Schriftsteller Viet Thanh Nguyen: „Ich bin ein angry Asian American“
„Der Sympathisant“ handelt von einem Spion, der keiner Seite treu ist. Viet Thanh Nguyen will das US-amerikanische Vietnam-Narrativ verändern.
taz.am wochenende: Herr Nguyen, ein nachträglicher Glückwunsch zum Pulitzer Prize for Fiction!
Viet Thanh Nguyen: Vielen Dank. Ich freue mich sehr über den Preis. Ich bin aber auch froh, dass gerade ein Buch ausgezeichnet wurde, das den Vietnamkrieg von verschiedenen Seiten beleuchtet.
Wird der Krieg denn zu einseitig betrachtet?
In den Vereinigten Staaten auf jeden Fall. Dort geht es natürlich vor allem um die amerikanische Sicht auf den Krieg. In diesem Krieg sind etwa drei Millionen Vietnamesen und über 50.000 amerikanische Soldaten gestorben. Für mich ist es etwas verstörend, dass für die Amerikaner die drei Millionen Vietnamesen gar nicht zählen. Wichtig ist nur, was mit den eigenen Soldaten geschah. Die Geschichten, die sie davon erzählen, werden in die ganze Welt exportiert. Fast jeder kennt doch „Apocalypse Now“, oder? Aber wer hat schon mal einen vietnamesischen Film über den Krieg gesehen?
Dieser Darstellung wollten Sie etwas entgegensetzen?
Genau deshalb bin ich Schriftsteller geworden. Ich will das amerikanische Narrativ verändern.
Deswegen haben Sie einen namenlosen Hauptmann erfunden, der in der südvietnamesischen Armee dient und nach dem Fall von Saigon vor den anrückenden Kommunisten über die Insel Guam in die Vereinigten Staaten flieht. Insgeheim aber ist er ein nordvietnamesischer Spion und dupliziert zunächst in Vietnam und auch noch später in den USA Geheimdokumente für die Kommunisten.
Meine Hauptfigur musste unbedingt ein Spion sein, ein Erzähler mit mindestens zwei Identitäten. Deswegen heißt der Roman „Der Sympathisant“. Mein Erzähler sympathisiert. Er bringt Verständnis auf für beide Seiten in diesem Krieg.
Zur Person: Wurde 1971 in Südvietnam geboren. 1975 flohen seine Eltern vor dem kommunistischen Vietcong mit dem Vierjährigen in die USA. Schule und Studium in Kalifornien, arbeitete zuletzt als Hochschullehrer an der University of California. Den Sommer 2017 verbrachte er in Frankreich, wo er an einer Fortsetzung des „Sympathisanten“ arbeitete, die im Paris der 1980er Jahre spielen soll.
Zum Roman: Für seinen Debütroman „Der Sympathisant“ erhielt Viet Thanh Nguyen 2016 den „Pulitzer Prize for Fiction“. Der Autor erzählt darin von einem südvietnamesischen Hauptmann, der für die nordvietnamesischen Kommunisten spioniert: zuerst in Vietnam und nach Ende des Krieges in den Vereinigten Staaten.
Man kriegt ihn schwer zu packen: Er ist Vietnamese, hat die amerikanische Kultur aber gründlich absorbiert. Er dient einem südvietnamesischen General und verrät ihn zugleich. Er verübt Auftragsmorde, fühlt sich dabei aber zutiefst schuldig.
Mein Literaturagent sagte nach der ersten Lektüre des Romans: Dieser Typ ist aber echt nicht sehr sympathisch! Ich antwortete: Ich mag ihn aber! Wirklich! Ich kann meinen Hauptmann einfach gut verstehen. Er ist komplex. Außerdem sagt er viele Dinge, die ich schon immer mal sagen wollte. Dieser Roman ist für mich also ein sehr persönliches Buch, auch wenn es nicht autobiografisch ist.
Auch die Romane von vietnamesischstämmigen Autorinnen wie Kim Thúy, Monique Truong oder Linda Lê wurden ins Deutsche übertragen. Ihre Geschichten handeln auch von Krieg, Flucht und Exil, wirken aber viel stiller als Ihr Roman.
Ich kenne ihre Bücher und finde sie großartig. Mein Erzählband „The Refugees“ war auch noch recht zurückhaltend. In meinem Roman aber wollte ich deutlicher werden. Vietnamesische Autoren gelten allgemein als ruhig und sanft. Ich aber bin ein angry Asian American, und ich habe überhaupt kein Problem damit, das auch deutlich zu sagen.
Trotzdem kam Ihr Roman so gut an, dass Sie dafür 2016 den Pulitzer Prize for Fiction bekommen haben.
