Scholz' Volksbühnenvergleich: Mehr „Provinzbühnenschauspielerei“!
Scholz' Vergleich ist eine Ohrfeige für alle wirklichen „Provinzbühnen“ der Republik und eine Abwertung aller Kulturbetriebe jenseits der Metropolen.
![Merz spricht am Rednerpult des Bundestages. Scholz im Hintergrund. Merz spricht am Rednerpult des Bundestages. Scholz im Hintergrund.](https://taz.de/picture/7255498/14/36443869-1.jpeg)
P rovinz als Schimpfwort zu benutzen, vertuscht meist fehlende Regionalkenntnisse. Für den Bundeskanzler eines föderalen Staats ist das eher problematisch. Nach dem gescheiterten Migrationsgipfel in dieser Woche warf Olaf Scholz empört der CDU „Provinzbühnenschauspielerei“ vor.
Der Ärger ist verständlich, angesichts des Verhaltens der Oppositionspartei und ihres Vorsitzenden. Aber warum wählte der Kanzler dieses seltsame Theaterbild? Provinz, das klingt nach Enge, Langweile, Mittelmäßigkeit. Genau die Dinge, die Olaf Scholz seinem Kontrahenten Friedrich Merz mitteilen wollte. Wen trifft diese stereotypische Aussage aber wirklich? Es war ja nicht die Rede vom „Provinz-Merz“.
Der Vergleich ist eine Ohrfeige für alle wirklichen „Provinzbühnen“ der Republik. Eine Abwertung all der Kulturbetriebe, die in ost- wie westdeutschen Kleinstädten, oft auf hohem Niveau, gegen den Rechtspopulismus kämpfen, der Kulturschaffenden, die dort agieren, wo sich viele Großstädter schaudernd von der Banalität regionaler Alltagsaggressivität abwenden.
Die Kulturbetriebe sind ein wichtiger Gegenpol zur AfD
Diese „Provinzbühnen“ sind häufig finanziell kaum abgesichert. Noch weniger die Kulturschaffenden selbst. Diese Kulturbetriebe sind es, die häufig lokal das leisten, was der Zivilgesellschaft zunehmend entgleitet. Sie bieten Theaterstücke, Filme, Podiumsdiskussionen, Konzerte, um Menschen durch Geschichten und Reflexion ein anderes Angebot zu machen.
Wer sich einmal die Zeit nimmt, sich das Programm vieler „Provinzbühnen“ anzusehen, der wird feststellen, dass einiges mithalten kann mit dem, was in Berlin, Hamburg oder München gezeigt wird. Freilich gibt es auch Schrott und Schlechtes. Wie auch in Berlin, Hamburg und München.
Ein Blick auf die Wahlergebnisse der AfD gerade in kleineren Städten und Gemeinden in Thüringen und Sachsen zeigt, dass wir mehr denn je die „Provinzbühnenschauspielerei“ brauchen. Daher ist das nicht nur eine verunglückte Rhetorik. Wir sollten alle neugieriger genau auf diese Art von „Provinz“ sein und sie auf- statt abwerten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören