Schlingernde Brexit-Verhandlungen: Vetorecht für Irland bei EU-Grenze
Geordneter Brexit oder harte Trennung? Alles scheint möglich. In dieser Woche werden Entscheidungen fallen. Plötzlich im Fokus: Irland.
Doch im Brexit-Streit mit Großbritannien hat bisher nichts verfangen. Im Oktober ignorierte Premierministerin Theresa May eine „Deadline“, der EU-Gipfel lief ins Leere. Wenn sich das bei der nächsten Chefrunde Mitte Dezember wiederholt, könnte es auf eine „schmutzige Scheidung“ hinauslaufen – ohne verbindlichen Deal.
Doch diesmal fällt die Entscheidung nicht in einer langen Gipfelnacht, sondern schon zehn Tage vorher: diesen Montag, wenn sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Brüssel mit May trifft. Oder spätestens am Mittwoch, wenn die Kommission und die EU-Staaten in getrennten Sitzungen über den Stand der Dinge beraten.
Wenn es bis dahin keinen „ausreichenden Fortschritt“ geben sollte, wie das in Brüssel heißt, dann will die EU beim Dezember-Gipfel kein grünes Licht für den Übergang in die nächste Verhandlungsphase geben. Dann platzen nicht nur die geplanten Gespräche über ein Freihandelsabkommen. Dann platzt wohl der ganze Scheidungsvertrag.
Stand der Verhandlungen unklar
Die Gerüchteküche kocht über. Mal ist von einem Durchbruch bei den Finanzfragen die Rede. Dann wieder heißt es, Irland stelle sich quer. Die FAZ will sogar wissen, dass sich die EU bereits auf einen ungeordneten Brexit vorbereite.
„Wir stellen uns auf alle möglichen Szenarien ein“, heißt es vieldeutig in Brüsseler EU-Kreisen. Das kann viel bedeuten – und nichts. Denn nicht nur die Briten haben bisher die nötige Klarheit vermissen lassen. Auch die EU-Verhandler halten ihre Karten bedeckt. Was passiert, wenn man sich nicht einigt, ist genauso unklar wie die Frage, was „ausreichender Fortschritt“ genau bedeutet.
Klar ist nur, dass es um drei Kernfragen geht: die Finanzen, die Grenze zwischen Irland und Großbritannien und die künftigen Rechte der EU-Bürger auf der Insel bzw. der britischen Bürger in der EU. Vor einer Woche sah es noch so aus, als sei man sich bei den Bürgerrechten fast einig und als sei die Scheidungs-Rechnung der alles entscheidende Knackpunkt.
Zahlt Großbritannien nach Ausstieg weiter in EU-Kassen?
Doch in den letzten Tagen hat sich das Bild komplett verändert. Erst rückte die EU-Seite von den 60 bis 100 Milliarden Euro schweren Forderungen ab, von denen bisher immer die Rede war. Es gebe keine fixen Zahlen, sagte ein EU-Diplomat. Dann meldete der Telegraph, May sei zur Zahlung von 45 bis 55 Milliarden Euro bereit. Doch weder London noch Brüssel wollen das bestätigen.
Die Arbeiten dauerten an – „unabhängig von Gerüchten in der Presse“, sagte EU-Verhandlungsführer Michel Barnier. Der Teufel liegt im Detail. Großbritannien soll für alles bezahlen, was in den Jahren seiner EU-Mitgliedschaft beschlossen wurde. Alte, milliardenschwere Infrastruktur-Projekte gehen in die Rechnung ebenso ein wie künftige Pensionszahlungen für EU-Beamte.
Unter dem Strich kann niemand genau sagen, wie hoch die Endsumme ausfällt – und ob es jemals einen Schlussstrich geben wird. Wahrscheinlicher ist, dass Großbritannien auch nach seinem Austritt am 29. März 2019 noch weiter in die EU-Kasse zahlen muss. May habe sich nur auf die von Barnier genannten Einzelposten eingelassen, sagen Insider in Brüssel – doch eine verbindliche Zahl gebe es nicht.
Streit um Bürgerrechte
Im Fluss ist auch noch der Streit um die Bürgerrechte. Hier war zwar schon im Oktober von einem Durchbruch die Rede. Die EU hat die Bürger auch zur Priorität bei den Verhandlungen erklärt. Doch sie will dieses Kapitel nicht abschließen, bevor nicht auch die anderen Punkte geklärt sind. Vor allem das Europaparlament stellt sich quer – indem es droht, den ganzen Brexit-Deal abzulehnen.
Es gebe immer noch „erhebliche Probleme“, warnt der Verhandlungsführer des Parlaments, der belgische Liberale Guy Verhofstadt. In der Frage des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) habe es bei den Diskussionen sogar Rückschläge gegeben. Brüssel fordert, dass die Bürger ihre Rechte auch nach dem Brexit beim EuGH einklagen können. London will dies vermeiden.
Als größte Hürde erscheint jetzt aber ein ganz anderes Thema: Irland. Hier fährt die EU einen Schlingerkurs. Zunächst drängte sie darauf, dass es keine neue Grenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland geben dürfe. Auch das Friedensabkommen müsse gewahrt werden. Doch nun vollzieht Ratspräsident Donald Tusk einen Kurswechsel.
Das letzte Wort müsse Irland haben, sagte Tusk nach einem Treffen mit Regierungschef Leo Varadkar in Dublin. „Wenn das britische Angebot inakzeptabel für Irland ist, dann wird es auch inakzeptabel für die EU sein“, so Tusk. Damit gibt die EU dem Land de facto ein Vetorecht. Wenn es dabei bleibt, liegt der Schlüssel nicht mehr in Brüssel, sondern in Dublin.
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