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Schulbeginn in Berlin„Und was willst du später mal werden?“

Im neuen Schuljahr will Berlins Bildungssenatorin die Berufsorientierung an den Schulen verbessern. Hier sieht sie auch die Wirtschaft in der Pflicht.

Am Montag geht de Schule in Berlin wieder los. Leh­re­r*in­nen sollen den Schü­le­r*in­nen auch beibringen, was nach der Schule kommt Foto: dpa

BERLIN taz | Berlins Schulen nehmen so viele Schü­le­r*in­nen auf wie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr, wenn am Montag die Schule nach den Sommerferien wieder beginnt. Rund 408.000 Kinder und Jugendliche lernen im kommenden Schuljahr an den allgemeinbildenden Schulen. Das sind nach Angaben der Senatsverwaltung für Bildung rund 4.000 Schü­le­r*in­nen mehr als im vergangenen Schuljahr. Vor 11 Jahren, im Schuljahr 2014/2015, waren es noch etwa 297.000 Schü­le­r*in­nen und damit rund 70.000 weniger als jetzt.

Auch die Zahl der Schul­an­fän­ge­r*in­nen ist weiterhin hoch: 36.800 Kinder werden eingeschult. Das teilte Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch am Freitag bei einer Pressekonferenz zum Schuljahresauftakt mit. Besonders groß sei der Zuwachs an den öffentlichen allgemeinbildenden Schulen. Doch auch an den Oberstufenzentren und den beruflichen Schulen steigen die Schüler*innenzahlen.

Gleichzeitig fehlen weiterhin Schulplätze und es gibt zu wenig Lehrer*innen. Insgesamt hat Berlin 25.000 Schulplätze zu wenig. Rein rechnerisch bedeutet das, dass im Prinzip jede der rund 1.000 Schulen etwa 25 Schü­le­r*in­nen „on top“ aufnehmen müsste. Konkret sind dadurch die Klassen größer. Wie der RBB erfuhr, wachsen im kommenden Schuljahr daher voraussichtlich nicht nur die Gymnasialklassen, sondern auch Klassen an den Integrierten Sekundarschulen (ISS). An dieser Schulform ist die Klassengröße eigentlich auf 26 Schü­le­r*in­nen begrenzt.

Die Bildungssenatorin hob jedoch hervor, dass sich hier trotzdem eine Entspannung abzeichnet. Im vergangenen Schuljahr hätten noch 27.000 Schulplätze gefehlt, sagte sie. Dank der Schulbauoffensive sei in Aussicht, dass zum kommenden Schuljahr und auch noch im Laufe des Jahres insgesamt rund 8.550 Schulplätze entstehen. Rund 5.730 davon kommen durch Neubauten zustande. Allerdings seien einige Klassen tatsächlich seit Jahren überbelegt, räumte Günther-Wünsch ein.

Schulbau soll weitergehen

„In der Schulbau-Offensive wird nach dem Haushaltsentwurf daher auch nichts gekürzt und es darf hier auch keine Einsparungen geben“, sagte sie. „Es ist notwendig, sie auch in der Dynamik weiter voranzutreiben.“ Dass es aktuell weniger Kita-Kinder gebe, sei kein Grund, hier nachzulassen. „Wir haben Zuzug und wir haben geflüchtete Schüler*innen“, so die Senatorin. „Es hat sich gezeigt, dass gerade im Bereich der Schulkinder die Zahl eben nicht zurückgeht, und allgemeine demografische Entwicklungen sollten wir hier nur sehr vorsichtig interpretieren. Die Zahlen aus den Kitas lassen sich nicht direkt Richtung Schulen weiterrechnen.“

Wie groß der Lehrermangel im kommenden Schuljahr sein wird, sei noch nicht abschließend klar, erläuterte die Senatorin. Ihr zufolge sind derzeit 640 Stellen nicht besetzt, die eigentlich besetzt sein sollten. Allerdings seien in den kommenden Wochen noch Einstellungen möglich. Die Linke im Abgeordnetenhaus geht davon aus, dass zum neuen Schuljahr sogar 1.500 Lehrkräfte fehlen. Auch die Grünen werfen der Bildungsverwaltung vor, die Lehrkräftelücke schönzurechnen. „Statt endlich für Entlastung zu sorgen, ignoriert die Senatorin die massiven Überstunden“, sagte deren bildungspolitischer Sprecher Louis Krüger.

„Das Schuljahr hat kaum begonnen, und uns erreichen schon erste Berichte aus den Schulen, die zeigen, dass die neuen Zumessungsrichtlinien wie befürchtet für viele Schulen negative Auswirkungen haben“, erklärt Philipp Dehne von der Initiative Schule muss anders. „Es lässt einen fassungslos zurück, dass Schulen zwei, drei oder vier Lehrkräfte weniger zur Verfügung haben, um die gleiche Arbeit zu leisten wie im letzten Schuljahr. Das ist Bildungspolitik auf dem Rücken von Schüler*innen, Beschäftigten und Familien.“

Eine Maßnahme gegen den Leh­rer*­in­nen­man­gel sieht die Bldungssenatorin im Quereinstieg, der ab dem Wintersemester 2026/27 auch nur mit einem Fach möglich sein soll. Mit dieser Regelung eröffnen sich neue Möglichkeiten für alle, die bisher nur befristet eingestellt werden konnten, weil Leh­re­r*in­nen normalerweise zwei Fächer unterrichten. Die Humboldt-Universität soll bereits in diesem Wintersemester Leh­re­r*in­nen mit nur einem Fach den Vorbereitungsdienst im Rahmen eines Modellversuchs anbieten.

Inhaltlich will die Bildungssenatorin vor allem die Berufsorientierung an den allgemeinbildenden Schulen stärken. Dazu sollen Schü­le­r*in­nen in der Sekundarstufe I – also zwischen der 7. und der 10. Klasse – zwei Praktika absolvieren. Und sie sollen diese Praktika flexibler als bisher gestalten können. Möglich sei es etwa, innerhalb von drei Wochen auch an verschiedene Praktikumsstellen zu gehen, sagte die Senatorin. Auch sollen Schulen die Zeiträume, in denen das Praktikum stattfindet, künftig frei wählen können.

Ankerschulen für das 11. Pflichtschuljahr

Teil der Berufsorientierung ist auch das 11. Pflichtschuljahr, in dem Schüler*innen, die am Ende der 10. Klasse noch keine Perspektive für sich haben, noch einmal gezielt auf eine Ausbildung oder die Berufswahl vorbereitet werden sollen. Die Bildungsverwaltung hat 15 „Ankerschulen“ benannt, an denen Schü­le­r*in­nen etwa den IBA-Praxis-Lehrgang durchlaufen können, rund 800 Plätze stehen dafür zur bereit. Die Linke wiederum kritisiert, dass gleichzeitig Plätze beim Praxislernen in einer ganz ähnlichen Größenordnung weggefallen seien.

Auch im 11. Pflichtschuljahr ist ein praxisnaher Ansatz mit vielen Praktika geplant. Auf Nachfrage sagte die Senatorin, dass sie hier auch die Betriebe in der Verantwortung sieht. Mit der Handwerkskammer und der Industrie und Handelskammer sei sie dazu im Austausch. „Ich habe klare Erwartungen an die Wirtschaft, dass sie dort auch Bedingungen schaffen, unter denen die Jugendlichen gute Praktika machen können und von den Praktika auch profitieren“, so Günther-Wünsch.

Außerdem wiederholte sie ihr Anliegen, die Kompetenzen der Schü­le­r*in­nen in Deutsch, Mathe und Englisch zu verbessern. An den 180 Schulen, die am Startchancen-Programm teilnehmen, setzen sie daher das „Leseband“ und ab dem kommenden Schuljahr auch ein „Matheband“ um – die Schü­le­r*in­nen lesen also jeden Tag rund 15 Minuten und werden im kommenden Schuljahr auch täglich eine Viertelstunde rechnen. Die Zeiten dafür werden zentral im Stundenplan festgelegt.

„Dass die Senatorin so viel Wert auf die Basiskompetenzen legt, freut uns“, sagt Norman Heise, Vorstand im Landeselternausschuss. Das seien die notwendigen Grundlagen, um auch später gut die Übergänge zu den weiterführenden Schulen oder in Ausbildung und Beruf zu meistern. „Die Frage ist allerdings, ob das mit der Personal-Lücke auch umgesetzt werden und gelingen kann“, sagt Heise. „Und wir müssen auch aufpassen, dass die künstlerischen Fächer oder der Geschichts- und Politikunterricht dabei nicht unter den Tisch fallen“, sagt er. Auch diese gehörten zu einer umfassenden Bildung.

Die Berufsorientierung könnte aus Sicht der Eltern künftig gern auch schon an den Grundschulen mitgedacht werden, merkte Heise an. Positiv bewertete er auch, dass die Senatorin bei der Schulbau-Offensive nicht nachlassen will.

Louis Krüger von den Grünen kritisierte die Einschätzung der Bildungssenatorin. „Während sie schöne Worte macht, fehlen Lehrkräfte, Klassen sind überfüllt und Schulen dringend sanierungsbedürftig“, sagte er. „Gleichzeitig kürzt sie bei Ganztag, Sprachförderung und kultureller Bildung – also genau dort, wo Kinder Unterstützung brauchen.“

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