenen Reihen unter verschärfter Beobachtung. Vertreter des linken Flügels von Syriza lehnten jede Kompromissbereitschaft gegenüber den Geldgebern ab und forderten die Regierung dazu auf, mit dem Austritt aus dem Euro zu drohen.
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