Schließung von Containerdorf in Köpenick: Zukunft ungewiss
Berlins älteste Containerunterkunft für Geflüchtete wird dichtgemacht. Viele Bewohner*innen befürchten, ihr vertrautes Umfeld zu verlieren.
Die Anlage an der Alfred-Randt-Straße im Salvador-Allende-Viertel, die komplett aus Wohncontainern besteht, war die erste ihrer Art in Berlin – und von Beginn an nur als temporäre Lösung gedacht. Eröffnet im Dezember 2014, wurden die Genehmigungen mehrfach verlängert. Am 30. Juni soll nun endgültig Schluss sein. Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) übergibt das Areal wieder an den Bezirk Treptow-Köpenick, das bunte Containerdorf wird zurückgebaut. An seiner Stelle soll ein Erweiterungsbau für ein Schul- und Sportgelände entstehen.
Die rund 360 Bewohner*innen der Gemeinschaftsunterkunft, darunter etwa 90 Kinder, müssen raus. Und die Verunsicherung ist groß. „Täglich versuche ich, Informationen zu erhalten, wohin wir verlegt werden sollen, aber es bleibt unklar“, sagt Ali Kazem, der seit vier Monaten hier mit seiner Tochter wohnt. Den Raum hat er mit ihr zusammen liebevoll gestaltet, mit vielen Blumen und Bildern an den Wänden und an der Decke.
Seine Frau, berichtet Ali, sei vom „Islamischen Staat“ ermordet worden, er selbst von der Terrormiliz gefoltert und dann mit seiner damals zwei Monate alten Tochter geflohen. Hinter ihm liege eine sechs Jahre lange Flucht, bis er endlich Deutschland erreichte. Und nun die erneute Unsicherheit. Eine Verlegung in die Massenunterkunft auf dem ehemaligen Flughafen Tegel sei für ihn eine schreckliche Aussicht.
Doch das LAF stellt auf taz-Anfrage klar: Es werde sich nicht verhindern lassen, dass ein Teil der Bewohner*innen in Tegel untergebracht werden muss. Die Auslastung der regulären Geflüchtetenheime sei dramatisch, bei einer Gesamtkapazität von 36.000 Plätzen seien aktuell gerade mal rund 500 frei. An Tegel komme man daher kaum vorbei.
NGOs kritisieren unhaltbare Zustände in Tegel
Hilfsorganisationen kritisieren schon seit Langem die Verhältnisse in der dortigen Zeltstadt, in der zwischen 5.000 und 6.000 Schutzsuchende auf engstem Raum untergebracht sind. „Wir haben Griechenland für die überfüllten Lager und die schlimmen Zustände dort kritisiert, aber in Tegel hat Deutschland selbst eine dieser unhaltbaren Unterkünfte“, sagt etwa Tareq Alaows von Pro Asyl zur taz.
Es fehlt an Privatsphäre, hygienischer Grundversorgung und qualitativer sozialer Beratung. Die Zelte, die für die Unterkunft in Tegel genutzt werden, waren nach LAF-Angaben eigentlich als Ukraine-Ankunftszentrum geplant, in dem die Bewohner*innen maximal 2 bis 3 Tage untergebracht werden sollten. Aktuell verbringen Geflüchtete dort im Schnitt ein halbes Jahr.
Das Land Berlin zahlt für Tegel 35,5 Millionen Euro im Monat, also rund 1,2 Millionen Euro pro Tag. „Mit dem Geld, das in Tegel jeden Tag ausgegeben wird, könnten wesentlich nachhaltigere Lösungen geschaffen werden. Es fehlt immer noch eine langfristige Strategie des Senats für die Unterbringung von Geflüchteten“, so Alaows.
Emely Barnickel vom Flüchtlingsrat Berlin sagt, die Lösung seien ohnehin nicht „in sich isolierte Containerdörfer mit integrierten Segregations- oder Lagerschulen“. Vielmehr müsse der Senat bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung stellen. Doch unabhängig davon: Geflüchtete aus bestehenden Strukturen nach Tegel zu verfrachten, gehe gar nicht. Allein aufgrund der „Unterbrechung bereits bestehender sozialer und lebensnotwendiger Strukturen wie Zugang zu Ärzt*innen, Kindergärten, Schulen und sozialen Kontakten“.
Die Leidtragenden sind die Betroffenen
An eine Besserung der Lage glaubt Barnickel nicht und verweist auf das derzeitige Gezerre zwischen Senat und Bezirken um die Frage, wo in den kommenden Jahren wie viele Geflüchtetenunterkünfte entstehen sollen. Vor allem Lichtenberg hatte zuletzt vehement gegen die Senatspläne für neue Containerdörfer im Bezirk protestiert. Für Barnickel steht fest: „Das Kompetenzgerangel um die Unterbringung von geflüchteten Menschen führt zu immer prekäreren Lebenssituationen für die betroffenen, oft schwer traumatisierten Menschen.“
Die Leidtragenden sind Menschen wie Nadia. Die 65-jährige Ukrainerin sitzt auf einer Bank im langen Flur hinter dem Eingangsbereich der Gemeinschaftsunterkunft im Allende-Viertel und wartet zusammen mit einer anderen älteren Frau auf ein Gespräch mit eine*r Sozialarbeiter*in. Sie will ihre Bedürfnisse und Nöte besprechen. „Ich bin seit zehn Monaten hier und warte nun auf meine Kostenübernahme durch das Sozialamt“, sagt Nadia.
Sie leide an Epilepsie und habe in der Ukraine während der Angriffe der russischen Armee und dem Dröhnen der Sirenen immer wieder Anfälle gehabt, berichtet sie. Nach ihrer Flucht wurde sie zuerst im Ankunftszentrum in Tegel untergebracht, bevor sie nach Köpenick kam. Sie sagt, sie fühle sich hier gut versorgt. Als ihr bei einer Informationsveranstaltung des LAF mitgeteilt wurde, dass die Unterkunft schließt und sie vielleicht nach Tegel zurückkehren muss, habe sie erneut einen epileptischen Anfall bekommen. „Ich habe Angst, dass die neue Unterkunft nicht behindertengerecht genug für mich ist“, sagt Nadia.
Am meisten beschäftigten die Bewohner*innen Fragen der Wohnungssuche, medizinischen Versorgung sowie psychosoziale Themen, sagt ein Mitarbeiter von Tamaja, dem Betreiber des Containerdorfs. Er stellt klar: „Bei der erneuten Standortsuche werden wir in Abstimmung mit dem LAF versuchen, die Bedürfnisse der hier lebenden Geflüchteten so gut wie möglich mit einfließen zu lassen, aber garantieren können wir nichts.“
Für viele Bewohner*innen bedeutet das, dass sie nicht im Allende-Viertel bleiben können, selbst wenn ihre Kinder hier zur Schule gehen. Die Mitarbeiter*innen der Unterkunft geben ihr Bestes, sagt Ali Kazem. Aber vor dem erneuten Umzug in eine andere Unterkunft habe er Angst. Er wünsche sich, dass seine Tochter mit den anderen Kindern in ihrer Schule zusammenbleibt. Sie gibt ihm einen Kuss auf die Wange. Kazem sagt: „Alles was ich will, ist, dass meine Tochter eine gute und sichere Zukunft hat.“
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