Ja, er kam insgesamt supergut an. Einige US-Vietnamesen aber lehnen es trotzdem ab, den Roman zu lesen, weil er aus der Sicht eines kommunistischen Spions geschrieben wurde. Und es gibt aber auch Amerikaner, die mir Hassmails geschickt haben. Nach dem Motto: Du bist undankbar. Wir haben für dich gekämpft. Geh zurück nach Vietnam!
Spielt der Vietnamkrieg für das Selbstverständnis der US-Amerikaner heute noch eine große Rolle?
Insgesamt gerät der Krieg ein bisschen in Vergessenheit. Allerdings entstehen immer noch große Werke darüber. Ken Burns hat zum Beispiel gerade eine 18-stündige Fernsehdoku produziert. Und Mark Bowden hat kürzlich ein umfangreiches neues Vietnam-Buch publiziert. Auch jeder amerikanische Präsident hält früher oder später mal eine Vietnam-Rede.
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Auch Donald Trump?
Er noch nicht. Alles, was er bislang dazu beitragen konnte, war, dass er sich mal eine Geschlechtskrankheit eingefangen hat. Und dass das sein ganz persönliches Vietnam war. Nun ja.
Sie selbst wurden noch in Vietnam geboren.
Ja. Meine Eltern stammen aus dem Norden. Als das Land 1954 geteilt wurde und im Norden die Kommunisten regierten, siedelten rund eine Million Katholiken in den Süden über. Meine Eltern waren dabei.
Als Sie vier Jahre alt waren, floh Ihre Familie in die USA. Haben Sie noch Erinnerungen an Vietnam?
Da sind noch ein paar Bilder in mir, aber ich weiß nicht, ob die wirklich stimmen. Nein, meine Erinnerungen beginnen eigentlich erst mit meiner Ankunft in den USA. Da wurden wir nämlich aufgeteilt: Ich wurde meinen Eltern vorübergehend weggenommen und in eine amerikanische Pflegefamilie gesteckt.
Später hat sich Ihre Familie in Kalifornien angesiedelt. In Ihrem Roman beschreiben Sie die vietnamesische Flüchtlingscommunity dort ziemlich detailliert.
In Kalifornien lebt seit Kriegsende die größte vietnamesische Auslandscommunity. Als ich dort aufwuchs, war für viele Flüchtlinge der Krieg noch lange nicht beendet. Sie hatten ihr Land verloren. Sie waren verbittert. Für viele Veteranen ging der Krieg im Kopf weiter. Eine kleine Gruppe versuchte auch aktiv, die Rückeroberung von Vietnam zu organisieren. Bis heute tragen viele der Veteranen bei öffentlichen Veranstaltungen ihre alten Uniformen. Das ist alles in meinen Roman eingeflossen.
Erstaunlich. Wie politisch ist die vietnamesische Community in den USA noch?
Die USA sind ein antikommunistisches Land, und die Vietnamesen bilden da keine Ausnahme. Sie verstehen sich bis heute als die Alternative zum kommunistischen Vietnam. Sie lassen immer noch die alte Flagge von Südvietnam flattern und unterdrücken innerhalb der Community alle Anzeichen von Verständnis für die kommunistische Regierung in Vietnam.
Reisen die in den USA lebenden Vietnamesen trotzdem häufig nach Vietnam?
Oh ja, sehr häufig. Insgesamt gibt es vier Millionen Auslandsvietnamesen; zwei Millionen davon leben in den USA. Viele von ihnen reisen regelmäßig nach Vietnam, sei es um Urlaub zu machen, die Familie zu besuchen oder aus beruflichen Gründen. In meiner Generation gibt es sogar einige, die nach Vietnam zurückziehen, weil für sie die beruflichen Aussichten dort besser sind als in den USA. Es ist schon eine sehr komplexe finanzielle und emotionale Verbindung zwischen Vietnam und seiner Diaspora.
Und Sie persönlich, fliegen Sie auch regelmäßig nach Vietnam?
Ich war 2002 zum ersten Mal wieder dort. Das war für mich nicht einfach. Bis 2012 bin ich dann mehrmals dort gewesen. Momentan fliege ich nicht hin. Einerseits ist das emotional schwierig, weil meine Familie dort recht arm ist. Andererseits werden Vietnamesen ins Gefängnis gesteckt, die in etwa dasselbe sagen wie ich in meinem Buch. Ich bin ja nicht nur kritisch gegenüber Amerika, sondern auch gegenüber der vietnamesischen Regierung. Da bin ich aktuell lieber vorsichtig.
Trotzdem ist erstaunlicherweise eine vietnamesische Übersetzung Ihres Romans in Arbeit.
Ja, verrückt. Auch meine beiden vorherigen Bücher wurden von vietnamesischen Verlagen gekauft. „Der Sympathisant“ wird jetzt gerade übersetzt. Mal sehen, ob die Behörden ihn dann tatsächlich zur Veröffentlichung freigeben. Ich bin gespannt.
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