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Schlingensiefs Operndorf in Burkina FasoDie Vision und ihre Wandlung

Vor zwölf Jahren gründete Christoph Schlingensief ein Operndorf in Burkina Faso. Was daraus wurde, untersucht Sarah Hegenbart in einer Studie.

Kinder und Jugendliche im Operndorf in Burkina Faso Foto: Sandra Schaede

Man darf es fragen: Was ist aus dem Operndorf geworden, dem Vermächtnis Christoph Schlingensiefs in der westafrikanischen Savanne? Vor nunmehr zwölf Jahren hatte der umtriebige Regisseur und Aktionskünstler in Burkina Faso nordöstlich der Hauptstadt Ouagadougou einen Raum schaffen wollen, der die Konventionen und Sehgewohnheiten der europäischen Oper außer acht lassen und stattdessen die Verbindung von Kunst und Leben feiern wollte.

Die Grundsteinlegung seines Operndorfs sollte Schlingensief im Februar 2010 noch miterleben. Ein halbes Jahr später erlag er jedoch seiner Krebserkrankung. Bald darauf übernahm seine Witwe Aino Laberenz die Verantwortung für das begonnene Großvorhaben.

Inzwischen ist nun ein Buch erschienen, das dem Spannungsverhältnis zwischen der damaligen Vision Schlingensiefs und ihrer späteren Realisierung nachgeht. Geschrieben hat es die an der Technischen Universität München lehrende Kunsthistorikerin und Philosophin Sarah Hegenbart. „Oper der Ambiguitäten“ ist ein ambitioniertes Buch. Es setzt das Operndorf nicht nur in den Kontext der künstlerischen Arbeiten Schlingensiefs, aus denen, wie Hegenbart schreibt, das Operndorf als „logische Konsequenz“ hervorging.

Wenig Interesse an der Bildungseinrichtung Operndorf

Die Autorin bringt das Operndorf darüber hinaus auch in Zusammenhang mit dem Gesamtkunstwerkbegriff von Richard Wagner und dem kürzlich eröffneten Humboldt Forum im wieder aufgebauten Berliner Stadtschloss. Das Operndorf-Projekt aus kunstwissenschaftlicher Perspektive zu verstehen, hat sich Hegenbart zur Aufgabe gemacht.

Wollte man es sich einfach machen, könnte man das heutige Operndorf eine Bildungs- und Kultureinrichtung nennen, in der 300 Grundschüler unterrichtet werden, deren Lehrplan um Kunstunterricht bereichert ist. An diesen Realitäten zeigt die Kunsthistorikerin jedoch wenig Interesse. Viel mehr gilt ihre Aufmerksamkeit dem ursprünglichen Ansatz Schlingensiefs, eine „Plattform zur Generierung von Bildern“ zu initiieren. Demnach sollte das Operndorf Bilder von Afrika produzieren, die anders sind als jene, die das Image des Kontinents in Europa prägen.

Gleichermaßen sollte es erlauben, sich vom eingeübten Verständnis der europäischen Oper zu verabschieden und stattdessen den Opernbegriff in Afrika neu zu beleben. Folglich der Frage nachzugehen, ob sich Wagners Idee des Gesamtkunstwerks von seiner spezifischen historischen und räumlichen Einbettung lösen und in Westafrika zur neuen, postkolonialen Blüte treiben ließe.

Obgleich kulturwissenschaftlich ausgerichtet, verfällt die Autorin immer wieder auch ins Erzählerische, berichtet davon, wie sich junge Schülerinnen im Operndorf beim Eintreffen der deutschen Wissenschaftlerin selbstbewusst erbaten, keine Fotos von ihnen aufzunehmen. Solche Anekdoten heften den Text an den Boden der Tatsachen und lassen erahnen, dass man in diesem westafrikanischen Land mit Schlingensiefs Bezügen auf deutsche Ikonen wie Richard Wagner oder Joseph Beuys wohl eher wenig anzufangen weiß.

Unscharfer Blick durch die postkoloniale Brille

Was die Einordnung der Oper als europäische Kunstform betrifft, blickt Hegenbart jedoch auch selbst an mancher Stelle unscharf durch die postkoloniale Brille. Davon, dass der europäischen Oper, wie es Hegenbart schreibt, „eine zentrale Rolle in Prozessen der Kolonisierung“ zugekommen sei, kann tatsächlich keine Rede sein. Wäre dem so und hätte das Kulturgut Oper die Kolonisierung gestützt oder zumindest begleitet, hätten die europäischen Kolonialmächte weite Teile Afrikas und Südamerikas an der Wende zum 20. Jahrhundert mit Opernhäusern ausstatten müssen. Dem ist aber nicht so.

Das angeführte Beispiel des Opernhauses im brasilianischen Manaus ist eines der wenigen Häuser dieser Art. Ähnlich schablonenhaft bleibt Hegenbarts Auseinandersetzung mit dem Humboldt Forum in Berlin, das zum Zeitpunkt des Erscheinen ihres Buches noch gar nicht vollständig eröffnet ist. Vieles lässt sich dem Forum und dem Schlossnachbau vorwerfen, Geschichtsvergessenheit bei der Fassadengestaltung gehört dazu.

Zu pauschalisierend ist jedoch Hegenbarts Feststellung: „Eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen deutschen Kolonialgeschichte hat das Projekt Humboldt Forum somit bisher verpasst.“ Der Generalintendant des Humboldt Forums, Hartmut Dorgerloh, hat immer wieder deutlich gemacht, dass gerade das Thema des Kolonialismus bestimmend für das Selbstverständnis des Hauses ist und sein wird. Eine differenziertere Auseinandersetzung mit dem komplexen Gebilde des Humboldt Forums hätte der Publikation gut getan.

Das Buch

Sarah Hegenbart: „Oper der Ambiguitäten. Christoph Schlingensiefs Operndorf Afrika“. Edition Metzel, München 2021, 160 Seiten mit 39 SW-Fotografien, 19 Euro

Durchaus differenziert und eine gewinnbringende Ergänzung ist hingegen das ausführliche Glossar des Buches, das relevante, aber nicht allgemeinverständliche Begriffe des Diskurses wie „Afrotrope“ oder „multidirektionale Erinnerungen“ ausführlich einführt.

Zurück zu Schlingensiefs Operndorf: Nach der Lektüre bleibt dem Leser die Einsicht, dass es zu unterscheiden gilt zwischen der Idee des Operndorfs vor und nach dem Ableben Schlingensiefs. Oder, wie es ­Hegenbart formuliert: Die künstlerischen Inszenierungen seien „jedoch zunächst hinter den Betrieb der Schule des Operndorfs zurückgetreten“.

Man sollte das Operndorf der Gegenwart, mit Schule und Krankenstation, durchaus als Projekt der Entwicklungszusammenarbeit verstehen. Und man sollte es nicht mit jenen gewagten Entwürfen des Theater- und Aktionskünstlers Schlingensiefs verwechseln, in denen er sich – typisch für seine Arbeitsweise – selbst bereit zeigte, die eigenen Ideen alsbald wieder als eurozentriertes Hirngespinst zu verwerfen.

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