Schorsch Kamerun zum Tod Genschers: „Nicht nur scheiße, auch okay“
Die Goldenen Zitronen sangen 1987 über den nun verstorbenen Ex-Außenminister. Schorsch Kamerun über einen, der Symbol einer „potenten BRD“ war.
taz: Herr Kamerun, 1987 schaffte es der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher in den Titel des Goldenen-Zitronen-Songs „Porsche, Genscher, Hallo HSV“. Wofür steht Genscher?
Schorsch Kamerun: Bei uns war Genscher auch Symbol einer potenten BRD. Man empfindet ihn heute als einen bestimmten, halbwegs moderaten Politiker, aber er war auch Vertreter einer Nation, die ganz standhaft und auch unnachgiebig war und die mit „Staatsmännern“ wie Schmidt und Kohl zu tun hat. Auch wenn Genscher jetzt immer als der Zaunöffner genannt wird, war er auch jemand, der diese besondere Autorität mit vertrat.
Warum überhaupt dieser Dreiklang: „Porsche, Genscher, Hallo HSV“?
Weil das so ein Durchschnitt aus diesem BRD-Gefühl war. Porsche, als Macht von Industrieüberlegenheit, Genscher als jemand, der vielleicht auch ein bisschen ambivalent ist, aber ein Vertreter des Glaubens an das starke Land und der HSV ist als letztes die Rauheit, eine damals durchaus feindlich gesinnte. Die Zitate in dem Titel sind extra unpassend collagiert. „Hallo HSV“ stand tatsächlich bei jemandem auf der Stirn, den ich mal in der U-Bahn gesehen habe. Das hatte er wohlgemerkt ins Gesicht tätowiert. Es ist eine spöttische Beschreibung von einer Position deswegen funktioniert es auch nur als Dreiklang, in dem Genscher ein bisschen unzulässig auftaucht, weil er nicht nur scheiße war, sondern in diesem Alt-Liberalen sein, auch okayer Humanismus steckt.
Was ist aus diesem Dreiklang geworden?
Man kann es heute nicht mehr so einfach reduzieren auf solche Bilder. Den Spaß am rumpeligen Zusammenrühren haben andere in den 90ern dann ausgereizt. Porsche, Genscher, HSV das hört sich nach Säulen an. Heute ist es viel komplexer und teppichhafter.
Schorsch Kamerun, 52, ist seit 27 Jahren Sänger der Band "Die Goldenen Zitronen", er schreibt Stücke für das Theater und tritt darin selbst auf. Außerdem hat er zusammen mit Rocko Schamoni den Hamburger Szeneladens "Golden Pudel Klub" gegründet. Dieser wurde kürzlich angezündet.
Heute singen Sie über den Investor. Ist das nicht ähnlich plakativ?
Der Investor ist ein Versuch, die Dinge beim Namen zu nennen und eine Klarheit zu schaffen. Vielleicht ist er plattes Feindbild, aber eben vorhanden. Ansonsten ist nicht einmal Frau Merkel – neuerdings – so einfach zu reduzieren, wie man mal dachte.
Empfohlener externer Inhalt
„Porsche, Genscher, Hallo HSV“
Stirbt mit Genscher jetzt der letzte Rest der alten BRD oder kann man davon erst sprechen, wenn der HSV abgestiegen ist?
Ja, vielleicht sind das Resthaltungen. Deswegen krallen alle, ob man ihn mag oder nicht, an so was, wie dem HSV fest. Irgendwie geht immer ein Stück davon und dann neigt man dazu, die Dinge zu verklären. Wirklich schlimm fand ich, wie man Helmut Schmidt verklärt hat: Als den beliebtesten Kanzler der Deutschen am Ende des Tages. Auch ich neige dazu, aus bestimmten Gründen jemanden wie Westerwelle zu verklären, weil er Pazifist war. Das passiert bei Genscher auch, er war aber Außenminister einer BRD, die zum Teil repressiv war. Das lässt sich nicht wegreden.
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