: Schluss mit einem Tabu
Jede neunte Frau in Deutschland hat Brustkrebs. Täglich sterben 53 Frauen daran. Das müsste nicht sein, sagen Aktivistinnen. Sie fordern bessere Vorsorge und Nachsorge und mehr Ursachenforschung
von WALTRAUD SCHWAB
„Mammakarzinom“ – Brustkrebs. Die Diagnose ist ein Schock. 50.000 Frauen erkranken in Deutschland jährlich neu, und 53 Frauen sterben täglich daran. Es ist die häufigste Todesursache von Frauen unter 40. Jede neunte Frau in der Bundesrepublik ist betroffen, in den USA bereits jede siebte. Annegret Bayerl von der Berliner „Brustkrebs-Initiative“ (BKI), die 1997 von Betroffenen gegründet wurde, bestätigt, dass die Zahlen für Deutschland steigen. Da überrascht es umso mehr, dass noch immer viel zu wenig Ursachenforschung betrieben wird, obwohl Brustkrebs seit dem 1. Juli dieses Jahres den Status einer chronischen Krankheit hat.
„Resignieren, in die Depression flüchten oder aufschreien?“, fragt Bayerl, von Beruf Gynäkologin. Alle Reaktionen sind möglich. Seit neun Jahren lebt sie selbst mit der Krankheit. Beruf und Erfahrungen haben sie zur Aktivistin gemacht. An einem normalen Praxistag betreut sie bis zu fünf Frauen mit Mammakarzinom. Die jüngsten sind unter 30. Ist die Diagnose einmal bestätigt, muss sich eine Frau mit Themen auseinander setzen, die so gerne aus dem Leben ausgeklammert werden: die Ungewissheit von Krankheit, Sterben und Tod; die Fragen nach Weiblichkeit, Begehren und Schönheit; die Abgründe von Angst, Verzweiflung und Wut.
Noch immer fehlt es in Deutschland an umfassender Betreuung, so der Vorwurf der BKI. Nach Studien des Universitätsklinikums Köln gelten 48 Prozent aller Brustkrebspatientinnen als traumatisiert. „Mammazentren müssen bundesweit eingerichtet werden“, fordern Aktivistinnen. „Speziell geschultes Brustkrebs-Pflegepersonal, Pathologen, Psychoonkologen, Chirurgen, Radiologen müssen zusammenarbeiten. Forschung, Früherkennung und Nachsorge dürfen nicht dem individuellen Interesse einzelner Ärzte überlassen werden.“
Seit es die Brustkrebsbewegung gibt, werden Mängel im Umgang mit der Erkrankung öffentlich. „Es kann nicht sein, dass die Gesellschaft Brustkrebs noch einen Tag länger tabuisiert, statt – wie bei Aids – Verantwortung zu übernehmen“, meint Bayerl. Gerade in Deutschland, dies zeigen die Analysen, müssten längst nicht 11 Prozent der arbeitsfähigen weiblichen Bevölkerung daran erkranken. „Die Diagnostik ist noch immer unzureichend“, sagt die 46-Jährige. „Wenn der Krebs mit den heutigen Mitteln festgestellt wird, ist er meist in einem fortgeschrittenen Stadium.“
Untersuchungen haben gezeigt, dass große Erfahrung bei der Auswertung von Mammografien erforderlich ist. Das Personal dafür steht hierzulande aber nicht ausreichend zur Verfügung. Nach den EU-Richtlinien müsste ein Röntgenexperte jährlich mindestens 5.000 Aufnahmen analysieren. Solange es diese Spezialisten aber nicht gibt, scheitern Serienuntersuchungen, wie sie modellhaft in Bremen und vier weiteren Regionen angelaufen sind. Trotzdem befürwortet die BKI regelmäßige qualitätsgesicherte Röntgen-Screenings für Frauen über 50 Jahren. Bei dieser Zielgruppe wiege die Früherkennung die Folgen der Strahlenbelastung auf. 3.000 Frauen weniger pro Jahr müssten sterben. Dies werde durch Forschungen belegt.
Ein anderer Mangel in der Versorgung von Brustkrebspatientinnen: In der Bundesrepublik wird bis heute, anders als in der früheren DDR, kein bundesweites Krebsregister geführt. „Und dies bei einer Krankheit, die unter anderen Umständen Epidemie genannt würde“, so Bayerl. Die Ursachen gerade für Brustkrebs sind weitgehend unbekannt. Wäre das Interesse größer, wären Statistiken und damit Vergleichsmöglichkeiten eine wesentliche Forschungsgrundlage.
Der Oktober wurde weltweit zum „Brustkrebsmonat“ erklärt. Das Symbol: die rosa Schleife. Mit einer Auftaktgala am 14. Oktober im Theater des Westens will die BKI dieses Jahr den Startschuss zu einer Kampagne geben, die für Brustkrebsbetroffene eine optimale Versorgung einfordert und die zudem das Thema auf die gesellschaftliche Bühne und in die Medien trägt. Das Motto: „Die Katze hat sieben Leben – wir haben eins.“ Renate Künast, Ulla Schmidt, Gitte Haenning, Ina Deter, Herta Däubler-Gmelin haben zugesagt.
In den USA bekennen sich Politikerinnen, Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen zu ihrer Erkrankung. Auch in Deutschland gibt es prominente Frauen mit Bruskrebs, aber nur wenige sagen es öffentlich. Regine Hildebrandt war in diesem Sinne eine Pionierin. „Ist das Mammakarzinom diagnostiziert, wird man nur noch über die Krankheit definiert“, sagt Bayerl, die im Vorstand der Brustkrebs-Initiave ist. Würde bekannt, welche Frauen davon betroffen sind, wäre ihre Karriere vermutlich beendet. Denn viele Frauen erreichen ihre beruflichen Ziele erst zwischen 40 und 50, in einem Alter also, in dem sie zur großen Risikogruppe gehören. „Brustkrebs ist eine Krankheit, die der Gesellschaft in Bezug auf die Stellung der Frau einen Spiegel vorhält.“
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