Schlussphase des NSU-Prozesses: 373 Tage – und bald ein Ende?
Am Mittwoch tritt der NSU-Prozess mit den Plädoyers nach gut vier Jahren in seine Schlussphase. Diese dürfte aber auch noch Wochen dauern.
Zehn Morde – an neun migrantischen Gewerbetreibenden und einer Polizistin –, zwei Sprengstoffanschläge in Köln und 15 Raubüberfälle wirft die Anklage dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ vor. Beate Zschäpe soll als Mitglied der Gruppe neben Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos voll für alle Taten verantwortlich sein. Mitangeklagt sind zudem vier mutmaßliche Terrorhelfer: Ralf Wohlleben, André E., Carsten S. und Holger G.
Jede Tat hatte das Gericht über Monate ausgeleuchtet. Die Richter luden Ermittler vor, Angehörige der Ermordeten, traumatisierte Überfallopfer. Neonazis kamen zu Wort, die Eltern des NSU-Trios, Nachbarn aus den Terrorverstecken in Sachsen. Die Bundesanwaltschaft machte nie einen Hehl daraus, dass sie ihre Anklage durch die Beweisaufnahme bestätigt sieht.
Zschäpe schwieg dennoch zu den Vorwürfen. Erst im Dezember 2015 ließ sie ihren Anwalt doch eine Einlassung verlesen: Sie habe von den Taten stets erst im Nachhinein erfahren und diese verurteilt – von den Uwes habe sie sich dennoch nicht trennen können.
Schlechtes Gutachten für Beate Zschäpe
Als lebensfern kritisierten dies die Opferanwälte. Auch der vom Gericht bestellte Gutachter Henning Saß hielt es für wenig wahrscheinlich, dass sich die selbstbewusste 42-Jährige in einer so „dramatischen Frage wie dem Begehen einer Serie von Tötungshandlungen dem Willen der beiden Lebenspartner gebeugt hätte“.
Für Zschäpe misslicher noch: Die Richter scheinen Saß' Urteil zu folgen. Erst lehnten diese den von den Verteidigern aufgebotenen Gegengutachter Joachim Bauer als befangen ab, der Zschäpe eine verminderte Schuldfähigkeit attestierte. Am Dienstag wiesen sie auch einen Antrag zurück, einen weiteren Gutachter einzusetzen. Saß dagegen bescheinigten sie einen kompetenten Vortrag.
Seit Monaten drängte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl auf ein baldiges Ende des Prozesses, verhängte seit März letzte Fristen für Anträge. Am Dienstag schloss Götzl plötzlich tatsächlich die Beweisaufnahme. Ihre Plädoyers haben alle Prozessbeteiligten schon lange vorbereitet. 22 Stunden hat allein die Bundesanwaltschaft für ihre eingeplant. Die letzten Worte der rund 60 Opferanwälte, die nach der Sommerpause ab Anfang September folgen sollen, dürften noch weit länger dauern – auch wenn sich einige wohl in Gruppen zusammentun werden.
Offen ist, wie ausführlich das Plädoyer von Beate Zschäpe wird und wer ihrer in zwei Parteien zerstrittenen Anwälte dieses überhaupt hält – oder ob es gar zwei Plädoyers für sie geben wird. Im Herbst könnte dann tatsächlich das Urteil fallen. Vorbei ist die juristische Aufarbeitung der NSU-Verbrechen aber auch damit nicht. Die Bundesanwaltschaft ermittelt weiter gegen neun, bisher nicht angeklagte Personen wegen Unterstützung des NSU.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP