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Film „Loyal Friend“Eine Konfrontation mit sich selbst

Eine Autorin findet durch einen Hund zu sich selbst: Der Spielfilm „Loyal Friend“ von Scott McGehee und David Siegel erzählt lakonisch über Verlust.

Zieh' Leine: Apollo beim Shopping mit Frauchen Foto: Universal Pictures International

Die besondere Beziehung zwischen Haustier und Mensch in einem Film darzustellen, ist nicht leicht. Das hat die Kinogeschichte immer wieder bewiesen – mit Beiträgen, die sich damit zufriedengeben, die sentimentale Klaviatur von Tierliebe zu bespielen und dem Publikum dabei allzu bereitwillig auf die Tränendrüse zu drücken.

Wenn es um Hunde geht, scheint die Versuchung besonders groß zu sein, sich in Plattitüden um die Treuherzigkeit der Vierbeiner zu ergehen, die Reinheit ihrer Liebe zu beschwören, oder sie im formvollendeten Pfoten-Pathos direkt zu den besseren Menschen zu stilisieren.

Bedauerlich vor allem deswegen, weil solche wohlfeile Emotionalität meist verhindert, etwas wirklich Wahres – und damit Relevantes – über die Beziehung zwischen Haustier und Halter, oder gar über den Menschen selbst, zu ergründen. Dass Scott McGehee und David Siegel mit „Loyal Friend“ genau das schaffen, ist das größte Verdienst ihres Filmes.

Ohne Kitsch

Auch wenn der deutsche Titel des Werks das Gegenteil vermuten ließe, umschifft das US-Regieduo gekonnt den gängigen Kitsch von Geschichten, die sich um die Begegnung mit Tieren drehen. Ihr Film vermag sogar, sich der Komplexität eines Bandes anzunähern, das jenseits von Sprache wirkt.

Film: Loyal Friend

„Loyal Friend“. Regie: Scott McGehee & David Siegel. Mit Naomi Watts, Bill Murray u. a. USA 2024, 119 Min. Ab 19. Juni im Kino.

Wie in der literarischen Vorlage von Sigrid Nunez, deren Roman im Original schlicht „The Friend“ heißt, steht eine in New York lebende Schriftstellerin im Zentrum des Geschehens. Iris (Naomi Watts), eher Katzenmensch, wird ganz unfreiwillig zur Hundehalterin: Ihr bester Freund und literarischer Mentor Walter (Bill Murray), deutlich älter als sie, hat sich das Leben genommen. Dessen Deutsche Dogge „Apollo“ soll seinem letzten Willen nach, so erklärt es ihr seine dritte Ehefrau (Noma Dumezweni), nun bei Iris ein neues Zuhause finden.

Begeistert ist Iris von dem Zuwachs nicht: Das beinahe ponygroße Wesen passt kaum in ihre Einzimmerwohnung in Manhattan, Haustiere sind dort ohnehin verboten. Iris aber nimmt Apollo dennoch bei sich auf, lässt sich vom schwarz-weiß-gescheckten Riesen vom Bett auf das Sofa verbannen, muss sich auf der Straße witzelnde Kommentare zum geringen Größenunterschied zwischen dem Tier und ihr anhören und wiederholt das Wirrwarr ordnen, das der Hund zu Hause anrichtet, sobald sie ihn dort zurücklässt.

Hund Apollo und Mensch Iris kommen sich näher. Dabei hilft ihnen beiden eine Erfahrung von Verlust

Wichtige Stütze

Doch aus der anfänglichen Antipathie – vor allem seitens Apollo – erwächst allmähliche Annäherung. Nicht zuletzt aufgrund des gemeinsamen, wenn auch unterschiedlich gefühlten und zum Ausdruck gebrachten Schmerzes, der die Beiden verbindet: Der Verlust eines Menschen, der wichtige Stütze, vielleicht sogar der zentrale Dreh- und Angelpunkt, in ihrer jeweiligen Leben war.

Damit bemüht zwar auch „Loyal Friend“ das altbekannte Motiv vom zunächst widerstrebenden Tierhalter, der in seinem neuen Gefährten einen engen Verbündeten findet. Iris nimmt schließlich sogar den Streit mit ihrer Hausverwaltung auf, um Apollo behalten zu dürfen. Dass daraus keine bloße „Hund und Herz“-Schmonzette erwächst, verhindert jedoch die Erzählperspektive des Filmes.

Scott McGehee und David Siegel richten das Hauptaugenmerk mit Iris nämlich konsequent auf eine Protagonistin, die eher eine Seltenheit im Kino darstellt. Sie lebt seit geraumer Zeit alleine, selbstgewählt wie es scheint – allerdings ohne, dass das Drehbuch ihr Single-Dasein als Mangel deutet, der durch eine romantische Wendung im Schlussakt zu beheben wäre.

Toter Freund

Stattdessen rückt der Film, neben der Begegnung mit den zahlreichen Frauen im Leben ihres toten Freundes, immer wieder Iris’ beruflichen Alltag in den Fokus: ob Schreibblockade, Lehrtätigkeit oder mitunter irritierende Gespräche mit selbstgefälligen Studenten.

So kurzweilig diese Vignetten meist geraten sind – in „Loyal Friend“ fügen sie sich am Ende kaum zu einem schlüssigen Ganzen. Hier zeigen sich gleichsam die Grenzen der Adaption, des Ansatzes von Scott McGehee und David Siegel: Sigrid Nunez’ Roman, der weniger eine durchgängige Handlung erzählt, als er ein essayistisch-literarisch verdichtetes Nachdenken über Trauer, Freundschaft und das Schreiben entfaltet, wird über seinen Ton, seine Haltung, vor allem aber seine klugen Beobachtungen zum Literaturbetrieb zusammengehalten.

Ausgerechnet durch die Entscheidung, den Stoff im Film auf seine sentimental zugänglichste Facette – die Mensch-Tier-Beziehung – festzulegen, geht der innere Zusammenhang verloren. Nicht nur dieser, auch das emotionale Moment – im Buch noch so stark –, verliert an Tiefe und Wirkung.

Sex mit Studentinnen

Denn was sich dort noch in den kritischen Betrachtungen des schreibenden Milieus als übergeordnetes Sujet ineinanderfügt und in einer zutiefst menschlichen Topografie der Trauer aufgeht, in der Schmerz, Schuld und Sehnsucht nebeneinander existieren, taucht im Film nur noch als abgehobene Kulisse auf: Eitelkeiten der Schriftstellerwelt, Walters Status als gefeierter Autor, und sein selbstgerechtes Nutzen dieser Position für Sex mit Studentinnen – auch Iris gehörte einst dazu.

Jene Ambivalenz, die es braucht, um der Wahrheit nahezukommen, ist Sigrid Nunez' Stärke: Ihre Ich-Erzählerin sehnt sich in ihrem Verlust nach dem besten Freund, hadert gleichzeitig mit dessen Verfehlungen, seinem Machismus, seiner Arroganz – aber auch dem dogmatischen Moralverständnis der jüngeren Generation, der sie als Dozentin begegnet. In „Loyal Friend“ bleibt kein Raum, keine Zeit oder kein Mut sich auf die Mehrdeutigkeit und das, was nur auf den ersten Blick als Widerspruch erscheint, einzulassen.

Sigrid Nunez, die bereits seit den 1970ern publiziert, erlebte erst 2018 mit „The Friend“ ihren internationalen Durchbruch – und nun erfolgt schon die zweite Verfilmung eines ihrer Stoffe. Ein Muster zeichnet sich dabei bereits ab: Auch Pedro Almodóvars „The Room Next Door“, basierend auf Sigrid Nunez' „What Are You Going Through“, kreist um Tod, Trauer und Freundschaft: Eine krebskranke Frau (Tilda Swinton) bereitet sich auf ihren Suizid vor, ihre Freundin (Julianne Moore) begleitet sie.

Schade um die Vorlage

Doch selbst Almodóvar, der bedeutendste Vertreter des spanischen Autorenkinos seit der Franco-Ära, tat sich schwer mit der essayistischen Offenheit der Vorlage. Auch seine Verfilmung kondensiert den facettenreichen Stoff zur eher konventionellen Erzählung und verliert dabei den emotionalen Kern unter dekorativer Künstlerkulisse. Vor dem, was Nunez’ Schreiben mitunter auszeichnet – ein ironisch-kluger, gleichzeitig aber unbestechlich klarer Blick, der stets bereit ist, hinzusehen, auch wenn das Bild unbequem ist, schrecken beide Filme letztlich zurück.

Auch „Loyal Friend“ verspielt die Möglichkeit, auf mehreren Ebenen über Trauer zu sprechen. Der Film deutet Schmerz nur an, statt ihn in seiner Vielschichtigkeit zu zeigen. Damit versperrt er sich selbst die Chance, echte Hoffnung zu spenden. Denn Trost kann nur dann spürbar werden, wenn zuvor der Verlust ernst genommen wird – mit all seinen inneren Widersprüchen, seiner Wut, seiner Ratlosigkeit.

Als besagter „Tierfilm“ überzeugt „Loyal Friend“ dennoch. Zwischen Hund und Halterin entsteht eine Dynamik, die nicht von Zärtlichkeit allein, sondern auch von stiller Selbstbehauptung geprägt ist. Iris, die lange im Schatten ihres verstorbenen Mentors stand – als Vertraute, Lektorin, vielleicht auch als still Duldende –, beginnt sich neu zu justieren: Sie weigert sich, seine Memoiren zu überarbeiten, sie hört auf zu warten – auf ein Zeichen, auf Anerkennung, auf Richtung. Apollo wird dabei zu einem stillen, aber bedeutsamen Begleiter dieses inneren Wandels.

„Loyal Friend“ zeigt so, was jede Bindung zu einem Tier – legt man allen Pathos bei Seite – letztlich immer bleibt: ein inneres Gespräch, eine Konfrontation mit sich selbst. Jene Nähe, die ein Tier schenken kann, wird hier nicht verklärt, sondern als Einladung zur Selbstbegegnung verstanden. Mit seiner gelungenen Besetzung, dem Verzicht auf übertriebenen Kitsch und seinen unterhaltsamen „Slice-of-Life“-Anwandlungen besticht „Loyal Friend“ also durchaus. Was fehlt, ist lediglich das Andere, das Nicht-Sagbare – jenes innere Echo, das große Literatur ebenso hinterlässt wie großes Kino.

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