Schottlands SNP wählt neues Oberhaupt: Sturgeon hinterlässt ein Loch
Am Montag wird das Ergebnis der Urabstimmung bekannt, wer Nicola Sturgeon an der Spitze von Partei und Regierung nachfolgt. Kein Kandidat kommt ihr gleich.
„Keine der drei Personen ist sonderlich beeindruckend“, sagt Wahlforscher John Curtice, Professor an der Strathclyde University in Glasgow, zur taz. „Die Partei muss jemanden finden, der dieselbe Überzeugungskraft hat, um den Menschen die Unabhängigkeit schmackhaft zu machen. Sturgeon hatte sie. Die Kandidaten haben sie nicht.“
Noch vorige Woche war fast ein Drittel der befragten Parteimitglieder unentschlossen. Man weiß lediglich, wer es nicht wird: Ash Regan, die im Oktober wegen des neuen Gender-Gesetzes, das es einfacher machen soll, den amtlichen Geschlechtseintrag zu ändern, aus dem schottischen Kabinett austrat, liegt bei Umfragen abgeschlagen auf dem letzten Platz.
Schottlands Finanz- und Wirtschaftsministerin Kate Forbes kommt unter den Parteimitgliedern auf 25 Prozent, Gesundheitsminister Humza Yousaf liegt mit 31 Prozent vorne. Anders sieht es aus, wenn man die Gesamtöffentlichkeit befragt. Die hat Zweifel an Yousafs Kompetenz und bevorzugt Forbes.
Wieviele Menschen sind eigentlich Parteimitglied?
„Ihr Problem ist es“, sagt Curtice über Forbes, „dass sie bei denjenigen populär ist, die ihre Partei nie wählen würden.“ Forbes, eine evangelikale Christin, ist gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, und sie findet es falsch, uneheliche Kinder in die Welt zu setzen. In der vermeintlich linken SNP gibt es einen starken konservativen Flügel. Deutlich mehr Mitglieder der SNP als bei Labour oder Liberaldemokraten wünschen sich härtere Strafen für Kriminelle sowie die Wiedereinführung der Todesstrafe.
Vorige Woche kam es im Wahlkampf zum Eklat, weil die SNP-Geschäftsführung nicht herausrücken wollte, wie viele wahlberechtigte Parteimitglieder es überhaupt gibt. Schließlich kam heraus, dass die SNP in den vergangenen zwei Jahren 30.000 Mitglieder verloren hat, fast ein Drittel. Zwar hat sie noch immer mehr Mitglieder als alle anderen schottischen Parteien zusammen, wie Sturgeon betonte, aber SNP-Geschäftsführer Peter Murrell musste dennoch zurücktreten. Er ist Sturgeons Ehemann.
Alle Kandidaten sind für die schottische Unabhängigkeit. Mit Sturgeons Rücktritt hat die Unabhängigkeitsbewegung aber ihr größtes Zugpferd verloren, meint der Direktor des Meinungsforschungsinstituts Ipsos Mori, Keiran Pedley: „Das verschafft dem Unionismus den größten Auftrieb seit 2014, als das Unabhängigkeitsreferendum scheiterte.“
Curtice glaubt, dass Sturgeon geht, weil sie die Kontrolle über die Strategie für die Unabhängigkeit verloren habe. Nachdem Großbritanniens Oberstes Gericht im November entschied, dass Schottlands Regionalparlament nicht befugt sei, im Alleingang ein neues Referendum anzuberaumen, wollte Sturgeon die nächsten Unterhauswahlen, die wohl 2024 anstehen, zu einem De-facto-Referendum machen. Das stieß auf Widerstand in ihrer Partei. „Durch meinen Rücktritt mache ich den Weg frei für die SNP, die Strategie zu wählen, die sie für richtig hält, ohne sich über die möglichen Folgen für mich als Parteichefin sorgen zu müssen“, sagte sie.
Gefahr für die SNP: Labours Aufschwung in England
Hinzu kommt bei ihr offenbar ein Burn-out. Sturgeon sagt, sie habe seit Ende vorigen Jahres über einen Rücktritt nachgedacht. „Als ich die Rücktrittserklärung der neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern im Fernsehen hörte“, sagt sie, „wünschte ich mir, das wäre ich.“ Aber sie hinterlasse ihre Partei in einer starken Position: „Ich oder besser gesagt meine Partei hat acht Wahlen gewonnen in den acht Jahren, in denen ich Parteichefin war.“
Zuletzt ist Labour in Schottland aber wieder erstarkt. Lag die linke Oppositionskraft bei den Wahlen 2019 noch 26 Prozentpunkte hinter der SNP, sind es jetzt nur noch 14. „Die Gefahr für die SNP ist aber nicht der Aufschwung von Labour in Schottland, sondern in England“, analysiert Wahlforscher Curtice unter Verweis darauf, dass in gesamtbritischen Umfragen Labour weit vorne liegt und bei den nächsten Wahlen 2024 mit einem Sieg rechnen kann. „Wenn diese Prognosen zutreffen, wird Labour nicht auf die SNP angewiesen sein, um eine Mehrheit zu bilden, und muss einem Referendum nicht zustimmen.“
Vorigen Donnerstag stand Sturgeon zum letzten Mal im Regionalparlament in Edinburgh Rede und Antwort. Es war ein emotionaler Abschied. Curtice glaubt: „Es wird nicht leicht sein, in ihre Fußstapfen zu treten. Sie ist immer noch die populärste Politikerin im Vereinigten Königreich.“
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