Schul-Corona-Ausbruch in der Analyse: Eine Quelle, 25 Infektionen
Ein Gen-Abgleich belegt, dass sich an der Hamburger Heinrich-Hertz-Schule Personen ansteckten. Das bringt Schulsenator Ties Rabe in die Bredouille.
Ties Rabe hatte stets betont, es sei die Ausnahme, dass sich Schüler an Schulen infizierten. So hatte er am 19. November eine Auswertung der 372 zwischen Sommer- und Herbstferien Infizierten vorgelegt, wonach sich 78 Prozent höchst wahrscheinlich außerhalb der Schule angesteckt hätten. Grundlage waren Analysen seiner Behörde. Rabe kündigte an, seine Daten für eine neue Studie den Kultusministern zu überlassen. Doch die Gen-Analysen, die das Heinrich-Pette-Institut und die Uniklinik Eppendorf (UKE) im Auftrag des Gesundheitsamts Nord durchgeführt hatten, erwähnte er damals nicht.
Dabei war der Schreck groß, als Anfang September 34 Schüler und mehrere Lehrkräfte an der HHS positiv getestet wurden, handelte es sich doch um den ersten Ausbruch an einer Schule. Es war Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard (SPD), die am 8. September vor der Landespressekonferenz die Gen-Sequentierung ankündigte. „Wir untersuchen gerade den Vorfall“, sagte sie. „Gegenwärtig sieht es nicht so aus, als hätten sich Schüler untereinander angesteckt, sondern mehr so, als seien Schüler durch ein pädagogisches Personal angesteckt worden, womöglich. Wir gehen dem gezielt nach.“
Auch Rabe gab eine Pressemitteilung heraus, in der er einräumte, an dieser Schule sei die Krankheit vermutlich übertragen worden, der Umfang werde „gegenwärtig ermittelt“. Die HHS war die erste Schule, in der Maskenpflicht im Unterricht galt und 20-minütiges Lüften.
Bezirksamt Nord irritiert mit anderer Antwort
Über die Sache schien Gras zu wachsen. Laut Gesundheitsamt war der Ausbruch nach 14 Tagen vorbei. Bis „Zeit Online“ kürzlich berichtete, Hamburg halte hier wichtige Erkenntnisse zurück. Forscher an der Uniklinik hätten Gen-Analysen durchgeführt. Doch die seien „unter Verschluss“.
Die taz nahm dies zum Anlass, bei der Gesundheitsbehörde nachzufragen. Und siehe da: Ergebnisse gibt es schon. Ihr Sprecher Martin Helfrich schreibt, das Heinrich-Pette-Institut und das UKE hätten im September mit dem Gesundheitsamt Nord den Ausbruch an der HHS untersucht und folgende Erkenntnis: „Infektionen/Übertragungen haben in der Schule stattgefunden.“ Denn von den verwertbaren Proben sei „eine hohe Anzahl von identischen Genomsequenzen identifiziert worden“. Die Mehrzahl der Übertragungen gehe „höchstwahrscheinlich auf eine einzige Infektionsquelle“ zurück.
Etwas irritierend antwortet aber das auch von der taz angeschriebene Bezirksamt Nord. Auf die Frage, ob es an der HHS Infektionen von Person zu Person gab, sagt Sprecher Jan-Peter Uentz-Kahn: „Dies kann wissenschaftlich gesehen bisher nicht ausgeschlossen, aber auch nicht eindeutig bestätigt werden.“ Bei den in 15 Laboren genommenen Proben lägen nicht in allen Fällen verwertbare Sequenzen vor. Auch fehlten noch Hintergrundinformationen zur Nachbereitung. Hierbei seien jedoch „datenschutzrechtliche Aspekte zu berücksichtigen“.
Gefragt, ob sich hier nicht Bezirk und Fachbehörde widersprechen, antwortet Uentz-Kahn: „Auch aus Sicht des Bezirksamtes ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit zu sehen, dass es zu Übertragungen an der Schule gekommen ist.“ Allerdings könne kein „zweifelsfreier Nachweis“ geführt werden, da Proben von „Schlüsselpersonen“ fehlten und auch die Frage nicht zu beantworten sei, welche Personen sich außerhalb der Schule getroffen und infiziert haben könnten.
Das Statement der Behörde löste in sozialen Netzen Entrüstung aus. Die Linke will in einer Anfrage wissen, ob Ties Rabe das Ergebnis schon am 19. November kannte, als er seine Zahlen vorstellte. Dann hätte er ein gewaltiges Problem.
Gefragt, seit wann die Schulbehörde von dem Ergebnis weiß, erklärt Sprecherin Claudia Pittelkow, die Gesundheitsbehörde habe dies am 22. Dezember zugemailt. Gut vier Wochen zuvor, am 24. November, habe das Gesundheitsamt Nord in einem „Zwischenbericht“ mitgeteilt, dass bei 25 Personen identische Virusstämme gefunden wurden, die Sache aber noch weiter untersucht werde.
Dass sich an der HHS vermutlich Schüler und Beschäftigte auch innerhalb der Schule infiziert haben, sei der Schulbehörde seit September durch das Gesundheitsamt bekannt. Pittelkow: „Das machten wir ja auch in einer Pressemitteilung publik“. Zudem habe die Behörde wiederholt darauf hingewiesen, dass es schulinterne Infektionen gibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos